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Eine nationale Angelegenheit
Die deutsche Rente im europäischen Vergleich

Die Regierungskoalition hat sich auf Reformschritte bei der gesetzlichen Rente geeinigt, beigelegt ist der Streit über die Finanzierung jedoch nicht, im Gegenteil. Ist die Rente in anderen Ländern auch so ein Reizthema? Es gibt gute Beispiele, von denen man etwas lernen könne, sagte SPD-Rentenexpertin Jutta Steinruck im DLF.

Jutta Steinruck im Gespräch mit Katrin Michaelsen | 30.11.2016
    Bundesarbeits- und -sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hält ein Din-A-4 großes Heft mit der Aufschrift "Zusammen stark" vor dem Oberkörper.
    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bei der Vorstellung ihres Konzeptes einer Rentenreform in Berlin. (dpa/Kay Nietfeld)
    Beim Thema "Rente" scheiden sich die Geister. Der Staat müsse mehr tun, sagen die einen. Es reicht sagen die anderen. Wie steht es also um die Rente, wenn sich sogar die Koalition nicht einig ist? Uns hat die Bitte eines Hörers erreicht, der sich angesichts der emotional geführten Debatte in Deutschland einen europäischen Blick auf das Thema "Rente" gewünscht hat. Denn Altersarmut, die Höhe des Rentenniveaus, die Anhebung der Altersgrenzen, all diese Themen werden auch in anderen europäischen Ländern diskutiert.
    Jutta Steinruck sitzt für die SPD im Europa-Parlament, Sie kennen die Situation in Deutschland, wenn Sie das mit anderen Ländern in Europa vergleichen, wo läuft es besser in Fragen der Rente und der Alterssicherung?
    Jutta Steinruck: Die Systeme in Europa sind sehr unterschiedlich. Wir haben gute Beispiele in Luxemburg und in den Niederlanden. Wir haben auch schlechte Beispiele wie zum Beispiel in Bulgarien. Also es ist sehr unterschiedlich in Europa.
    Katrin Michaelsen: Was zeichnet denn Länder wie Luxemburg und die Niederlande aus?
    Steinruck: In den Niederlanden gibt es eine hohe Basissicherung, eine Grundsicherung, von der man leben kann, die auch ergänzt werden kann durch eine betriebliche Altersversorgung. Da ist schon die Basis, die Höhe der staatlichen Basisversorgung sehr viel besser.
    Michaelsen: Gibt es noch andere Beispiele, die herausragend sind?
    Steinruck: Ja, das Beispiel Österreich ist sehr gut. Die haben ein starkes öffentliches System, und dieses wurde zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut, da zahlen auch Selbstständige und Beamte in das Rentensystem ein.
    Michaelsen: Ließen sich denn die Beispiele und die Modelle, die Sie genannt haben, auf Deutschland übertragen?
    Steinruck: Ich bin mir sicher, dass das geht. Europa hat ja keine Kompetenz, in nationale Rentenpolitik sich einzumischen. Das ist auch gut so, weil jedes Land ja auch sehr unterschiedlich gewachsene Systeme hat. Aber das eine oder andere Beispiel wurde jetzt auch von Arbeitsministerin Andrea Nahles aufgenommen, leider nicht alles.
    Michaelsen: Woran hapert es dann?
    Es muss auf europäischer Ebene Mindeststandards geben
    Steinruck: In Europa liegt es daran, dass der Lissabon-Vertrag uns klar Kompetenzen in der Sozialpolitik zuweist. Rentenpolitik gehört da nicht dazu. Wir haben ja sehr unterschiedliche Standards in Europa und unterschiedlich gewachsene Modelle, die einfach jetzt in ein Modell zu gießen, wäre sehr schwierig. Wichtig wäre für uns aus europäischer Sicht, dass wir Mindeststandards auf der europäischen Ebene sicherstellen können, die aber dann von den Mitgliedsstaaten entsprechend ihren eigenen Systemen auch überboten werden können oder auch höher ausgestaltet werden könnten.
    Michaelsen: Hat denn die Europäische Union überhaupt einen Einfluss, wenn es um sozialpolitische Fragen geht? Spricht sie Empfehlungen aus an die einzelnen Mitgliedsstaaten?
    Steinruck: Ja, die Europäische Union macht jährlich länderspezifische Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten, sagt den Mitgliedsstaaten, wo sie ihre Hausaufgaben machen sollen aus Sicht der Kommission. Das ist nicht immer ganz in dem Interesse, wie ich mir das vorstelle. So hat vor einigen Jahren die Kommission Deutschland empfohlen, das Rentenalter heraufzusetzen. Das ist so Mainstream innerhalb der EU-Kommission, das aber zum Glück das Europäische Parlament in seiner Gänze nicht teilt. Wir machen im sogenannten europäischen Semester Vorgaben zur Armutsbekämpfung und zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung. Im Jahr 2010 hat die Kommission Vorschläge gemacht an die Mitgliedsstaaten für Pensions- und Rentensysteme. Da war auch einer der Vorschläge, Lebenserwartung an das Renteneintrittsalter zu koppeln. Das hat das Parlament so nicht gewollt. Es gab auch Vorschläge, wie dass die betriebliche Altersversorgung verändert werden sollte. Da habe ich vor vielen Jahren dagegen gekämpft mit Kolleginnen und Kollegen, dass diese Vorschläge des damaligen Kommissars Banier nicht durchkommen, weil das hätte das System der Betriebsrenten in Deutschland gefährdet. Aber der Blick auf Lebensstandards, auf Armutsbekämpfung ist auf der europäischen Ebene da.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.