Samstag, 20. April 2024

Archiv


Eine New Yorker Odyssee

Edward St Aubyn hat seinem Helden Patrick Melrose eine Trilogie gewidmet. Ihr erster Teil, der Roman "Schöne Verhältnisse", ist von der Kritik mit einiger Begeisterung aufgenommen worden. Der zweite Teil liegt nun mit dem Roman "Schlechte Neuigkeiten" vor.

Von Hartmut Kasper | 25.01.2008
    Die englische Begeisterung mochte zu einem Teil aus der Tatsache erklärbar sein, dass sich mit Edward ein Spross der altehrwürdigen St Aubyns zu Wort gemeldet hat, einer Familie, ansässig im Land der Briten seit den Zeiten Wilhelms der Eroberers und so hoch adlig, dass sich von diesen aristokratischen Höhen aus sogar bequem auf die oberen Zehntausend der Gesellschaft herunterblicken lässt.

    Neugierig geneigte Ohren waren also das mindeste, was Edward St Aubyn erwarten durfte, als er Familiengeheimnisse ausplauderte.

    Geplaudert aber wird in dieser autobiographisch grundierten Trilogie durchaus nicht, hier geht es sprachlich zur Sache, und die Sache ist die: Der Autor Edward St Aubyn ist - wie sein Alter Ego Patrick Melrose - als Kind von seinem hochadligen Vater jämmerlich geprügelt und sexuell missbraucht worden, während die Mutter ihren sozialen Verpflichtungen im Ausland mit guten Werken nachkam.

    Der zweite Teil der Trilogie setzt etwa siebzehn Jahre später ein. Patrick ist 22, als er zu Romanbeginn die nur relativ "Schlechte Neuigkeit" erhält, dass sein Vater tot ist, gestorben in einem Hotel in New York.

    Patricks Gefühle schwanken zwischen Freude und Rachsucht. Patricks Mutter weilt im Tschad, um dort Kindern Gutes zu tun. Also ist es an ihm, die sterblichen Überreste heimzuholen.

    Der Roman erzählt von den zwei Tagen, die Patrick braucht, um von London aus nach New York zu fliegen, die Leiche seines Vaters dort einäschern zu lassen, die Kiste mit dem kremierten alten Herrn angemessen in eine braune Papiertüte zu verpacken und auf diese Weise reisefertig zu machen.

    Das ist ein karger Plot. Zumal der Held die Zeit zwischen Ankunft in Amerika und Rückflug nach England nicht mit bunten Abenteuern füllt, mit Sightseeing, standesgemäßem Shopping von Geschmeide und Aktienpaketen oder mit erotischen Belustigungen.

    Er verbringt sie mit Taxifahrten zum Zweck der Beschaffung von Drogen, mit Taxifahrten an Orte, wo sich die erworbenen Drogen problemlos konsumieren lassen, und mit dem Konsum der Drogen selbst.

    Anspruchsvoll ist er, was die Wahl des Ortes angeht, nicht:

    "Wo er seinen Stoff nahm, da war er zu Hause, und meistens war das auf irgendeinem fremden Lokus."

    Wenig geschieht, also muss wenig erzählt werden. Wofür das oft staunenswerte Feuerwerk der Sprache hier abgebrannt wird, das sind die Kommentare zum Geschehen.

    Auf der Taxifahrt vom Flughafen zur Innenstadt heißt es: "Riesenhafte ramponierte Autos mit stotternden Motoren und Limousinen mit verdunkelten Scheiben schwärmten auf die Stadt zu wie Fliegen auf ihre Lieblingsspeise."

    Zu einer Freundin fällt ihm ein: "Sie war schön (das sagten alle) und sie war klug (das sagte sie selbst), aber er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie wie ein paar Essstäbchen besorgt kreuz und quer durchs Zimmer klappern würde."

    Im Zuge seiner drogengetriebenen Irrfahrt, seiner New Yorker Odyssee kommen ihm Gedanken zu alternativen Bestattungsmöglichkeiten für seinen Vater; er denkt:

    "Kästchen auf, Asche raus und ins Klo damit. Könnte es für seinen Vater einen angemesseneren Ruheplatz geben als einen New Yorker Kanalisationsschacht, inmitten der pigmentlosen Tier- und Pflanzenwelt und tonnenweise Scheiße?"
    Und wer schon immer wissen wollte, wie sich Abhängigkeit von chemischen Stoffen wirklich anfühlt, der erfährt:
    "Schon bald würden seine Synapsen wie verhungernde Kinder schreien, und jede einzelne Zelle seines Körpers würde ihn jämmerlich am Ärmel zupfen."

    St Aubyn gelingen immer wieder solche unerhörten Sätze. Und immer wieder diffamiert er seine Gabe des erstaunlichen Vergleichs mit Witzen wie diesem:

    "Ein Bad ohne Drink, das war wie - ein Bad ohne Drink. Wozu sich verkünsteln oder Vergleiche erfinden?"

    Die Art und Weise, wie St Aubyn von Aufputschern und Downern, von Speed und Beauties, vom chemischen Barsortiment der Straßenhändler und von illegalen Apotheken redet, ist so schonungslos und wirkt so glaubwürdig, dass es den Verdacht nährt: Wer immer Lexikonartikel verfasst über Heroin, Kokain, Metaqualon und Artverwandtes und wer diesbezüglich von den euphorisierenden und aphrodisierenden Wirkungen der Droge spricht, der wird sie vor allem aus Beipackzetteln kennen und pharmakologischen Broschüren.

    St Aubyn dagegen fasst die Drogensucht seines Helden in ein großes, erbärmliches Schlachtengemälde, blutig und brutal, berichtet von einem Selbstvernichtungsfeldzug Patricks gegen sein eigenes Fleisch und Blut, sein Denken und Gedärm.

    Das drückt dem Text das Siegel der Wahrhaftigkeit auf.

    Wenn der Roman auch weitgehend aus der Sicht seiner Hauptfigur erzählt wird, wenn er auch wieder und wieder um das Thema Droge, Spritzenbesteck und Venenfindung kreist, so kommt doch keine sprachliche Monotonie auf.

    Das verhindern Dialoge, die geschliffen sind wie die Reden in schwarzhumorigen Screwball-Komödien, und das verhindert auch Patricks persönliches Rausch- und Wahnsystem. Dieses Wahnsystem nämlich lässt ihn Stimmen hören, es vierteilt seinen Geist nicht nur, es zerlegt ihn weiter und weiter.

    Mit diesen halluzinierten Stimmen aber entfaltet sich der elende Monolog eines drogensüchtigen Mannes zu großem, zeitgenössischem Theater, in dem die Nanny mit Doktor Death, der Fette Mann mit Cleopatra, der Richter, Greta Garbo, Mrs Mopp, der abgetrennte Kopf eines Vikars und Attila der Hunne miteinander ins Gespräch kommen und in dem der Schiffsdoktor des Raumschiffs Enterprise zu seinem Captain Kirk sagt: "Das ist das Leben, Jim, aber nicht, wie wir es kennen."

    Wer den Roman von St Aubyn gelesen hat, der hat von diesem Leben, das wir, wenn wir Glück haben, nicht kennen, immerhin Erstaunlich-Furchtbares gehört.

    Edward St Aubyn: Schlechte Nachrichten
    223 Seiten, Roman. DuMont Verlag, Köln 2007