Freitag, 19. April 2024

Archiv


Eine Person mit doppeltem Boden

Seine Zeichnungen von Militärs, Spießern und Stadtbewohnern und von deren Hässlichkeit, Dummheit und Brutalität prägen unser Bild vom Weltkrieg und den frühen 20er-Jahren. Sein Leben aber ist weitgehend unbekannt. George Grosz hat es vor mehr als 50 Jahren in den USA aufgeschrieben, wohin er 1933 ging, kurz bevor es gefährlich für ihn wurde. Das Buch ist jetzt, 50 Jahre nach seinem Tod 1959, vom Schöffling Verlag wieder aufgelegt worden.

Von Jörg Plath | 17.12.2009
    George Grosz liebte Fortsetzungsromane wie "Wenzel Kummer, der Schrecken des Böhmerwaldes oder die Geheimnisse der Kasematten der Festung Brünn". Solch einem Schauer- und Schreckensroman glich die erste Hälfte seines Lebens durchaus: Der 1893 als George Ehrenfried Grosz im hinterpommerschen Stolp geborene Grafiker und Maler war oft genug und nicht selten unter Lebensgefahr gezwungen, in die Fratzen von Militärs, Justizräten und Spießern zu blicken. Er tat es aufmerksam und hielt ihre Gier, Brutalität, Dummheit und Geilheit auf unvergessliche Weise fest. "Ecce homo", "Das Gesicht der herrschenden Klasse", "Spießerspiegel" und "Stützen der Gesellschaft" heißen einige seiner grafischen Zyklen oder Einzelwerke, die bis heute das Bild der zwanziger Jahre prägen.

    Doch so gern George Grosz Schauer- und Schreckensromane las, so anhaltend er Schauerliches und Schreckliches malte - seine künstlerischen Interessen, sagte er später zurückblickend, waren eigentlich andersgeartet.

    "Als ob mir einer, ich will es mal jetzt ein bisschen einfach ausdrücken, in meinen Traum reingefunkt hat. Ich wollte eigentlich schöne Bilder malen. Also, freundliche Bilder, nicht wahr. Aber das Dämonische und Geheimnisvolle, das Monströse des Lebens hat mich auch angezogen. Ich war gleichzeitig der Krüppel, damals gab es die Zitterer und das alles, ich war gleichzeitig der Krüppel, und nun war ich aber auch der Fresser und Säufer - 'Herr Ober, ein Deutz & Geldermann! Gekühlt, aber nicht geeist!' - war ich auch!"

    Er sei eine doppelbödige Persönlichkeit, sagt George Grosz in einem langen Gespräch, das er 1959 mit Günther Wichmann führt. Das ist auch der Tenor seiner Autobiografie "Ein kleines Ja und ein großes Nein", die 1946 in den USA erschien, wo er seit 1933 lebte. Erst neun Jahre später folgt sie auf Deutsch, nun, 50 Jahre nach seinem Tod, liegt sie wieder vor. Der Grafiker und Maler erzählt darin sein Leben nicht als Schauerroman, sondern als Kehrtwende zu sich selbst.

    Als Schüler ist Grosz ein Liebhaber und eifriger Kopierer "vulgärer Genreszenen". Die Ergebnisse verkauft der örtliche Buchhändler mit Erfolg. Auch der junge Mann, der an der Dresdner Akademie und der Berliner Königlichen Kunstgewerbeschule studiert, bleibt dem Husaren treu, dem auf den Genrebildern stets ein frischer Trunk kredenzt wird.

    In anderen Hinsichten ist Grosz weniger traditionsverbunden. Einem Lehramtskandidaten erstattet er aus Zorn eine Ohrfeige zurück und wird der Schule verwiesen. Im Ersten Weltkrieg entlässt man den Gemeinen 1916 wegen unerwähnt bleibender Disziplinwidrigkeiten aus dem Militärdienst, zieht ihn wieder ein, bringt ihn in ein Militärlazarett und verurteilt ihn als Deserteur zum Tode. Harry Graf Kessler rettet Grosz vor der Hinrichtung. Die letzten Monate des Krieges verbringt er in einer "Anstalt für Kriegsirre".

    Unter den Mitpatienten und in den Notizbüchern aus dem Krieg findet Grosz die Motive, die ihn berühmt machen: betrunkene, Frauenmörder, Trinker, Soldaten auf der Flucht, ohne Nase, ohne Arme, mit Stahlprothesen, Offiziere, die mit aufgeknöpfter Hose dicke Krankenschwestern umarmen, einen Lazarettgehilfen, der einen Eimer voller menschlicher Glieder in eine Grube schüttet. Im Weltkrieg entsteht jener George Grosz, der der Epoche ihre Unmenschlichkeit vorhält. Den Glauben an hehre Ideen hatte er nie besessen, jenen an den Menschen verliert er im Krieg, den an das Geld sollte ihm die Hyperinflation der nächsten Jahre rauben. Was bleibt da von der bürgerlichen Welt? Die Avantgarde kehrt ihr den Rücken zu, auch George Grosz. Er wird in Berlin Dadaist und organisiert Dada-Meetings, bei denen das Publikum beschimpft wird.

    "Also man sagte zum Beispiel: Sie alter Esel da vorne, nehmen Sie doch Ihre dämliche Brille ab! Und dann ging man noch viel weiter und sagte: Hör mal, lässt du dir das gefallen, Emil? Deutschland hat einfache Namen: Emil, Max, Fritz oder ... Und dann sagt man: Du da, was willst denn du, du gehörst hier gar nicht rein, raus mit dir! Das Merkwürdige war, dass der Mensch, und das habe ich nie vergessen, die Freude hat, wenn er beschimpft wird. So war ich zum Beispiel der 'Propagandada', und ich hatte erfunden etwas ganz Nettes, das habe ich heute noch. Ich hatte mir eine Karte machen lassen, 'Propagandada', und dann drehte man die Karte um: Wie denke ich morgen?"

    Ganz anders. Nach aufregenden Jahren lehrt George Grosz 1932 einige Monate Zeichnen in New York, und als das Angebot erneuert wird, verlässt er nach kurzem Zögern 1933 mit seiner Familie Deutschland, auch, weil ihn Nationalsozialisten mehrmals bedroht haben. Kurz darauf brennt der Reichstag, und sein Atelier wird von den neuen Machthabern verwüstet.

    Anders als viele Flüchtlinge, die um das trauern, was sie verloren haben, wendet Grosz den Blick nach vorn. Das "milde Ungeheuer", als das den Vierzigjährigen das Magazin "Time" bei seiner Übersiedlung begrüßt, bekehrt sich selbst mit aller Kraft zum fröhlichen amerikanischen Optimisten, bis das Schicksal endlich zurücklächelt und er nach anfänglichen Schwierigkeiten zwar kein luxuriöses, jedoch ein "decent life" in New York führen kann. Sein Geld verdient Grosz als Leiter einer Malschule und einige Jahre als Zeichner einer Zeitschrift. Für eigene Bilder ist auch Zeit, und sie scheinen, manchmal klassisch anmutend, von einem ganz anderen Künstler zu stammen.

    "Ich habe in Amerika was ganz Schönes erlebt und zwar so eine Art Landschaftserlebnis. Aber das gehörte mit zu einer Art, ich will es mal so sagen, zu einer Art von Kur. Also wenn sie zwischen diesen Steinbergen leben, dann sehnen sie sich natürlich nach einem ganz einfachen Leben zurück, vielleicht an der Ostsee. Und als ich ein Junge war, habe ich eigentlich nie die Ostsee richtig geschätzt. Ich meine, wir haben da gespielt und gebadet, und ich habe das eigentlich nie dargestellt. Aber es gibt einen wunderbaren Teil, und der ist am Cape Cod, und da finden Sie eigentlich und da fand ich die Landschaft, es klingt ein bisschen dichterisch, aber ich muss es sagen, die Landschaft meiner Jugend wieder."

    "Ein kleines Ja und ein großes Nein" ist kurzweilig erzählt und zeugt von der glänzenden Beobachtungsgabe des Malers. In der ersten, dem Leben in Deutschland gewidmeten Hälfte reiht das Buch kleine, gut erzählte Geschichten sowie kurze, leider nur anekdotische Porträts aneinander von Alfred Flechtheim, Bertolt Brecht, Richard Huelsenbeck, Else Lasker-Schüler, Walter Mehring, Kurt Tucholsky und vielen anderen. Die Zusammenarbeit mit Wieland Herzfelde beim linken Malik-Verlag, die Russlandreise mit dem berühmten linken Schriftsteller Alexander Nexö, die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung werden nur gestreift. Über die linke Politik der Weimarer Jahre schreibt Grosz nicht. Er will sich in der Ära des Kommunistenjägers McCarthy den amerikanischen Lesern erklären und hebt wohl daher seine Abneigung gegenüber der Masse, seine Begeisterung für das wimmelnde Leben hervor.

    In der zweiten Hälfte des Buches spielen die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland sowie die Schwierigkeiten, in der neuen Heimat Fuß zu fassen, eine große Rolle. Seltener sind Begegnungen mit Prominenten wie Ben Hecht, dem Journalisten und Drehbuchschreiber, bekannt als "Shakespeare von Hollywood".

    1959 zieht der Maler zurück nach Berlin und hofft auf 10, 20 schöpferische Jahre. Ein Zyklus mit dem Titel "Ein Stück meiner Welt" ist schon geplant, da stirbt George Grosz einsam in einem Treppenhaus.


    George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt.
    Im Anhang: Ulrich Becher, Der große Grosz und eine große Zeit. Mit zahlreichen Farbtafeln und Abbildungen.
    Schöffling Verlag. Frankfurt am Main 2009. 416 Seiten, 34,90 Euro