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"Eine Reihe von Herausforderungen"

Der Bonner Ökonom Moritz Schularick sieht US-Präsident Barack Obama nach seiner Wiederwahl vor erheblichen wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Sollte die "Lokomotive Amerika voll auf die Bremse" gehen, hätte dies auch spürbare Folgen für Deutschland.

Moritz Schularick im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 07.11.2012
    Sina Fröhndrich: Die Erwartungen an US-Präsident Obama sind also groß. Welche wirtschaftspolitischen Herausforderungen sich nun an ihn stellen, darüber habe ich mit Moritz Schularick gesprochen, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bonn. Zunächst die Frage an Ihn: ist die Wiederwahl Obamas nicht auch eine Bestätigung der Wirtschaftspolitik der vergangenen vier Jahre?

    Moritz Schularick: Das würde ich so nicht sagen. Die wirtschaftliche Situation hat schon eine sehr wichtige Rolle gespielt im Wahlkampf und war ja auch höchst umstritten. Romney und seine Anhänger haben natürlich darauf verwiesen, dass längst nicht alle wirtschaftlichen Indikatoren, Arbeitslosigkeit und Wachstum, sich gut entwickelt haben. Allerdings muss man doch sozusagen jetzt im Rückblick auf die letzten vier Jahre sagen, dass es viel schlimmer auch hätte kommen können, und etwa im Vergleich mit Europa steht die amerikanische Wirtschaft doch jetzt wieder sehr gut da. Das heißt, Obama hat schon eine Wirtschaftspolitik gemacht, die zumindest man nicht ganz eindeutig als Fehlschlag bezeichnen kann.

    Fröhndrich: Wenn wir jetzt mal genauer auf das schauen, was Obama in seiner zweiten Amtszeit erwartet: Er hat heute Nacht in seiner Rede nach der Wahl auch schon gesagt, Ihr habt mich gewählt, damit ich handele. In welchen Wirtschaftsfragen braucht es denn jetzt ein dringendes Handeln?

    Schularick: Das, was sofort ansteht und was ganz wichtig ist auch für den Konjunkturausblick, ist natürlich die sogenannte fiskalische Klippe, die da kommt, oder die "fiscal cliff", wie man auf Englisch sagt, also die schon jetzt beschlossenen Ausgabenkürzungen beziehungsweise Steuererhöhungen, die zum 1. Januar 2013 in Kraft treten, wenn es in der Zwischenzeit keinen Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern gibt, wie man sozusagen mittelfristig das hohe Defizit abbauen kann, ohne jetzt sozusagen alles auf einen Schlag im Januar zu machen und dadurch potenziell die Konjunktur abzuwürgen.

    Fröhndrich: Aber es gibt noch ein paar andere Herausforderungen, die da warten. Ich nenne mal die Arbeitslosigkeit, der hohe Schuldenstand.

    Schularick: Das werden, glaube ich, die Nummer zwei und Nummer drei. Da wird sich Präsident Obama Gedanken machen müssen, wie er wirklich viele der Jobs, die in den letzten Jahren im Zuge der Krise verloren wurden, wie und ob die überhaupt so schnell wieder zu beschaffen sind. Denn denken Sie daran: Ein Großteil der verlorenen Jobs hatte mit dem Immobilien-Boom zu tun, das waren Immobilien-Unternehmen, die in großem Umfang Leute entlassen haben - wir sehen in Europa eine ähnliche Entwicklung in Spanien gerade -, und die Frage ist halt, ob man so schnell Jobs in anderen Bereichen der Volkswirtschaft wird generieren können und wird herstellen können, um diesen Verlust auszugleichen. Und die strukturellen Herausforderungen, wenn wir an China denken, wenn wir an die De-Industrialisierung weiter Teile der USA denken, also dadurch, dass von Outsourcing und Verlagerung von Produktion in Länder außerhalb der USA doch eine große Zahl von Industriearbeitsplätzen verloren gegangen sind, wenn man das alles sozusagen in einen Topf wirft, dann kann man schon Bedenken haben, dass so schnell diese Arbeitslosenquote wieder auf ein Maß zurückgefahren wird, das wir mit Vollbeschäftigung assoziieren würden.

    Fröhndrich: Und aus Ihrer Sicht, welchen Weg sollte die Regierung Obama da jetzt einschlagen?

    Schularick: Na es gibt eine Reihe von Herausforderungen. Wir hatten ja die: Die Fiskalpolitik muss natürlich mittelfristig jetzt auf solide Füße gestellt werden. Die Defizite sind weiterhin sehr hoch, die Verschuldung explodiert. Aber man sollte doch sozusagen makroökonomische Vernunft walten lassen und nicht allzu dogmatisch da herangehen, sondern das sozusagen nach und nach tun und jetzt nicht in einem großen Schritt. Das wird die größte Herausforderung für Obama in den nächsten Wochen schon sein. Dann die amerikanische Volkswirtschaft von ihrer Orientierung auf den Immobiliensektor, auf den Finanzsektor und auf sozusagen eine Politik des billigen Geldes, davon wieder abzubringen und vielleicht wirklich dieses Industrielle, diese Wiederauferstehung der Industrie in Amerika voranzubringen, das ist eine zentrale Aufgabe. Und dann – ich meine, das hat im Wahlkampf eine große Rolle gespielt und die Antworten sind, glaube ich, beide Kandidaten schuldig geblieben: Was machen wir mit der zunehmenden Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft in Bezug auf sozioökonomische, soziale Ungleichheit? Die 99 Prozent, die seit vielen Jahren kaum Einkommenszuwächse hatten, stehen einem sehr reichen und sehr wohlhabenden ein Prozent gegenüber, das fast den Löwenanteil der Einkommensgewinne in den letzten Jahrzehnten abgeschöpft hat. Da wird man auch zu einem neuen Ausgleich kommen müssen. Wie das geschehen kann, hat auch Präsident Obama noch nicht klar gemacht.

    Fröhndrich: Sie haben die verschiedenen Probleme jetzt angesprochen. Allerdings muss man auch feststellen, dass es ja nicht wirklich mehr Spielraum für Obama gibt, denn die Mehrheitsverhältnisse etwa im Kongress, die haben sich kaum verändert. Sollten die USA jetzt diese wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff bekommen, welche Folgen sehen Sie für Europa und auch die gesamte Weltwirtschaft?

    Schularick: Wenn es in Amerika zum 1. Januar 2013 in der Tat zu diesen automatischen Ausgabenkürzungen und automatischen Steuererhöhungen in sehr hohem Umfang kommt, dann, glaube ich, wird die amerikanische Konjunktur einen erheblichen Dämpfer im nächsten Jahr verspüren. Wenn wir das dann zusammen sehen damit, dass auch die europäische Konjunktur, gerade auch die deutsche sich doch inzwischen mit rasanter Geschwindigkeit abgekühlt hat, und nicht sicher ist, ob wirklich die Euro-Zone im nächsten Jahr wieder wächst und auf die Beine kommt, und auch in China mit dem Wechsel und der doch etwas vorsichtigeren Politik der letzten Monate, sieht es für die Weltkonjunktur in dem Fall, dass sozusagen die Lokomotive Amerika voll auf die Bremse tritt, überhaupt nicht gut aus.

    Fröhndrich: Soweit der Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.