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"Eine schreckliche Nachricht für Italien"

Monica Frassoni, EU-Parlamentarierin der Grünen, hat das Ergebnis der Parlamentswahlen als Blamage für Italien bezeichnet. Gerade die Beteiligung der rechten Lega Nord an dem Berlusconi-Bündnis sei erschreckend, betonte Frassoni. Gleichzeitig räumte sie Fehler der Linken und Grünen ein. Man hätte sich besser gegen Berlusconi verbünden müssen.

15.04.2008
    Schütte: Er hat es wieder geschafft. Erneut kann er sein strahlendes Siegerlächeln aufsetzen. Die Mehrheit der Italiener hat dem Cavaliere ihre Stimme gegeben. Seine Wähler haben ihm offenbar alles Mögliche verzeihen können: nicht eingelöste Wahlversprechen in früheren Tagen, Gesetzesänderungen zu seinen persönlichen Gunsten, Interessenskonflikte durch seine Macht auf staatliche wie private Medien. All dem zum Trotz heißt zum dritten Mal der neue Regierungschef in Rom Silvio Berlusconi.

    "Ein Italiener allein, das ist ein "Latin Lover". Wo auch immer sich zwei Italiener an einem Ort befinden, da entsteht ein Chaos. Und wenn drei Italiener aufeinander treffen, dann gründen sie vier Parteien." Das war ein Ausspruch von Beppe Grillo, - bekannter italienischer Kabarettist - vor den Parlamentswahlen. Damit kritisierte er das zersplitterte Parteiensystem in Italien. Nun ist einmal mehr Silvio Berlusconi der Sieger - nicht unerwartet, aber im Ergebnis war sein Vorsprung dann größer als von manchen gedacht. Mit Blick auf die wechselnde Geschichte italienischer Regierungen bleibt aber die Frage: Wie lange wird er sich halten?

    Über die Situation im Land sprechen wir nun mit Monica Frassoni. Sie sitzt für die Partei der italienischen Grünen im Europaparlament und ist dort Fraktionschefin. Guten Morgen Frau Frassoni!

    Frassoni: Guten Morgen!

    Schütte: Berlusconi ist zurück. Wie erklären Sie das Ihren Kollegen von der EU?

    Frassoni: Ich glaube es gibt viele Gründe. Wir dürfen nicht vergessen, dass Berlusconi großen Einfluss auf die Medien hat. Das ist natürlich wichtig. Wir können auch nicht vergessen, dass die Partito Democratico kaum eine Kampagne gegen Berlusconi gemacht hat, jedoch sehr viel gegen die Linke, und sie hat auch überhaupt nicht die Ergebnisse von Prodi verteidigt. Ich glaube es gibt auch ein Problem in der politischen Debatte in Italien, die total anders als im Rest von Europa ist. Dort spricht man überhaupt nicht vom Klimawandel. Man spricht überhaupt nicht von Ökonomieproblemen, sondern nur über Steuern. Die Debatte ist wirklich nicht wie im Rest von Europa und deswegen haben die politischen Parteien, die sich mehr europäisch fühlen, eine sehr, sehr harte Zeit jetzt in Italien.

    Schütte: Stichwort Europa. Mit Blick auf die Reaktionen im Ausland, ist das Wahlergebnis für Italien eine Blamage?

    Frassoni: Ich glaube schon! Wenn man denkt, dass die Lega Nord acht Prozent hat und dass in meiner Region (der Lombardie) ungefähr ein Wähler auf vier die Lega wählt, dann ist das wirklich ein Problem, weil das ist eine Partei, die überhaupt nichts von ihrem gewaltigen Diskurs gelassen hat. Sie ist nicht mehr vernünftig geworden. Bossi hat vor einer Woche gesagt, wenn wir nicht gewinnen, dann sollten wir die Waffen nehmen. Ich glaube also es gibt wirklich eine Anomalie von Italien, die natürlich auch unsere Schuld als Linke und als Grüne ist. Ich glaube nicht, dass wir nur sagen können, die italienischen Leute sind dumm. Das kann man überhaupt nicht sagen. Ich glaube aber, dass es ein Problem gibt, dass Italien weit weg von Europa geht.

    Schütte: Eine Blamage sagen Sie. Allerdings traut die Mehrheit in Italien Berlusconi offensichtlich zu, dass er das Land aus der wirtschaftlichen Krise führt.

    Frassoni: Ja und das ist für mich unglaublich. Das ist gerade das, was ich gesagt habe. Wenn Sie die Debatte in den Medien sehen: Die sprechen über ein Land, das eigentlich nicht da ist. Das ist ein wenig das Problem, was wir jetzt sehen. Eigentlich muss ich sagen, dass ich wirklich hoffe, dass diese Regierung etwas Gutes machen wird, weil sie haben auf jeden Fall eine gute Mehrheit. Wenn sie das nicht schaffen, dann wird es Italien noch schlimmer gehen. Natürlich kann ich mir das als Italienerin und als Europäerin nicht wünschen. Ich glaube aber wirklich nicht, dass sie bereit sind, Italien zurück in eine bessere Form zu bringen.

    Schütte: Viele Intellektuelle Italiens hatten im Vorfeld dazu aufgerufen, die Wahl zu boykottieren. Die meisten haben dann doch gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 82 Prozent. Dennoch: Die Politikmüdigkeit im Land ist groß. Hätte das eigentlich nicht die Stunde der kleineren Parteien sein müssen wie beispielsweise der Grünen?

    Frassoni: Nein, ich glaube nicht. Die Kampagne von Partito Democratico war wie gesagt nicht eine Kampagne, um zu gewinnen. Wenn sie eine Kampagne gemacht hätten, um zu gewinnen, dann hätten wir eine Allianz mit uns gemacht. Das Problem von Partito Democratico war eigentlich, dass sie alleine eine Mehrheitspartei bilden wollten, weil sie denken, dass es besser für sie und für Italien ist. Ich glaube das war ein großer Fehler und die einzelnen Ergebnisse, die sie erreicht haben, beruhen eigentlich darauf, Stimmen von den Linken und Grünen zu nehmen und überhaupt nichts von den Rechten und aus dem Zentrum der italienischen Bevölkerung zu nehmen. Das ist wie gesagt auch unsere Schuld. Ich kann nicht sagen, dass es nur die Schuld der Partito Democratico ist. Ich glaube, dass wir auch als Grüne und als linke Parteien viele Fehler gemacht haben. Wir waren wie gesagt und sehr kurz neu genug.

    Schütte: Was hätten sie jetzt im Rückblick besser machen sollen?

    Frassoni: Die Regierung Prodi war eine gute Regierung. Das haben wir als Grünen eigentlich immer gesagt, auch wenn niemand das gehört hat. Ich glaube wir hätten uns besser so verhalten, nicht so viel darüber zu streiten. Das war wirklich ein Fehler. Zudem gab es auch eine Schwierigkeit, die die Leute etwa in Deutschland, Frankreich oder Belgien nicht haben, weil es gibt keine Empfindlichkeit zum Thema Klima und Umwelt in Italien - überhaupt nicht. Da wir diese Dinge wirklich als äußerst wichtig betrachten, haben wir deshalb überhaupt keine Stimme in der Debatte. Ich glaube, dass diese zwei Sachen sehr schlimm für uns waren.

    Schütte: Nun ist Berlusconi zurück und wird sich auch in Brüssel gewissermaßen einmischen müssen. Kann er dort Themen wie Klimawandel überhaupt noch ignorieren?

    Frassoni: Nein! Er kann nicht, aber er wird das versuchen. Das ist das Problem. Ich glaube, auch wenn die Leute sehr viel über Klimawandel hier in Brüssel sprechen, sie machen sehr wenig. Wir haben unheimliche Schwierigkeiten, Gesetzgebungen durchzusetzen, die ein gutes Signal gegen den Klimawandel bedeuten. Es ist somit wirklich ein Pech, dass wir die Prodi-Regierung verlieren, weil jetzt wird Berlusconi mehr in Richtung von etwa der deutschen Autoindustrie oder den Nuklearambitionen von Sarkozy gehen. Somit ist das wirklich keine gute Nachricht für Italien, eine schreckliche Nachricht für Italien, aber ebenso keine gute Nachricht für Europa.

    Schütte: Berlusconi hat aber auch angekündigt, er würde in vielen Themen jetzt auf die Opposition zugehen und mit der Opposition (sprich mit dem Mitte-Links-Bündnis) zusammenarbeiten. Kann er es sich denn da überhaupt noch leisten, aus Rom wie zuvor gegen Brüssel zu arbeiten?

    Frassoni: Ja, ich glaube schon. Er hat wie gesehen immer noch viele Leute gegen sich. Somit ist es unsere Aufgabe als Opposition, auch wenn wir keine gewählten Personen im Parlament haben, gerade diese Themen immer und immer wieder zurückzubringen, weil ich glaube nicht, dass Italien ein verlorenes Land ist. Das ist nicht so! Ich denke aber das wird sehr schwierig sein, weil die Industrie, die Großindustrien und die italienische Bevölkerung vor allem im Norden des Landes überzeugt davon sind, dass wir mehr Autobahnen, mehr Autos, mehr Freiheit haben müssen, um alles zu verschmutzen. Das ist das Problem. Zudem gibt es aber auch noch ein kulturelles Problem bei uns und wir waren nicht bereit, darauf einzugehen und Antworten zu finden.

    Schütte: Monica Frassoni, italienische EU-Abgeordnete und Fraktionschefin der Grünen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Frassoni: Danke! Auf Wiederhören!