Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Eine schwere innenpolitische Krise"

Das Ultimatum des Militärs sei ein Zeichen für einen Putsch, meint Rolf Mützenich (SPD). Doch die Militärregierung sei vor einem Jahr froh gewesen, die politische Verantwortung abzugeben. Den Appell habe er deswegen als Aufforderung an alle Beteiligten zum Dialog verstanden.

Rolf Mützenich im Gespräch Peter Kapern | 02.07.2013
    Peter Kapern: Blicken wir also noch einmal auf die Situation in Ägypten. Der Verteidigungsminister stellt dem Präsidenten ein Ultimatum, die Forderungen der protestierenden Bürger zu erfüllen. Der Präsident lässt die Fristsetzung zurückweisen. Unterdessen reichen reihenweise Minister der ägyptischen Regierung ihren Rücktritt ein. Bahnt sich da ein Putsch an? Eine Frage, die uns jetzt vielleicht der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, beantworten kann. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Mützenich, wie beurteilen Sie die Situation dort in Ägypten? Steht das Land kurz vor der Katastrophe oder kurz vor der Entspannung der Situation?

    Mützenich: Das ist eine schwere innenpolitische Krise, die sich möglicherweise in den nächsten Stunden auch noch zuspitzen wird. Ich finde, auf der anderen Seite müssen wir auch noch mal zur Kenntnis nehmen, dass gerade die Bürgerinnen und Bürger, die gegen Präsident Mursi, aber auch für bessere Lebensbedingungen demonstrieren, zurzeit sehr friedlich demonstrieren, und deswegen ist es auch wichtig, dass die staatlichen Institutionen mit Gesprächsangeboten reagieren.

    Kapern: Das Militär hat Mursi – ich greife das noch mal auf – 48 Stunden gegeben, um Forderungen der protestierenden Bürger zu erfüllen. Ist das etwas anderes als eine verklausulierte Aufforderung zum Rücktritt?

    Mützenich: Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, ohne Zweifel, aber ich habe diesen Appell auch nicht nur an Präsident Mursi gerichtet verstanden, sondern an alle politischen Institutionen und politischen Bewegungen, wozu auch diese sehr bunte Oppositionsbewegung gehört, und wir sehen ja zum Beispiel, dass hier ein sehr uneinheitliches Vorgehen ist, einige, die auf Gesprächsangebote, die ja auch Präsident Mursi geäußert hat, eingehen wollen und andere, die sozusagen als Vorbedingungen seinen Rücktritt verlangen. Deswegen, glaube ich, ist es dringend notwendig, dass auch andere Länder, Partner auch darauf hinweisen, das muss friedlich sein und das muss auch im Dialog gelöst werden.

    Kapern: Das heißt also, Sie gehen im Moment noch nicht davon aus, dass dort ein Countdown für einen Militärputsch läuft?

    Mützenich: Es ist ein sehr deutliches Zeichen, was hier auch die Armeeführung gerichtet hat. Auf der anderen Seite habe ich es in den vergangenen Monaten so erlebt, dass die Militärregierung, die ja nun immerhin anderthalb Jahre an der Macht gewesen war nach den Umbrüchen, auch in Ägypten sehr froh darüber gewesen ist, politische Verantwortung abzugeben, weil sie ja letztlich auch nicht die Lösung hatten. Deswegen habe ich den Appell in der Tat so verstanden, dass die immer noch relativ friedliche Situation genutzt werden muss, dringend genutzt werden muss von allen Beteiligten, zu politischen Gesprächen zusammenzukommen, ob es möglicherweise Neuwahlen für den Präsidenten gibt und ob dies sozusagen auch eine Lösung des politischen Konfliktes bedeuten könnte.

    Kapern: Lässt sich eigentlich der Kardinalfehler von Mohammed Mursi, den er gemacht hat und damit sein Land in die derzeitige Situation gebracht hat, lässt sich dieser Kardinalfehler aus Ihrer Sicht definieren?

    Mützenich: Er hat ja nun mehrere Fehler gemacht, insbesondere in der Innenpolitik, und ich glaube, sozusagen der letzte Tropfen, der in ein überlaufendes Fass gekommen ist, war die Ernennung eines Gouverneurs, der ja nun wirklich eine sehr zwielichtige Biografie hatte. Und wir sehen gerade in der innenpolitischen Entwicklung, dass Präsident Mursi offensichtlich unfähig war, auch unterschiedliche Interessen zueinander zu bringen. Auf der einen Seite definiert er sich als Präsident aller Ägypter, auf der anderen Seite scheint er, eine Agenda zu verfolgen, die insbesondere im Interesse der Muslimbruderschaft ist. Aber hier gibt es eben auch mittlerweile Politiker, die glauben, er setzt das auf das Spiel, für das die Muslimbruderschaft Jahrzehnte auch eingetreten ist, nämlich auch politischer Akteur zu sein, und das ist auch eine schwerwiegende Krise nach meinem Dafürhalten in der Muslimbruderschaft selbst.

    Kapern: Andererseits, Herr Mützenich, muss man ja festhalten: Die Muslimbruderschaft hat Wahlen gewonnen und Mohammed Mursi hat eine Mehrheit für seine Verfassung bekommen. Zählt diese Form der Legitimität gar nichts mehr?

    Mützenich: Die zählt auf jeden Fall. Deswegen habe ich ja auch darauf hingewiesen, dass dieser Appell von der Armeeführung an alle Beteiligten gerichtet gewesen ist. Man kann nicht jemand, der in relativ freien und offenen Wahlen ja dann doch in den Durchgängen eine deutliche Mehrheit bekommen hat, sozusagen über allein Demonstrationen letztlich auch stürzen. Das ist nicht angebracht, das kann nur in politischem Dialog erfolgen innerhalb einer sehr schwerwiegenden innenpolitischen Krise.

    Kapern: Hat denn Ihrer Meinung nach die Opposition politisches Personal aufzubieten, das versöhnend wirken kann, so wie Sie das im Moment für notwendig halten?

    Mützenich: Ich bezweifele, dass es sozusagen ein breites Personal gibt, weil wir ja sehr stark immer noch mit Personen konfrontiert sind, die auch in relativ freien Wahlen eben keine Legitimation bekommen haben, keine Mehrheit und auch sehr zerstritten sind. Das ist ja auch das große Problem in den Ländern der Umbrüche in der arabischen Welt, dass gerade hier oppositionelle Bewegungen, die sich eben nicht religiösen Kreisen zugeordnet fühlen, nicht in der Lage sind, breitere Koalitionen zu bilden. Ob sich jetzt möglicherweise in Ägypten auch durch diesen Weckruf vonseiten des Militärs etwas verändert, ist eine andere Frage. Es ist ja auch eine doppelte Funktion, die leider dieses Militär auch in Ägypten hat: Auf der einen Seite für viele Menschen ein Stabilitätsfaktor, zumindest was die Sicherheit bedeutet, auf der anderen Seite dürfen wir nicht verkennen, die Armee hat auch sehr starke wirtschaftliche Interessen in der Innenpolitik, also auch an Pfründewirtschaft sehr stark interessiert.

    Kapern: Also wenn die Opposition auch den Politiker nicht aufzubieten hat, der Ruhe und Stabilität für Ägypten bringt, was können dann Neuwahlen bringen?

    Mützenich: Ich habe dafür keine einfache Lösung. Was in der Tat in den nächsten Stunden erreicht werden muss, ist insbesondere, dass die wirklich vorbildhaften Proteste der Bevölkerung, die in der Tat ja friedlich verlaufen, auch möglicherweise in der Opposition stärker gehört werden. Wir haben hier viele nach meinem Dafürhalten auch talentierte junge Aktivistinnen und Aktivisten, die auch gerade in die Oppositionsbündnisse integriert werden müssen, was dann in der Tat, wenn es diesen Dialog gibt, möglicherweise auch zu Neuwahlen führt. Da wäre es wichtig, dass natürlich auch die unterschiedlichen Oppositionen endlich zueinanderfinden.

    Kapern: Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, heute Früh im Deutschlandfunk. Herr Mützenich, danke für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Mützenich: Ja, das wünsche ich Ihnen auch.

    Kapern: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.