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Eine schwierige Nachbarschaft

Eigentlich sollte Viktor Janukowitsch in zwei Tagen Brüssel besuchen, doch heute teilte die EU mit, dass das Treffen auf einen unbestimmten Zeitpunkt verlegt wird. Nach dem Urteil gegen die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko könnte die politische und wirtschaftliche Annäherung der Ukraine an die EU in Gefahr geraten.

Von Doris Simon | 18.10.2011
    "Das ist ein historischer Moment für mein Land: In welche Richtung bewegen wir uns? Wir teilen die europäischen Werte, und es ist von entscheidender Bedeutung für uns, den Abschluss dieses Abkommens hinzubekommen,"

    sagte der frühere ukrainische Außenminister Arsenyi Yatseniuk. Doch das Assoziierungs- und das Freihandelsabkommens mit der EU ist seit dem Urteil gegen die frühere ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko in Gefahr und damit auch der Besuch des ukrainischen Präsidenten am Donnerstag in Brüssel. Vor einer Woche hatte ein Gericht in Kiew Timoschenko zu sieben Jahren Haft und 137 Millionen Euro Strafe verurteilt, Begründung: Sie habe ein für die Ukraine nachteiliges Abkommen mit Russland abgeschlossen. Aus Sicht der Europäischen Union ein eindeutig politisch motivierter Urteilsspruch. Rechtsstaat und unabhängige Justiz seien grundlegende Europäische Werte, reagierte EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton, mit ihrem Vorgehen gegen Timoschenko und andere Oppositionspolitiker riskiere die Ukraine ihre Annäherung an die Europäische Union:

    "Der Prozess entsprach nicht internationalen Standards von Transparenz, Fairness und unabhängigen Gerichtsverfahren. Ich habe das mehrfach angemahnt. Was wir nun erleben, zeigt, dass in der Ukraine die Rechtsprechung nicht unabhängig ist. Das gilt für die aus unserer Sicht politisch motivierten Verfahren gegen Führer der Opposition und gegen frühere Regierungsmitglieder."

    Zwar drängen einige EU-Regierungen in Mittel- und Osteuropa trotz des Falles Timoschenko auf den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und Europa. Doch andere, allen voran Frankreich und vor allem Deutschland, wollen keine wirtschaftliche Annäherung, wenn sich die Ukraine nicht bewegt in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte. Das hatte Bundeskanzlerin Merkel dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch am Rande des Ost-Partner-Treffens in Warschau deutlich gesagt. Das politische Assoziierungsabkommen mit der EU und das weitgehende Freihandelsabkommen, an dem die Ukraine vor allem interessiert ist, gehören auch für Bundesaußenminister Westerwelle untrennbar zusammen.

    "Der Weg nach Europa führt über eine Brücke mit 3 Pfeilern: Innere äußere Frieden, Demokratie und insbesondere die Rechtsstaatlichkeit."

    Heute könnte das ukrainische Parlament eine nachträgliche Änderung der Rechtslage beschließen, wodurch Timoschenko amnestiert würde. Doch aus europäischer Sicht wäre dies wohl nur ein erster Schritt: Schließlich läuft inzwischen ein weiteres Verfahren gegen die frühere ukrainische Regierungschefin. Ihr wird nun vorgeworfen, sie habe in den neunziger Jahren als Chefin des Staatskonzerns "Vereinigte Energiesysteme" rund 295 Millionen Euro veruntreut. Zudem gibt es in der Ukraine nicht nur den Fall Timoschenko, sondern ein gutes Dutzend weiterer Verfahren gegen ukrainische Oppositionspolitiker. Es gehe um weit mehr als um Julia Timoschenko, sagt der frühere Außenminister Arsenyi Yatsenjuk:

    "Timoschenko muss zweifelsohne frei kommen. Da geht’s nicht um den persönlichen Fall, sondern um die Demokratie. Timoschenko ist einer der Pfeiler der Opposition. Sie muss frei kommen und die politische Verfolgung muss aufhören."