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"Eine Transaktionssteuer ist richtig"

Auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin ist DGB-Chef Michael Sommer wiedergewählt worden. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie Michael Vassiliadis sagt über Sommer, er habe den DGB stets gut zusammengehalten.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Dirk Müller | 17.05.2010
    Dirk Müller: Am Telefon dort begrüße ich nun Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Guten Morgen!

    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Vassiliadis, Michael Sommer braucht sich keine Sorgen machen, weil Sie ihn auch wählen heute Morgen?

    Vassiliadis: Das ist keine Frage. Ich werde ihn wählen, natürlich, er ist von uns nominiert worden und insofern: Ich persönlich werde ihn wählen und die IG BCE wird ihn wählen und ich glaube auch, dass das keine Frage ist heute im Kongress.

    Müller: Weil Michael Sommer erfolgreich war?

    Vassiliadis: Weil Michael Sommer in den letzten Jahren den DGB bei all den schwierigen Themen, die Ihre Anmoderation auch deutlich gemacht haben, zusammengehalten hat, und das alleine ist schon ein wichtiger Punkt, und wir hoffen, dass von diesem Kongress mit ihm, aber natürlich auch mit unserer Unterstützung ein Signal für ein paar Zukunftsdiskussionen und Zukunftsthemen ausgehen. Die braucht nämlich auch der DGB.

    Müller: Wenn die Gewerkschaften gelobt werden, ganz öffentlich von Angela Merkel gestern, ist das nicht ein schlechtes Zeichen?

    Vassiliadis: Mich freut das. Wir sind das gewohnt, weil ich glaube, das es eine Normalität geben muss. Wenn man wirklich gute Arbeit macht, nicht einfach nur als Kulturbeitrag, sondern wirklich gute Arbeit macht, dann gehört es sich dazu, dass die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen tragenden Kräfte sich gegenseitig stützen, unterstützen und eine sachliche Arbeit zusammen machen. Die Kanzlerin hat das gestern gewürdigt und wir haben ja auch die Beiträge der Bundesregierung, sowohl Schwarz-Rot als auch jetzt mit Hinblick auf die Kurzarbeit, die Politik der unterstützenden Kurzarbeit gelobt. Insofern muss man solche Dinge auch einfach als Normalität anerkennen.

    Müller: Dennoch haben Sie ja in den vergangenen Jahren Hunderttausende von Mitgliedern verloren. Warum soll die Gewerkschaft dann dennoch erfolgreich sein?

    Vassiliadis: Das ist ja der Punkt, über den ich gerade gesprochen habe. Wir haben auf der einen Seite wichtige Beiträge geleistet in den Unternehmen und durchaus auch in der Gesellschaft, die Reformprozesse, die eben auf unserer Gesellschaft liegen, mit zu begleiten – auch zum Teil sehr kritisch, das ist wohl wahr. Das ist aber auch notwendig gewesen. Zugleich sind wir als Mitgliederorganisationen nicht erfolgreich, nicht so erfolgreich, wie wir sein müssten. Wir müssen neue Beschäftigtengruppen erreichen, und da gibt es zwei Welten. Das eine ist, der wirklich in großem Maßstab gewachsene Bereich der prekären Beschäftigung. Das ist ja ein großes Thema der letzten Jahre gewesen. Aber wenn ich an meine Organisation denke, gibt es auch eine andere Seite, nämlich hoch qualifizierte Beschäftigte in der Wissensgesellschaft, die auch nicht aus der Schule direkt in die gewerkschaftliche Mitgliedschaft überwechseln. Also wir haben da ein bisschen was zu tun!

    Müller: Vielleicht kommt aber Kooperation, oder auch Schmusekurs, wenn man es so nennen will, gar nicht so gut an bei den potenziellen Mitgliedern?

    Vassiliadis: Kann ich nicht bestätigen. Unsere Organisation setzt ja seit vielen Jahren auf einen konstruktiven Kurs mit den Arbeitgebern und einen sachbezogenen Kurs in der Sache, und unsere Mitgliederentwicklung in den Bereichen, die ich angesprochen habe, ist zumindest tendenziell etwas besser. Es ist eher so – und dafür waren jetzt die letzten Monate sicherlich auch wichtig -, dass wir als Institution anerkannt sind, von vielen vielleicht nicht geliebt, aber anerkannt, beispielsweise in den Betriebsratswahlen werden wir ja sehr gut gewählt, aber ob man das mit einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft und Mitwirkung verbindet, scheint eine andere Sache zu sein. Da müssen wir unsere Angebote verändern.

    Müller: Wenn die Gewerkschaften nicht mehr kämpfen, ist eine These, dann braucht man auch nicht beitreten?

    Vassiliadis: Das weiß ich nicht. Wir kämpfen ja! Es ist ja nicht so, als wenn das nicht passieren würde. Aber ich glaube, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Thema Konflikt und Kampf, wie Sie ihn nennen, bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft eher gut ankommt, als dass man sozusagen so einen Aktionismus vordergründig als Werbeargument einsetzt. Das kann ich also nicht befürworten und auch nicht feststellen bei unseren Kolleginnen und Kollegen.

    Müller: Herr Vassiliadis, wir haben ja eben gemeinsam die Äußerungen von Michael Sommer gehört. Was machen Sie denn jetzt, wenn die Geduld am Ende ist?

    Vassiliadis: Es ist zunächst einmal ein Gefühl und eine Stimmung, die auch bei den Belegschaften spürbar ist, die eher daraus resultiert, dass man sagt, kann man denn gegen diese Spekulanten und Spekulationen nichts unternehmen und was tut Politik und was tut auch Gewerkschaft. Das heißt, es geht zunächst einmal darum, die richtigen Themen herauszufiltern. Gestern hat die Kanzlerin ja durchaus Punkte genannt, beispielsweise die Frage national gestaltbarer Politik, oder europäisch gestaltbarer Politik. Sie hat allerdings sehr deutlich eingeräumt, dass man viele, viele dieser Fragen nur international und koordiniert angehen kann. Den Druck, den wir dort machen, werden wir beispielsweise auch unterstützen im Vorfeld des G20-Gipfels in Toronto, indem wir auch sehr deutlich machen werden, dass es nicht nur eine Frage von Regierungen ist, die dort miteinander verhandeln, sondern dass auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit darüber reden. Unmittelbar nach dem G20-Gipfel wird ja in Vancouver der internationale Gewerkschaftsbund zusammenkommen. Also es gibt auch eine gewerkschaftliche Diskussion. Allerdings müssen wir mit der Bundesregierung noch mal darüber reden, dass diese Erkenntnis, dass man es nicht alleine durchsetzen kann, nicht dazu führen kann, dass man die Forderung aufgibt. Also eine Transaktionssteuer ist richtig, auch wenn die Kanzlerin sagt, sie kann es im Moment nicht durchsetzen.

    Müller: Aber das mit den Gewerkschaften, dass die international eben genau das fordern sollen, auf ihre Fahnen schreiben sollen, das hat Angela Merkel Ihnen ja gestern vorgeschlagen.

    Vassiliadis: Das werden wir auch machen. Aber das war sowieso schon, das brauchten wir nicht mit dem Vorschlag der Kanzlerin verbinden, sondern das werden wir machen. Es gibt natürlich noch weitere Vorschläge mit Blick – Sie haben das in der Anmoderation gesagt – auf Rating-Agenturen. Es gibt die ganze Frage, wie man auch Bilanzierungsrecht so gestalten kann, dass auch in den Unternehmen nicht die tendenzielle Motivation entsteht, Spekulationen und Risikogeschäfte zu machen. Also es gibt auf allen Ebenen etwas zu gestalten. Ich persönlich bin zum Beispiel auch der Meinung, dass die Bankenabgabe zwar nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein ist, aber nicht schlecht.

    Müller: Sehen Sie denn da eine ausreichende Mehrheit bei den internationalen Gewerkschaften?

    Vassiliadis: Bei den internationalen Gewerkschaften sehe ich absolut die Mehrheit dazu. Wir werden da sehr einig und klar die Positionen formulieren. Es ist eher eine Frage, ob die Profiteure gerade dieser spekulativen Geschäfte – das sind vor allen Dingen natürlich Teile des Finanzmarktes in den USA, in London und in Asien – dem ganzen ein grünes Licht geben. Das ist das eigentliche Thema. Es gibt eben auch Regionen und Menschen, die davon sehr profitieren.

    Müller: Reden wir über das, Herr Vassiliadis, was innenpolitisch besonders weh tut, arbeitsmarktpolitisch besonders weh tut. Ist der Mindestlohn nicht das Mindeste?

    Vassiliadis: Der Mindestlohn ist das Mindeste, darum heißt er ja auch so, und die Kanzlerin hat gestern ja keine generelle Absage gemacht. Sie hat gesagt, wir wollen weitergehen und zügig weitergehen in der Mindestlohnfrage mit Blick auf die Branchen, die es besonders benötigen. Sie hat auch den 1. 5. 2011 angesprochen mit Blick auf die Freizügigkeit und die Notwendigkeit, hier in vielen Branchen etwas zu tun. Beide Dinge kombiniert war ein klares Signal, dass sie das Thema und das Problem erkannt hat. Der Unterschied in der Position liegt darin, dass der DGB in Gänze sagt, es muss einen flächendeckenden, für alle Branchen gleichen Mindestlohn geben und sie dem eine Absage erteilt hat. Das heißt aber nicht, dass Mindestlöhne gestern nicht konstruktiv diskutiert worden sind.

    Müller: Aber damit geben Sie sich zufrieden, wenn das erst mal branchenüblich geregelt wird?

    Vassiliadis: Unsere Position, die Position des DGB lautet ja, dass wir einen flächendeckenden obligatorischen Mindestlohn wollen. Aber das wichtigste ist natürlich, dass wir einen Einstieg bekommen – den haben wir ja -, dass wir dort, wo die Not am größten ist, vom Fleck kommen. Wir können das ja nicht zur unendlichen Grundsatzdebatte machen, sondern man muss beides tun. Man muss mit der Bundesregierung weiter über die Branchen reden, beispielsweise auch in der Leiharbeit, in der Zeitarbeit haben wir so ein Thema, dass wir dort vom Fleck kommen und dass wir gleichzeitig über den Grundsatz weiter streiten, diskutieren und ihn dann möglichst durchsetzen.

    Müller: Aber früher wären die Gewerkschaften dafür noch auf die Straße gegangen?

    Vassiliadis: Nein. Früher wären die Gewerkschaften für gute Tarifverträge auf die Straße gegangen.

    Müller: Mindestlohn ist jetzt ein anderes Thema, diese Auseinandersetzung hat ein anderes Gesicht. Aber sind die Gewerkschaften tatsächlich stark genug in ihrem Druck auf die Bundesregierung?

    Vassiliadis: Ich glaube schon, dass wir dieses Thema in den Gesprächen, die wir führen – das hat mit Druck noch wenig zu tun, da haben Sie völlig Recht; wir haben ja nicht dafür gestreikt, oder sind dafür auf die Straße gegangen in dem Sinne, dass wir die Regierung unter Druck setzen. Das machen wir vor allen Dingen deshalb nicht, weil es eine ganz spezifische Besonderheit gibt. Eigentlich sind die Gewerkschaften in Deutschland immer so positioniert gewesen, dass sie selber in ihrer tariflichen Verantwortung mit ihren Arbeitgebern die tariflichen Mindestbedingungen aushandeln, und da gibt es ja auch den Streik bekanntermaßen. In Fortsetzung dessen, dass wir jetzt von der Regierung eine solche, sagen wir mal, Mindestsicherung erwarten, ist das Thema Auseinandersetzung auf einer anderen Ebene. Wir versuchen, das sozusagen mit dem Parlament in einer Gesetzesinitiative voranzubringen. Das eigentliche Ziel, das wir haben, ist auch in den Bereichen, in denen heute Mindestlöhne notwendig sind, eigentlich gewerkschaftlich aktiv zu werden.

    Müller: Aber Sie sprechen und reden ja von Gesprächen. Das heißt, die Geduld (im Gegensatz zu Michael Sommer) ist bei Ihnen noch nicht am Ende?

    Vassiliadis: Nein! Das ist ein völlig normaler Prozess. Die Geduld ist bei mir noch nicht am Ende. Das ist ein ganz normaler Prozess, Mehrheiten zu finden, und ich sehe auch, dass in der Wahrnehmung vieler Parlamentarier und auch der Regierung Veränderungen festzustellen sind, so ähnlich wie ich das gerade sagte. Die sehen natürlich auch den Bedarf in vielen Branchen, wo wir wirklich völlig ungeregelte Verhältnisse haben, und unabhängig mal von politischen Auseinandersetzungen: diejenigen, die verantwortlich mit dem Thema umgehen, sehen das. Ob das immer in einem einheitlichen Format mit einer Zahl und in einer Vorgehensweise dann immer funktioniert, das ist in der Realität manchmal ein bisschen bunter.

    Müller: Und die Rente mit 67 können wir auch vergessen?

    Vassiliadis: Die Rente mit 67 ist ja ein ganz aktuelles Thema, weil wir in diesem Jahr – das hat ja der Gesetzgeber selber verankert – eine Revisionsklausel haben und die muss ja in diesem Jahr behandelt werden im Parlament.

    Müller: Wissen Sie schon, wie es ausgeht?

    Vassiliadis: Nein, weiß ich nicht, aber wir waren ja eine der treibenden Kräfte, die diese Revisionsklausel damals bei der Agenda 2020 wollten, weil wir immer gesagt haben, die eine Begründung für die Rente mit 67 ist die demografische Struktur unserer Bevölkerung. Die ist ja Realität, das kann man ja nicht vom Tisch wischen. Und die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung, die kann man auch nicht vom Tisch wischen. Die andere Seite der Medaille – und die wurde damals nicht wirklich ausreichend gewürdigt – ist: Wie machen wir das denn mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in dem Alter sind und die auf eine Arbeitswelt treffen, wo für sie kein Angebot ist, und wenn sie im Arbeitsprozess sind der Arbeitsprozess so organisiert ist und so gestaltet ist, dass sie das gar nicht können? Deswegen muss diese Revisionsfrage zwei Themen beinhalten. Das eine ist: Wie gehen wir jetzt weiter um mit dem Zeitplan der Rente mit 67? Da sagen wir, wir sind noch nicht an dem Punkt, dass wir mit ruhigem Gewissen sagen können, wir können auf grün schalten. Und das zweite ist: Was unternehmen wir denn jetzt, damit Menschen, die älteren Jahrgangs sind, in der Arbeit bleiben können, sowohl weil die Arbeitsplätze eben auch zur Verfügung stehen, und zweitens, weil sie so geschaltet sind, dass sie auch gesund bleiben.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Vassiliadis: Vielen Dank, Herr Müller.