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"Eine völlig neue Philosophie des gesamten Punktsystems"

Ob das neue Punktesystem für Verkehrsvergehen gerechter sei, ziehe er in Zweifel, sagt der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Gerhard von Bressensdorf. Es erschließe sich ihm nicht, warum man die Punktespanne reduziere und damit weniger Differenzierungsmöglichkeiten habe.

Gerhard von Bressensdorf im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.02.2012
    Sandra Schulz: Schon die umgangssprachliche Bezeichnung lässt erkennen, dass unser kommendes Thema durchaus religiöse Bezüge hat. Von der Verkehrssünderdatei sprechen wir meistens, wenn die Rede ist vom Verkehrszentralregister in Flensburg. Da führt das Ob das neue Punktesystem für Verkehrsvergehen gerechter sei, ziehe er in Zweifel, sagt der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Gerhard von Bressensdorf. Es erschließe sich ihm nicht, warum man die Punktespanne reduziere und damit weniger Differenzierungsmöglichkeiten habe.

    Kraftfahrtbundesamt Buch über Verfehlungen im Straßenverkehr. Besonders gefürchtet ist die 18-Punkte-Marke, sozusagen die Pforte zur Autofahrerhölle: dem Führerscheinentzug. Das Punktesystem will Verkehrsminister Ramsauer jetzt reformieren.

    Führerscheinentzug droht künftig schon bei 8 statt 18 Punkten, statt bis zu 7 Punkte soll es künftig je nach Schwere nur noch 1 oder 2 Punkte geben und registriert werden sollen nur noch gefährliche Verstöße. Ein einfacheres, gerechteres und transparentes System zu schaffen, das ist das erklärte Ziel des CSU-Politikers, und wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Gerhard von Bressensdorf. Guten Morgen.

    Gerhard von Bressensdorf: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Wird das System einfacher, gerechter und transparenter?

    von Bressensdorf: Einfacher wird es. Ob es gerechter wird, da mag ich ein kleines Fragezeichen setzen. Und ob es für die Bewerber günstiger wird, für die Fahrer günstiger wird, das muss sich noch herausstellen.

    Schulz: Was meinen Sie könnte ungerechter werden?

    von Bressensdorf: Ungerechter, meine ich, ist zum Beispiel, dass es gleich schwer bepunktet wird, ob jemand etwas zu schnell fährt oder ein Kind tödlich im Straßenverkehr verletzt. Das ist die gleiche Punktzahl.

    Schulz: Das heißt, einen Beitrag zu einer höheren Straßenverkehrssicherheit sehen Sie darin auch nicht?

    von Bressensdorf: Ich glaube, man muss die Nebenstrafe des Punktsystems immer in Verbindung mit der Hauptstrafe sehen, was noch an gerichtlicher Entscheidung nachfolgt, denn Körperverletzung wird ja noch zusätzlich geahndet. Also diese Kombination muss man sehen und nicht allein die Punkte.

    Schulz: Aber wenn wir doch bei den Punkten bleiben und der Entwicklung, die wir jetzt in diesem Jahr zum ersten Mal gesehen haben, oder im vergangenen Jahr besser gesagt, da ist die Zahl der Verkehrstoten zum ersten Mal angestiegen. Könnte das nicht auch mit daran liegen, dass das Punktesystem, so wie es bisher war, nicht gut funktioniert hat?

    von Bressensdorf: Also ich glaube nicht, dass man diesen Zusammenhang herstellen darf. Der Anstieg der Getötetenzahl ist eindeutig auf den extrem gestiegenen Verkehr zurückzuführen und die höhere Beschäftigungssituation. Wir haben übrigens in Bereichen der Arbeitssicherheit einen ebenfalls so schrecklichen Anstieg.

    Schulz: Wenn wir noch mal auf die Pläne im Einzelnen schauen. Der Autoclub Europa mahnt, dass das bisherige System mit den 1 bis 7 Punkten deswegen auch wichtig und gut sei, weil das eine gute Differenzierungsmöglichkeit gebe. Das fiele ja künftig weg. Teilen Sie die Kritik?

    von Bressensdorf: Die teile ich, die Kritik, dass es besser differenziert werden kann. Es erschließt sich mir noch nicht, warum man hier so vereinfacht hat.

    Schulz: Wenn Sie aber auf diese Differenzierung solchen Wert legen, gaukelt man da nicht auch mit vor, es gäbe schwere und leichte Verstöße? Ist nicht eigentlich Verkehrsregel gleich Verkehrsregel?

    von Bressensdorf: Das ist eines der Probleme, dass man sagt, hier gibt es Verkehrsregeln, die man weniger bedeutungsvoll ansieht, und andere, die man bedeutungsvoller ansieht. Im Grunde genommen birgt jeder Geschwindigkeitsverstoß in sich das Risiko, dass die Folge katastrophal wäre, und insofern hat Ramsauer mit dieser Vereinfachung sehr wohl einen Schritt gemacht, den man kritisch sehen muss. Das ist eine völlig neue Philosophie des gesamten Punktsystems.

    Schulz: Es gibt eine Prognose, nach der künftig pro Jahr wahrscheinlich 500 Führerscheine mehr entzogen werden – es sind bisher ungefähr 5000, wären dann 5500. Gemessen an der Zahl der Führerscheininhaber, die bei 52 Millionen liegt, ist das ja so gut wie gar nichts. Würden Sie sich von einer schärferen Drohung auch einen besseren erzieherischen Aspekt versprechen?

    von Bressensdorf: Das glaube ich ganz sicher, dass eine schärfere Drohung ein besseres Verhalten nach sich zieht. Deutliches Beispiel ist die Schweiz. In der Schweiz wird bereits bei zwei Kilometer zu schnell geahndet und die Schweiz fährt exakt und hält sich exakt an die Geschwindigkeitsregeln. Nur die Ausländer haben Schwierigkeiten, weil sie nicht glauben wollen, dass man mit einer ganz geringen Geschwindigkeitsüberschreitung schon geahndet wird.

    Schulz: Warum ist es für Autofahrer eigentlich so schwierig, sich an die Verkehrsregeln zu halten?

    von Bressensdorf: Ich glaube, es ist nicht schwierig. Der Kraftfahrer kennt die Verkehrsregeln. Ich glaube, die Hektik unseres Alltags hat viele Auswirkungen: zu spätes Wegfahren, nicht richtige Planung, nicht richtig planen können, weil Verkehrssituationen unvermittelt kommen. Das setzt unter Druck und diesem Druck glaubt man, dann nachgeben zu können, indem man das durch Geschwindigkeitsüberschreitungen ausgleichen kann.

    Schulz: Nach Ihrer Erfahrung aus der Praxis, gibt es so etwas wie Raserpersönlichkeiten?

    von Bressensdorf: Es gibt sicher Persönlichkeiten, die sich grundsätzlich an keine Regeln halten und dazu tendieren, grundsätzlich jede nur mögliche Geschwindigkeit auszunutzen. Solche sind aber im ganz geringen Prozentsatz da. Die weitaus größte Prozentzahl der Kraftfahrer fahren sehr verantwortungsbewusst und das geringfügige Überschreiten, das passiert jedem Kraftfahrer, ob alt, ob jung, und ich würde nicht jeden, der zum Beispiel fünf oder zehn Stundenkilometer zu schnell fährt, bereits als Raser bezeichnen.

    Schulz: Die Fahrschulen entlassen die allermeisten Autofahrer ja mit dem Führerschein für immer, so sie nicht zur Nachschulung kommen müssen. Gibt es einen Trick, haben Sie einen Trick, um mit Ihren Lehren möglichst lange im Ohr zu bleiben?

    von Bressensdorf: Ich habe die Frage jetzt nicht ganz verstanden. Würden Sie die bitte noch mal wiederholen?

    Schulz: Wir sprechen ja gerade über die Regelübertretungen. Die Frage war: Normalerweise begegnen Ihnen die Fahrschüler ja nur einmal, es sei denn, sie müssen zur Nachschulung. Wie können es die Fahrlehrer denn schaffen, dass sie den Schülern möglichst lange im Ohr bleiben?

    von Bressensdorf: Also ich glaube, wir bleiben den Schülern relativ lange im Ohr. Nur der Druck, der von der Straße kommt, verleitet dazu, sich diesem höheren Tempo, diesem Druck und den regelwidrigen Verhaltensformen eher unterzuwerfen. Die Fahrlehrer sollten nicht nachlassen, das Verhalten und vor allen Dingen die Folgen in ihrem Unterricht tagtäglich zu vermitteln.

    Schulz: Und da wollen wir auch noch mal auf die Reform des Punktesystems schauen. Es stehen jetzt im Moment ungefähr 47 Millionen Punkte in Flensburg im Register. Eine Amnestie soll es nicht geben. Aber wie könnte das denn aufs neue System überhaupt umgestellt werden?

    von Bressensdorf: Ja, hier gibt es Überlegungen. Die Überlegungen werden noch diskutiert. Hier gibt es eine Möglichkeit. Man sagt, man will die Punkteschwelle 1 bis 4 in den einfachen Verstoß bringen, also mit einem Punkt bewerten, und alles, was darüber liegt, mit zwei Punkten bewerten. Ich bin nicht ganz sicher, ob das aktuelle Punktsystem so ganz einfach auf das neue umgestellt werden kann, denn man muss ja auch bedenken, dass das alte Punktsystem ein Addieren der Delikte hatte, also zeitlich addiert worden ist, während das neue Punktsystem so aussieht: Jedes Delikt verfällt nach der Ablaufzeit von zweieinhalb Jahren beziehungsweise fünf Jahren. Ob man das so ganz einfach mit einem Rechner hinbekommt, weiß ich nicht. Ich glaube, man muss sich jeden einzelnen Fall ganz genau anschauen, um gerecht zu bleiben.

    Schulz: Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Gerhard von Bressensdorf, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke!

    von Bressensdorf: Danke schön, Frau Schulz.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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