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Eine Wiener Komödie mit kleinen Hürden

Wie viele Werke von Rossini verschwand die komische Oper über den Grafen Ory in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Versenkung. Seit einiger Zeit erlebt das Werk eine Renaissance - mit Inszenierungen weltweit. Die Wiener Ausgabe sorgte jetzt für eine Überraschung.

Von Frieder Reininghaus | 17.02.2013
    In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war "Le Comte Ory" mit seiner Kombination aus musikalischer Italianità und der antiklerikalen, antifeudalen, antispießigen Ironie des Textes von Eugène Scribe eine der erfolgreichsten Opern. Kam es nach Rossinis Tod aus der Mode, so wurde es mit der wiederkehrenden Begeisterung für Belcanto-Virtuosität reaktiviert. Angekündigt mit der Wiener Premiere war die wegen ihrer neuen Salzburger Pfingstfestspielleitungstätigkeit seit 2012 als gleichsam "einheimische" Künstlerin hofierte Cecilia Bartoli für die Rolle der jungfräulichen Gräfin Adèle, für die die obligatorische österreichische Unschuldsvermutung gilt. Sie sang die Partie bereits in Zürich – wie zu hören und zu lesen war – mit technischen Unzulänglichkeiten. Um diesmal überprüfbare Evaluation zu unterbinden, veranlasste die Primadonna die Veranstalter, keine Tonmitschnitte anzufertigen und von akkreditierten Journalisten eine rechtsverbindliche Erklärung einzuholen, dass diese sich nicht anderweitig Originaltöne beschaffen.

    Doch dann kam drei Tage vorm Event alles ganz rasch ganz anders. Frau Bartoli wäre erkältet, hieß es, aber eine junge Sängerin überraschend gewonnen und aus New York eingeflogen worden (freilich war sie mit Bild bereits im Programmbuch gedruckt). Pretty Yende kam, sah und siegte mit ihrer robust durchsetzungsfähigen Stimme, die wie ein Säbel aufs Parkett niedergehen kann, dabei auch kleinere Kollateralschäden an der Intonation in Kauf nimmt, aber mit gut entwickelter Teamfähigkeit für glänzende Theatereffekte sorgt.

    Es ist hier nicht der Platz, lange darüber zanken, wann und wie deutlich die Veranstalter im Kleingedruckten ankündigten, dass ihre "Premiere" eine "Koproduktion" sei – bei Lichte besehen also eine Übernahme aus Zürich. Das führende Schweizer Opernhaus hat allerdings vor zwei Wochen – anhand des Verdischen "Rigoletto" – unter Beweis gestellt, dass ein Regie- und Ausstattungsteam ein Werk beim zweiten Anlauf entschieden anders, in diesem Fall: besser machen kann. Diese lehrreiche Chance ließ sich das Theater an der Wien entgehen und den albernen Klamauk in Bildern der 1950er Jahre aus der französischen Provinz nochmals aufwärmen.

    Jodelnde Ovationen und rhythmisches Klatschen jedenfalls für Pretty Yende – wobei nicht abzusehen ist, wie weitgehend die Wiener die schwarze Sängerin in ihre Herzen schließen. Das sollten sie jedenfalls auch mit Regula Mühlemann tun, der jungen Schweizer Sopranistin, die neben dem so komödiantisch wie stimmlich begabten Lawrence Brownlee in der Titelpartie die Rolle des heillos verliebten Pagen nicht nur makellos sang, sondern auch darstellerisch zum Glücksfall machte.