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"Eine ziemlich arme Zukunftsvorstellung"

Den Deutschen fehlt momentan eine klare Zukunftsvorstellung - nicht nur im Bereich Energie. Kulturwissenschaftler Welzer über die Einstellung jüngerer und älterer Generationen und über das Modewort "Alternativlosigkeit".

Harald Welzer im Gespräch mit Dina Netz | 21.08.2010
    Dina Netz: "Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft" – so ist eine ganzseitige Anzeige überschrieben, die heute in vielen Tageszeitungen erschienen ist. Die Initiative nennt sich "Energiezukunft für Deutschland" und wenn man den ziemlich langen Text bis zum letzten Absatz liest, stößt man auf diesen Satz: "Deutschland braucht weiter Kernenergie und Kohle". Unterschrieben haben zahlreiche Vizepräsidenten des BDI, Vertreter von Energiekonzernen, aber auch andere Manager und frühere Politiker. Die "Süddeutsche Zeitung" rubriziert all diese Leute unter "Deutschlands Atomlobby". Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer hat zum Beispiel das Buch "Klimakriege" veröffentlicht. Ich habe ihn gefragt: Wir reden alle über Hybridautos, Solarthermie, Bio-Erdbeeren ... Ist diese Anzeige das letzte Aufbäumen der letzten Mohikaner?

    Harald Welzer: Ja das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist eher ein Zeichen dafür, wie stark die sich fühlen. Wenn Sie mal die Debatte um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke angucken, das wäre ja vor einigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Ich würde Ihnen aber da recht geben, dass ich glaube, dass es extrem unklug von der Seite ist, das zu machen, deshalb finde ich das ja auch gut, weil die so unklug sind. Und zwar deswegen, weil jetzt jeder, egal wie er ausfällt, der Energiekompromiss oder das künftige Energiekonzept, wird der jetzt immer unter den Verdacht der Erpressung durch genau diese Personen stehen. Insofern ist das politisch extrem unklug, was die da machen, weil sie halt die künftige Energiepolitik, die ja nun ohnehin schon atomfreundlich ist und kohlefreundlich, eigentlich delegitimiert.

    Netz: Die Unterzeichner sind ausnahmslos männlich, die meisten nicht gerade jung – auch nicht sehr geschickt, wenn man über Deutschlands Zukunft reden will, oder?

    Welzer: Genau das hab ich eigentlich auch gedacht. Man muss ja diese ganze Frage der Energieerzeugung vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Ressourcenübernutzen betrachten, also des systematischen Raubbaus an der Zukunft der kommenden Generation. Und in der Tat müssen sich diese Leute auch fragen, wie sie sich eigentlich dafür verantworten wollen, ihren Namen unter solche Kampagnen zu setzen.

    Netz: Ist das denn überhaupt als Anzeige geglückt? Wir sind hier ja nicht die Politiksendung, mein erster Eindruck war nämlich: Ich sehe eine Bleiwüste auf einem Kaffeefleck, der sich bei genauerem Hinsehen als Deutschlandumriss herausstellt. Also ich fand es einfach auch grafisch unglaublich, wenn man damit Zukunftsaussagen für Deutschland treffen will ...

    Welzer: Ja aber das ist diese Altersgruppe. Die hat halt vieles noch nicht genau mitgekriegt, was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat und auch hinsichtlich der Prioritätensetzung von Menschen verändert hat. Also zum Beispiel nicht mitgekriegt, dass man nicht einfach mehr den Status quo nur erhalten will und immer so weitermachen will, sondern dass die Leute sich Gedanken darüber machen, wie man eigentlich leben will, und vor allen Dingen wie man auch verantwortlich leben kann. Und die Fragen sind natürlich so gravierend, dass man da nicht immer stereotyp mit Kohle und Atom drauf antworten kann. Das ist halt ein bisschen zu einfach und insofern passt hier Form und Inhalt natürlich wunderbar zusammen, weil beides extrem altbacken ist.

    Netz: Was bringt jetzt diese Anzeige, was denken Sie?

    Welzer: Meine Hoffnung wäre, dass also, da der Aufschlag gemacht worden ist, man eben von der anderen Seite derjenigen, die also eine andere Energiezukunft haben wollen, die auch Vorschläge, Konzepte, auch die Veränderung kultureller Praktiken – also Energieverbrauch ist ja auch eine Frage des Lebensstils und Energievermeidung ist erst recht eine Frage des Lebensstils –, dass also diese Seite, die im Grunde genommen für die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie, unseres Typs von Gesellschaften wäre, auch aus der Deckung kommt und sagt: Das, Herr Großmann, Herr Ackermann und wie diese Männer alle heißen, das wollen wir bestimmt nicht.

    Netz: Herr Welzer, der erste Satz in diesem Anzeigentext heißt: "Deutschland steht vor einer zentralen Zukunftsfrage". Ich hab so den Eindruck, die Zukunft, die ist auch ein bisschen überstrapaziert im Moment ...

    Welzer: Das würde ich nicht teilen. Ich würde tatsächlich sagen, dass Zukunft, wenn sie nur als Schlagwort gebraucht wird, in der Tat überstrapaziert ist. Auf der anderen Seite fehlt uns ein bisschen die Zukunft, weil uns ja tatsächlich eine Vorstellung davon fehlt, wie wir eigentlich tatsächlich leben wollen. Im Moment haben wir keine Zukunftsvorstellung außer eben die: bitte genau so wie jetzt, nur noch ein bisschen mehr Energie, noch ein bisschen tiefer nach Öl bohren und so weiter. Aber das ist ja eine ziemlich arme Zukunftsvorstellung. Eine etwas reichere Zukunftsvorstellung würde ja zum Beispiel beinhalten, wie wir denn Generationengerechtigkeit wieder herstellen, wie sie besser mit Ressourcen umgeht und so was. Und ich finde, das ist eine Diskussion über Zukunft, die ganz dringend geführt werden muss und viel zu wenig geführt wird in letzter Zeit.

    Netz: Was ich meine, ist, dass ich den Eindruck habe, dass bei jeder noch so kleinen politischen Entscheidung immer die eine oder andere Gruppe gleich schreit: Hier geht es um Deutschlands Zukunft. Sollte man mit solchen Zukunftskonzepten, Zukunftsvisionen nicht auch ein bisschen vorsichtiger umgehen in der Öffentlichkeit?

    Welzer: Ja das ist halt dieses Politikmarketing. Mir ist das lieber als beispielsweise die ja auch sehr in Mode gekommene Rede von der Alternativlosigkeit. Also wenn Politiker und Politikerinnen in einem demokratischen Staat davon reden, dass Entscheidungen alternativlos sind, dann kriege ich richtige Probleme. Wenn Sie alles zur Zukunftsfrage machen, obwohl sie selber eigentlich nur rückwärtsgewandt oder wenn es hoch kommt nur den Status quo aufrecht erhalten wollen, dann ist das vielleicht Geschmackssache, kann dann kritisieren, aber das find ich ... Also Zukunftsdiskussion finde ich enorm notwendig. – Natürlich nicht so, wie Sie es gerade beschrieben haben.

    Netz: Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer hofft also auf wirkliche Zukunftsdiskussionen, vielleicht ausgelöst durch den energiepolitischen Appell.