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"Einen gemeinsamen Weg finden"

Die Wissenschaftlerin und palästinensische Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser hält eine große Koalition an der Spitze der palästinensischen Autonomieverwaltung für möglich. "Es muss kommen, es wird kommen, dass Fatah und Hamas zusammen einen gemeinsamen Weg finden, vielleicht mit einer gemeinsamen Regierung", sagte Farhat-Naser. Insbesondere die Erfahrungen der Fatah in den Friedensverhandlungen mit Israel könnten der Hamas nützen.

06.06.2006
    Christine Heuer: Vor rund sechs Monaten haben die Palästinenser eine neue Regierung unter der radikal-islamischen Hamas gewählt, und seitdem gibt es zwischen den verschiedenen Palästinensergruppen ständig Streit, der in den vergangenen Wochen auch mit Waffen ausgetragen wurde und weiter ausgetragen wird. Nun will der gemäßigte Präsident Abbas ein Referendum abhalten. Heute schon könnte er dafür einen Termin festlegen. Das Volk soll vor allem darüber entscheiden, ob es den Staat Israel anerkennen will oder nicht. Führende Hamas-Politiker sind gegen diese Volksbefragung. Das Referendum, sagen sie, sei illegal und hebe faktisch die demokratische Wahl von vor einem halben Jahr auf.

    Soeben erreicht uns die Meldung, dass Mahmud Abbas noch vor Ende der Woche ein Datum für eine Volksabstimmung zur Überwindung der Krise in den Autonomiegebieten bekannt geben möchte.
    Über das geplante Referendum möchte ich jetzt auch sprechen mit der palästinensischen Wissenschaftlerin und Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser. Wir erreichen sie in Österreich. Guten Tag, Frau Farhat-Naser!

    Sumaya Farhat-Naser: Guten Tag, Frau Heuer!

    Heuer: Ist die Mehrheit der Palästinenser für oder gegen die Anerkennung Israels?

    Farhat-Naser: Die Mehrheit ist dafür und hat sich bereits mehrmals ausgesprochen: im Jahre '88, '93 und auch '95.

    Heuer: Wieso hat sie dann die Hamas gewählt bei der letzten Möglichkeit, von der ja bekannt ist, dass sie Israel am liebsten zerstören möchte?

    Farhat-Naser: Ja. Wenn die Leute wählen, dann steht nicht als Priorität die Anerkennung Israels oder nicht, sondern was ist gut für die Menschen. Für die Menschen war es wichtig, dass sie sehen, es gibt eine Änderung, eine grundlegende Änderung für ihre Lebenssituation. Die frühere Regierung hat versagt, hat keine Sicherheit gebracht, hat keinen Frieden gebracht, und es war vieles Falsches, was gelaufen ist. Von daher haben die Leute die Hamas-Regierung nicht gewählt, weil sie mit ihrer Ideologie einverstanden sind, sondern es war ein Denkzettel an die vorige Regierung und deren politische Richtung. Es sind dieselben Leute, die die Hamas gewählt haben, die Mahmud Abbas ein Jahr vorher gewählt haben in der Hoffnung, dass es wieder besser wird, und trotzdem ist es das nicht geworden.

    Heuer: Trotzdem war die Hamas-Ideologie, wie Sie sagen, ja durchaus bekannt. Bedeutet dann ein Referendum und ein mögliches Ja zur Zwei-Staaten-Lösung nicht faktisch die Rücknahme dieser demokratischen Wahl?

    Farhat-Naser: Ich glaube nicht. Die Menschen sind für eine Zwei-Staaten-Lösung, und so war der Friedensprozess darauf gerichtet. Allerdings was Israel in den besetzten Gebieten macht, damit die unterschriebenen Verträge nicht umsetzbar werden, hat die Leute dazu geführt zu sagen, was nutzt es, wenn wir unterschreiben und dafür sind, und Israel macht Fakten am Boden? Die Anerkennung Israels muss auch von der Hamas kommen, und sie wird eines Tages kommen.

    Heuer: Wie schnell? Wird die Hamas es akzeptieren, wenn Abbas sich in einem Volksentscheid durchsetzt?

    Farhat-Naser: So schnell kann man nicht eine Ideologie ändern. Die PLO hat 20 Jahre gebraucht, bis sie es gemacht haben. Das Referendum ist etwas anderes jetzt. Es geht dabei um dieses Gefangenendokument. Das beinhaltet auch die Anerkennung Israels und andere Sachen, aber auch das Rückkehrrecht der Palästinenser, wobei Israel wiederum diesem Dokument nicht zustimmt. Selbst wenn die Hamas-Regierung fällt, was kommt dann?

    Heuer: Zwei Dinge. Lassen Sie uns das trennen, Frau Farhat-Naser. Erstens: Wie wird die Hamas sich verhalten, wenn tatsächlich Abbas sich durchsetzt? Ist das das Ende der Hamas-Regierung?

    Farhat-Naser: Keineswegs. Ich glaube sie werden einen Ausweg finden, und das bedeutet, dass man gemeinsam regiert. Dann hat Fatah etwas an Gesicht gewonnen, und die würden von dieser Stärke ja sagen mit diesen Bedingungen, zum Beispiel der Anerkennung Israels und wieder mit ihnen Verhandlungen zu führen. Dazu muss auch Israel sagen, wir sind bereit, einen Partner zu haben.

    Heuer: Ist es denn wahrscheinlich, dass Israel das sagt, dass die Israelis einlenken?

    Farhat-Naser: Das hoffen wir, denn bis jetzt hat Israel abgelehnt, Verhandlungen zu machen auch mit Mahmud Abbas. Das hat diese schreckliche Situation heute herbeigebracht.

    Heuer: Sie hoffen es, aber für wie wahrscheinlich halten Sie es?

    Farhat-Naser: Es wird länger dauern. Ich glaube schon. 40 Tage ist es bis dahin, und in diesen 40 Tagen kann viel passieren. Es muss kommen, es wird kommen, dass Fatah und Hamas zusammen einen gemeinsamen Weg finden, vielleicht mit einer gemeinsamen Regierung. Ich glaube Al-Fatah muss bereit sein, mit der Hamas gemeinsam diesen neuen Weg zu finden.

    Heuer: Und Sie halten es wirklich für wahrscheinlich, dass die Hamas auch bereit ist, in einer großen Koalition - Sie haben das gerade so ausgedrückt - mit der Fatah zusammen zu regieren, nachdem sie doch die Wahl gewonnen hatte?

    Farhat-Naser: Hamas hat von Anfang an darum gebeten, eine nationale Einheitsregierung von allen Parteien und besonders von Al-Fatah zu bilden. Al-Fatah hat es abgelehnt und das hat zu dieser Situation geführt. Ich glaube schon, dass es im Interesse der Hamas ist, dass Al-Fatah mitmacht, denn Al-Fatah hat Erfahrung mit Friedensverhandlungen und hat auch Zugang zu den Ressourcen. Die Hamas ist nicht vorbereitet, hat diese Erfahrung nicht.

    Heuer: Frau Farhat-Naser, jetzt haben wir die ganze Zeit über den Fall gesprochen, dass Abbas sich mit dem Referendum durchsetzt. Was ist, wenn er es verliert?

    Farhat-Naser: Wie bitte?

    Heuer: Was wäre, wenn Abbas sich nicht durchsetzen würde?

    Farhat-Naser: Das ist auch zu befürchten, dass die Hamas sich tatsächlich viel zu stark gefestigt fühlt und noch härter wird.

    Heuer: Das heißt unterm Strich ein großes Risiko, das Mahmud Abbas da eingeht?

    Farhat-Naser: Ich glaube schon.

    Heuer: Sumaya Farhat-Naser, Wissenschaftlerin und palästinensische Friedensaktivistin. Frau Farhat-Naser, ich danke Ihnen für das Gespräch.