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"Einfach mal die Klappe halten"

Nach seinen Äußerungen über Einwanderer in der Printausgabe des "Lettre International" muss Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin Kritik einstecken: Dieter Weirich, Kommunikationsdirektor des Unternehmens Fraport und Ex-Intendant der Deutschen Welle, hätte Sarrazin daher geraten, "einfach mal die Klappe" zu halten.

Dieter Weirich im Gespräch mit Jürgen Liminski | 08.10.2009
    Jürgen Liminski: Schopenhauer meinte, die Sprache sei die Physionomie, das Gesicht des Geistes. Wenn dem so ist, dann muss man sich fragen: Wie sehen manche Manager und Politiker aus? Haben sie überhaupt ein Gesicht? Hinter welchen Formeln verbergen sie es am liebsten?

    Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich einen aus dem Establishment, der sich aber zeitlebens mit der klaren Sprache befasst hat. Es ist der Kommunikationsdirektor des Unternehmens Fraport AG, Professor Dieter Weirich, früher Intendant der Deutschen Welle und Journalist, ein Öffentlichkeitsarbeiter oder Bearbeiter der Öffentlichkeit. Guten Morgen, Herr Weirich.

    Dieter Weirich: Hallo! Guten Morgen.

    Liminski: Herr Weirich, Ihnen ist klar, dass jetzt jedes Wort aus Ihrem Munde auf die Goldwaage gelegt wird. Ist das vielleicht schon ein Teil des Problems, dass im öffentlichen Diskurs - so heißt die moderne, anonymisierte Form des Dialogs - die Form mehr zählt als der Inhalt?

    Weirich: Es gibt ein anderes Zitat über die Sprache, das ist von Samuel Johnson, der gesagt hat, die Sprache ist die Kleidung der Gedanken, und wir wollen ja alle gut gekleidet sein. Das heißt, es kommt auf Form und Inhalt gleichermaßen an.

    Liminski: Sagen Sie uns doch mal ein paar Standardformeln aus Ihrer Welt, der Welt der Manager, und was diese Formeln wirklich bedeuten?

    Weirich: Für ein besonders strafwürdiges Verbrechen an der deutschen Sprache halte ich den suboptimalen Output. Role out gehört auch zu den Lieblingsformulierungen der Verwaltung. Oder man bespricht nicht mehr den Einsatz, man brieft seine Truppe, um im besten Fall einen Blockbuster zu erzeugen. Ein Event mit Eyecatchern muss es sein, im Contest muss man bestehen. Reicht Ihnen das an Grausamkeiten?

    Liminski: Das reicht, das reicht, das reicht. In der Diplomatie und in der Politik hat man sich, Herr Weirich, ja schon an ambivalente, nichtssagende oder auch interpretationsbedürftige Formeln gewöhnt. Ist diese Gewöhnung auch an die Sprache des Managements ein Zeichen der Resignation? Sollten das Publikum und ihre Anwälte, die Journalisten, diese Formelschleier öfter zerreißen?

    Weirich: Gut, Diplomaten sind sprachliche Kunstflieger oder sprachliche Überflieger. Diplomatie ist in der Regel, überreife Konflikte durch faule Kompromisse zu lösen, und da benutzt man die Sprache, um Gedanken zu verbergen. Also an der Diplomatie sollte man sich kein Beispiel nehmen. In Unternehmen kommt es ja auf klare Kante an, also ja oder nein, Mitarbeitern eine klare Linie zu vermitteln, und die vernebelnde Sprache der Diplomatie oder die kompromisslerische Sprache aus der Politik, die sollte hier auf keinen Fall Platz greifen. Es reicht, wenn diese Fehler in der Politik und in der Diplomatie gemacht werden.

    Liminski: Also sollten Journalisten öfter diese Formelschleier zerreißen?

    Weirich: Journalisten haben die Aufgabe, einem Publikum mitzuteilen, was eigentlich passiert ist, und nicht irgendwelche vernebelnde Aktionen zu beschreiben und vor allem nicht die Sprache derer zu übernehmen, die sie kritisch zu beleuchten haben.

    Wenn Journalisten die Aufgabe haben, hier sozusagen zu destillieren, ihrem Publikum das Wesentliche mitzuteilen, und zwar in einer einfachen und verständlichen Sprache, dann geht es letztlich darum, diese Nebelschleier zu zerreißen. Dazu sind Journalisten unter anderem da. Häufig begreifen sie sich leider als Ersatzpolitiker, aber dann haben sie ihre eigentliche Mission, ihr eigentliches Berufsselbstverständnis verfehlt.

    Liminski: Damit können Sie den Deutschlandfunk natürlich nicht meinen?

    Weirich: Gut. Ich bin beim Deutschlandfunk relativ gnädig. Da Sie neben den Informationssendern Bayerischer Rundfunk und Hessischer Rundfunk meine, ich würde sagen, einzigen elektronischen Informationsquellen sind, will ich den Deutschlandfunk jetzt heute Morgen schonen.

    Liminski: Die Äußerungen von Sarrazin oder früher seines Bankerkollegen Ackermann emotionalisieren und sind deshalb auch in gewisser Weise unterhaltsam. Ein mittlerweile fast vergessener Bestseller mit dem Titel "Wir amüsieren uns zu Tode" hat diesen Unterhaltungsaspekt mit dem Begriff des Infotainments versehen und das sei heute fast wichtiger als die Information selber. Herr Weirich, brauchen wir wieder klare Grenzen, die Rückkehr zu alten journalistischen Regeln?

    Weirich: Zunächst einmal brauchen wir die Rückkehr zu der Regel, einen Blick für das Wesentliche zu haben. Wir brauchen auch eine Rückkehr zu den Werten und bestimmten Tugenden und vor allem müssen wir uns klar und deutlich ausdrücken gegenüber Lesern, Hörern und Sehern, denn die Medien haben ja die Aufgabe, hier eine Art kommunikativer Brücke darzustellen zu den Menschen.

    Sie machen ja nicht Programme für ihre Kollegen, Sie machen auch nicht Programme für die Politik, Sie wollen also nicht den Beifall Ihrer Kollegen im Kasino, sondern Sie wollen möglichst viele Hörer interessieren, faszinieren durch attraktive Programme. Infotainment, dieser Begriff, also etwas unterhaltsamere Programme, wenn das als Kontrast zu langweiligen Programmen steht, habe ich damit vom Grundsatz her kein Problem.

    Liminski: Ist das überhaupt noch möglich in einer Mediengesellschaft mit vielen Parallelöffentlichkeiten, die Blogger, die Sozialnetzwerke und so weiter, sodass die Formeln der Manager und Politiker auch eine Schutzfunktion haben? Man will ja nicht gleich zerrissen werden, wenn man ein falsches Wort oder auch ein englisches Wort sagt und damit die Aussage selbst verdrängt wird.

    Weirich: Ja, gut, das Ganze darf nicht auf Kosten der Glaubwürdigkeit geschehen. Wir sind keine Sprechformelmaschinen, sondern wir sind Mitbürger. Der Mittelpunkt des Menschen ist bedauerlicherweise oder erfreulicherweise nicht der Kopf, sondern das Herz. Das heißt, Botschaften müssen einerseits das Herz erfreuen und müssen andererseits auch verstanden werden.

    Liminski: Mit "wir" meinen Sie die Manager?

    Weirich: Die Manager, aber eigentlich meine ich damit uns alle.

    Liminski: Sollen die Politiker und Manager also mehr Farbe bekennen? Sollte der Münte-Sprech, kurze klare Sätze, öfter zum Zuge kommen?

    Weirich: Ich habe nichts gegen den sogenannten Münte-Sprech, obwohl das schon eine Verballhornung der deutschen Sprache schlechthin ist. Was den Münte-Sprech angeht: Wenn es um kurze, knappe, verständliche Formulierungen geht, dann bin ich für diese Art des sogenannten Sprechs. Die habe ich allerdings bei Herrn Müntefering hin und wieder vermisst, was die Inhalte angeht. Die kurzen klaren Sätze bedeuten noch nicht, dass Inhalte damit verbunden sind.

    Liminski: Zur Frage: Sollten Politiker und Manager mehr Farbe bekennen?

    Weirich: Farbe bekennen ist immer gut. Man muss wissen, wo Menschen stehen. Glaubwürdigkeit erreicht man nur dadurch, dass man klar sagt, was man will, dass man nicht versucht, mit Sprache etwas zu kaschieren.

    Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, von dem ja so sehr viel in den letzten Wochen gesprochen wurde, was abhandengekommen sei in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und wo auch immer, Vertrauen erwerben Sie nur dann, wenn Sie mit einer einfachen klaren Sprache sagen, wo Sie stehen.

    Liminski: Wenn aus Ihrem Vorstand bei Fraport sich jemand so wie Sarrazin über die Mitbürger mit Migrationshintergrund in Frankfurt oder auf dem Flughafen äußern würde, und Sie das Interview vor der Veröffentlichung sehen würden, wie würden Sie reagieren?

    Weirich: Ich würde in jedem Fall abraten, das Interview in dieser Form zu veröffentlichen. Es mag ja sein, dass Herr Sarrazin in manchen Aspekten seiner Darlegungen durchaus recht hat, aber man muss als Medienschaffender wissen, dass ein Journalist letztlich ein paar Sätze für eine Meldung herauspickt, und dass dann die Gefahr von Missverständnissen gegeben ist.

    Und Medienexperten sind ja letztlich dazu da, ihre Vorstände zu beraten, dass sie sich solchen Gefahren nicht aussetzen. So funktioniert die Mediengesellschaft, man kann das bedauern, man kann es erfreulich finden, aber letztlich ist unsere Aufgabe, dann abzuraten, und das hätte ich natürlich auch getan. Ein solches Interview wäre bei der Fraport nicht entstanden.

    Liminski: Hätten Sie nur Passagen gestrichen, oder das Ganze?

    Weirich: Ich bin nicht der Auffassung, dass etwa ein Vorstandsvorsitzender oder ein Bundesbanker sich in eine aktuelle politische Debatte mit viel Brisanz wie beispielsweise die Migrationsfrage direkt mit aktuellen Äußerungen einschalten sollte. Ich hätte Herrn Sarrazin eine alte Berliner Empfehlung geben können, die heißt: Einfach mal die Klappe halten.

    Liminski: Die Manager und ihre Sprache. Das war hier im Deutschlandfunk der Kommunikationsdirektor von Fraport, Professor Dieter Weirich. Besten Dank für die deutlichen Worte.

    Weirich: Vielen Dank, Herr Liminski.