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Einführung der Schulpflicht in Preußen
Zur Bildung guter Untertanen

Es fehlte an Lehrkräften und Schulen, die Kinder wurden oft als Arbeitskräfte gebraucht. Dennoch gilt das Edikt, mit welchem der preußische König Friedrich Wilhelm I. am 28. September 1717, vor 300 Jahren, die Schulpflicht einführte, als Meilenstein. Der König versprach sich davon auch gute Untertanen.

Von Andrea Westhoff | 28.09.2017
    Das Standbild von Preußen-König Friedrich Wilhelm I. ("Soldatenkönig") steht in Groß Stresow (Mecklenburg-Vorpommern) vor dem Verräterhaus. Es soll an den Sieg der Preußen und Dänen über Schweden in der Schlacht bei Stresow 1715 im Nordischen Krieg erinnern. Der Bildhauer Friedrich Wilhelm Stürmer aus Berlin fertigte das Standbild 1855.
    Standbild des Preußen-Königs Friedrich Wilhelm I. (Stefan Sauer/dpa)
    "Schön ist der Glocke Klang,
    du hörst ihn gern mein Kind;
    ruft er zur Schule dich,
    so geh geschwind geschwind."
    So heißt es in einer ABC-Fibel für Bürger- und Landschulen aus dem 18. Jahrhundert. Doch die Realität sieht anders aus: Kinder aus höheren Schichten erhalten zwar Privatunterricht. Und besonders Begabte – Jungen vor allem – können manchmal eine Klosterschule besuchen. Auch sind seit der Reformation in einigen deutschen Fürstentümern und Regionen vermehrt Sonntags- und Dorfschulen eingerichtet worden, in denen die örtlichen Pfarrer allerdings vornehmlich religiöse Unterweisung geben.
    Aber die Mehrheit der Kinder folgt keineswegs geschwind dem Ruf einer Schulglocke – und das ärgert Friedrich Wilhelm I., den König von Preußen, doch sehr:
    "Wir vernehmen missfällig, dass die Eltern, absonderlich auf dem Lande, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen. Und dadurch die arme Jugend in große Unwissenheit, was das Lesen, Schreiben und Rechnen betrifft, aufwachsen lassen."
    Nun war der Soldatenkönig erklärtermaßen kein Freund der Gelehrsamkeit und hat selbst nicht einmal richtig schreiben gelernt. Aber Friedrich Wilhelm I. glaubt, dass die Schule für gute Christen und somit auch für gute Untertanen sorgen würde und verordnet daher in seinem General-Edikt vom 28. September 1717,
    "dass hinkünftig an denen Orten, wo Schulen sein, die Eltern bei nachdrücklicher Straffe gehalten sein sollen, ihre Kinder im Winter täglich und im Sommer, wann die Eltern die Kinder bei ihrer Wirtschaft benötigt sein, zum wenigsten ein- oder zweimal die Woche in die Schule zu schicken."
    Und zwar alle fünf- bis zwölfjährigen Kinder – Jungen wie Mädchen.
    Man findet ähnliche Bestimmungen bereits in einigen Fürstentümern, aber wegen der politischen Bedeutung Preußens gehört dieses Edikt zu den Meilensteinen deutscher Bildungsgeschichte. Wirklich durchsetzen kann Friedrich Wilhelm I. eine allgemeine Schulpflicht allerdings nicht: Viele Bauern weigern sich weiterhin, ihre Kinder zum Unterricht zu schicken, weil sie dann als Arbeitskräfte fehlen. Außerdem mangelt es an Schulen, und die vorhandenen sind in einem erbärmlichen Zustand, wie aus der Beschwerde eines brandenburgischen Pfarrers hervorgeht:
    "Bei einer Frequenz von 60 bis 100 Kindern müssen diese wie die Heringe eingeschichtet werden und sind in beständiger Gefahr, samt ihrem Lehrer in ihren eigenen Ausdünstungen zu ersticken."
    Edikt zeigt in der Praxis nur wenig Wirkung
    Es gibt auch noch gar keine richtigen Lehrer im frühen 18. Jahrhundert. Traditionell fungiert der Küster des Dorfes als Schulmeister. Auf Anordnung des Königs werden zwar zusätzlich Handwerker, Tagelöhner oder abgedankte Soldaten zur Lehrtätigkeit verpflichtet. die aber beherrschen die Fächer Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen oft selbst eher schlecht als recht. Und sie werden nicht bezahlt, wie Chronisten des 18. Jahrhunderts berichten:
    "Er hütet im Sommer wohl Fohlen und Gänse, weil er bei seinem Dienst allein verhungern würde. Viele machen auf Kindtaufen und Hochzeiten den Hofnarren und Lustigmacher, nachdem sie sich vorher mit geistigen Getränken mächtig familiarisiert haben."
    Das Edikt von Friedrich Wilhelm I. zeigt in der Praxis nur wenig Wirkung. Aber es bildet den Kern für das Generallandschulreglement, das sein Sohn Friedrich II. 1763 erlässt. Es sieht – nun für ganz Preußen – eine Schulpflicht von acht statt sechs Jahren vor. Der Unterricht soll regelmäßig je drei Stunden vor- und nachmittags stattfinden, nach einem festen Lehrplan und mit ordentlich ausgebildeten Lehrern.
    "Um auf die folgende Zeit in den Schulen geschicktere und bessere Untertanen bilden und erziehen zu können."
    Mit diesem Reglement will Friedrich der Große die Bildung zur Chefsache machen. Doch der Aufbau eines guten Bildungssystems für alle erweist sich als äußerst zäher Prozess: Noch Anfang des 19. Jahrhunderts gehen nur knapp 60 Prozent der Kinder regelmäßig zum Unterricht. Das bessert sich erst, als die Kinderarbeit gesetzlich verboten wird.
    1919 schließlich wird der regelmäßige Schulbesuch als Pflicht und als Recht für alle Kinder in die Weimarer Verfassung aufgenommen. Und so steht es auch im Grundgesetz.