Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Eingestürzte Eissporthalle vor zehn Jahren
Die Tragödie von Bad Reichenhall

Am 2. Januar 2006 ereignete sich in der beschaulichen Kurstadt Bad Reichenhall ein Unglück, das ganz Deutschland erschütterte: Unter hoher Schneelast hatte das Dach einer Eissporthalle nachgegeben und zahlreiche Personen unter sich begraben. Zwölf Kinder und drei Frauen starben - nicht zuletzt ein Resultat mangelnder Wartung.

Von Christine Haberlander | 02.01.2016
    Die Trümmer der Eissporthalle in Bad Reichenhall, die am 2. Januar 2006 eingestürzt war.
    Die Trümmer der Eissporthalle (picture-alliance/dpa - Frank Mächler)
    "Das Unglück war die größte Katastrophe der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Einschnitt in der Stadtgeschichte, 15 Tote: 12 Kinder, drei Erwachsene. Und das hat die Stadt und die ganze Region in einen Schockzustand versetzt, der auch eine ganze Zeit andauerte", sagt Herbert Lackner, der Oberbürgermeister von Bad Reichenhall.
    Es ist der 2. Januar 2006. Seit Stunden schneit es fast ohne Unterbrechung. Ohne Vorankündigung – nur mit einem leisen Knacken im Gebälk – bricht die tonnenschwere Dachkonstruktion der Eissporthalle in Bad Reichenhall plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Die Uhr, die später unter herabgestürzten Trümmern aus Holz und Metall gefunden wird, zeigt genau 15.54 Uhr.
    Das Dach begräbt zahlreiche Menschen unter sich, die in den Ferientagen ein paar unbeschwerte Stunden auf dem Eis verbringen wollen. Die Retter von Feuerwehren und vom Bayerischen Roten Kreuz sind schnell am Unglücksort. Sie versuchen fieberhaft, die vermissten Menschen aus dem Berg aus Metall, Holz sowie Schnee- und Eismassen zu befreien. Florian Halter vom BRK und der leitende Notarzt Franz Leipfinger erinnern sich:
    "Wo die Angehörigen einen in die Hallen reingezerrt haben, bitte hilf meinem Kind, bitte hilf meinem Kind. Man hat gesehen Verletzte auf der Straße, man hat Verletzte in der Halle gesehen. Der Einsatz an sich, der war ja relativ schwierig, rein von der Psyche her."
    Franz Leipfinger: "Was am meisten in einem arbeitet, wenn ständig irgendwo wieder ein totes Kind geborgen wird, das ist ganz, ganz schlimm. Ich selbst habe auch vor Ort Notärzte zusammenbrechen gesehen."
    Noch während der Bergungsarbeiten begann die Suche nach den Schuldigen
    Die Einsatzkräfte können insgesamt 34 Menschen retten, die zum Teil schwer verletzt sind, drei Frauen und zwölf Kinder werden nur mehr tot geborgen. Die Trauer und die Anteilnahme sind groß: bei den Reichenhallern, ihren Kurgästen und Menschen in ganz Deutschland. Etliche Gedenk- und Trauerfeiern finden statt, überall werden Kerzen angezündet.
    "Traurig, mehr als traurig."
    "Na ja, das Wasser ist schon öfter reingelaufen in die Halle, das stimmt schon, und sie haben halt nie was gemacht."
    "Mein Bruder war da drinnen und ist wieder rausgekommen ohne irgendwas. Ich war gerade in der Kirche, ich bin so froh, wenn man das sieht, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wissen Sie, ich bin mit dem Ding aufgewachsen, wir sind immer da drinnen gewesen."
    Noch während der Bergungsarbeiten begann die Suche nach den Schuldigen. Viele Reichenhaller Bürger wussten, dass das Dach der Eishalle, die Anfang der 1970er-Jahre gebaut worden war, marode war. 2008, zwei Jahre nach der Katastrophe, kam es zum Prozess: wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung mussten sich der Konstrukteur des Dachs sowie ein Architekt und ein Gutachter, der die Halle drei Jahre vor dem Einsturz in Augenschein genommen hatte, vor Gericht verantworten. Im Verfahren am Landgericht Traunstein wurde das verheerende Ausmaß der Mängel bestätigt. Klar wurde auch: der Einsturz hätte verhindert werden können, wenn beim Bau und auch bei der Instandhaltung der Halle durch Verantwortliche der Stadt nicht jahrelang geschlampt worden wäre.
    Doch der angeklagte Architekt und der Gutachter wurden freigesprochen, weil ihnen keine Schuld nachgewiesen werden konnte, nur der Konstrukteur der Halle wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Aus der Eishallenkatastrophe wurden in ganz Deutschland Lehren gezogen: Viele Gemeinden kontrollieren inzwischen genauer die sogenannte Standsicherheit von öffentlichen Gebäuden, und Hallen werden nach tagelangen Schneefällen früher geschlossen. Herbert Lackner ist der Ansicht, dass die schlimme Katastrophe einiges bewirkt hat:
    "Als ich am 1. Mai 2006 ins Amt kam, war die größte Aufgabe für mich als Oberbürgermeister damals, die vielen städtischen Einrichtungen zu begutachten und wieder auf den Stand der aktuellen Sicherheit zu bringen. Wir hatten da in der Tat sehr viel Nachholbedarf, das muss ungeschminkt gesagt werden. Vermutlich ist es so, dass viele Behörden, Kommunen, Landkreise wachsamer geworden sind."
    Nachdem die Reste der Halle 2007 abgerissen wurden, entstand auf einem kleinen Teil des Geländes eine Gedenkstätte: 15 bunte Glas-Stelen, die aus einem Wasserbecken aufragen, erinnern an die Toten des tragischen Unglücks in Bad Reichenhall.