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Einheit für Bosnien

Fast 20 Jahre nach dem Ende des Krieges ist die Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina noch immer gespalten zwischen Serben, Kroaten und muslimischen Bosniaken. Mehr und mehr Menschen wollen das Land aber unabhängig von ethnischen Zugehörigkeiten endlich nach vorne bringen.

Ralf Borchard berichtet aus Bosnien | 11.03.2013
    "Wir wollen natürlich nicht, dass der Balkan ein schwarzes Loch in Europa bleibt. Und innerhalb des Balkans wollen wir auch nicht, dass Bosnien ein schwarzes Loch bleibt."

    Der Mann, der das sagt, heißt Valentin Inzko. Der Österreicher ist der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina. Schon seine Wortwahl vom "schwarzen Loch" zeigt, wie negativ selbst er Bosnien sieht. Inzko ist der mächtigste Mann im Land, die eigene Regierung funktioniert kaum. Bleibt Bosnien für immer gefangen in der Kriegsvergangenheit?

    Wer in der Altstadt von Sarajevo den überdachten Innenhof des Sevdah Cafés betritt, kann das kaum glauben. Hier ist die Stimmung locker, fast ausgelassen. Der richtige Ort, um Jasna Durakovic zu treffen. Ihr Ziel: ein positives Image für Bosnien zu schaffen.

    Die Politologin und Kommunikationsexpertin hat für eine Studie Fragebögen im ganzen Land verteilt, bei Einheimischen, und bei Touristen, und den vielen Ausländern, die hier für Botschaften oder Hilfsorganisationen arbeiten. Ergebnis: es gibt kaum eine bosnische Identität, die meisten Bosnier sehen sich entweder als muslimische Bosniaken, als Kroaten oder Serben. Und die Ausländer, die kommen, sind von Negativ-Klischees geprägt. Aber, einmal hier, allesamt überrascht, was es an positivem, normalem Leben, an Vielfalt gibt.

    "Sevdah, der bosnische Blues, den Sie im Hintergrund hören, ist schon mal das Erste, was zu Bosnien als Marke gehört."

    sagt Durakovic.

    "Wir haben eine gemeinsame Kulturgeschichte, die ins Mittelalter zurückreicht, wir haben unsere Gastronomie, das typische Essen, den bosnischen Humor, unseren selbstkritischen Witz. Wir haben wunderschöne Natur, Berge, Flüsse, Seen, wir könnten auf Öko-Tourismus setzen. Wir haben Nobelpreisträger wie den Schriftsteller Ivo Andric, Fußballer wie Edin Dzeko, früher bei Wolfsburg, jetzt bei Manchester City, Filmemacher wie Danis Tanovic, der bei der Berlinale gerade den Silbernen Bären gewonnen hat. Alles Botschafter für Bosnien."

    Durakovic hat in den USA studiert, immer wieder spricht sie vom "Branding", vom Schaffen einer bosnischen Marke. Nur, wer soll sie schaffen? Wir selbst, sagt sie:

    "Es muss bei der Bildung beginnen, in den Schulen, die Regierung muss es begreifen. Und wir Bürger müssen es schaffen, jeder Einzelne, mit Initiativen, Netzwerken, nach innen und außen."

    Ein Beispiel ist Haris Bilalovic, prominenter Fernseh- und Radiomoderator. Sonntags um 11.00 Uhr moderiert er die Kultursendung Kosmopolit, die über die Szene in Berlin, Paris, London und Wien berichtet.

    "Speziell den jungen Leuten unter 18 sage ich immer: Denkt global, lernt von anderen Ländern, die gar nicht weit weg sein müssen, und dann kommt zurück, setzt es hier in eurer kleinen Welt um. Lernt, was man am besten auf Deutsch beschreibt: mitteleuropäischer Elan."

    Er organisiert jedes Jahr das Kinderfestival von Sarajevo, 40.000 Kinder und Jugendliche aus ganz Bosnien und Nachbarländern kommen. Die ersten, die vor zehn Jahren teilgenommen haben, sind jetzt 18, können wählen, sind vielleicht die Veränderer, Entscheidungsträger von morgen, sagt er.

    Haris Bilalovic weiß, dass die, die wie er selbst noch den Krieg erlebt haben, das nicht einfach verdrängen können:

    "Es hat in diesem Land nie eine wirkliche Aufarbeitung der Kriegserlebnisse, dieses Traumas stattgefunden. Ich bin überzeugt, dass nur mit der Aufarbeitung der Vergangenheit eine bessere Zukunft möglich ist."

    Aber sie ist möglich, sagt er, schon wieder auf dem Sprung zum Flughafen, zu einem Netzwerk-Treffen in Berlin. Und erzählt noch, dass er jeden Morgen wie ein Mantra einen historischen Text von Ivo Andric liest, dem Literaturnobelpreisträger, in dem es sinngemäß heißt: "Viele haben versucht, Bosnien einen Teil zu nehmen. Sie sind weg, Bosnien ist geblieben."