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Einheitsbilanz eines Flusses
Anwohner der thüringischen Werra fürchten um die Wasserqualität

Die Werra entspringt in Thüringen und fließt in Hessen in die Weser. Auf beiden Seiten der ehemaligen "Zonengrenze" belasten seit Langem salzhaltige Abwässer des Kali-und Salzbergbaus den Fluss. Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung bangen die Einwohner im ehemaligen Grenzgebiet weiter um ihr Trinkwasser.

Von Ludger Fittkau | 02.10.2015
    Am anderen Ufer der Werra ist am 25.02.2015 die Abraumhalde und das K+S-Verbundwerk Werra Standort Wintershall in Heringen (Hessen) zu sehen.
    Auch noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung bedrohen in den Boden gepresste Abwässer aus dem Salzbergbau an der Werra das Trinkwasser. (dpa / picture alliance / Uwe Zucchi)
    Die Fachwerkstadt Witzenhausen an der Werra – nur ein paar Kilometer von der ehemaligen Zonengrenze zwischen Thüringen und Hessen entfernt. Hier lebt Dr. Walter Hölzel. Er stammt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, wohnt jedoch seit 30 Jahren im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Ost- und Westdeutschland. Er liebt diese Region und engagiert sich auch im Stadtparlament von Witzenhausen für sanften Tourismus an der Werra. Aber der hohe Salzgehalt im Fluss macht es ihm bisher noch schwer:
    Die deutsche Loire "an der Pissrinne der Kali-Industrie"
    "Als Lokalpolitiker weise ich immer darauf hin, dass es an der Strecke der salzbelasteten Werra 30 Schlösser und Herrenhöfe gibt. Das ist, wie ich immer sage, die 'deutsche Loire'. Allerdings liegen diese Schlösser an der Pissrinne der Kali-Industrie. Und das touristisch zu vermarkten, ist schon nicht so ganz einfach."
    Der parteilose Walter Hölzel ist Vorsitzender der Werra-Weser-Anrainerkonferenz - einem bundesländerübergreifenden Zusammenschluss von Kommunen und landwirtschaftlichen Genossenschaften, die von der Versalzung der Werra betroffen sind. Er sieht nach 25 Jahren Deutscher Einheit den Fluss weiterhin in einem sehr schlechten Zustand:
    "Die Werra ist gründlich vernichtet. Die Süßwasser-Lebensgemeinschaft ist vernichtet."
    Viele Industriebetriebe im Oberlauf der Werra sind verschwunden
    "Bis 89 hat die DDR die Werra als Müllhalde benutzt", sagt auch Dr. Walter Lübcke, der CDU-Regierungspräsident von Kassel. Doch nach 25 Jahren Deutsche Einheit habe sich Wesentliches getan – insbesondere, weil viele Industriebetriebe im Oberlauf der Werra verschwunden sind. Auch die Kali- und Salzindustrie in Thüringen und Osthessen leite längst nicht mehr so viel Salz in den Fluss ein wie vor der Wende, bestätigt Thomas Norgall, Umweltreferent des Bundes für Umwelt und Naturschutz – kurz BUND- Hessen:
    "Die Werra hat heute viel weniger Salz als früher, das hat einfach damit zu tun, dass die frühere DDR ihre Betriebe einfach komplett entsorgen ließ, ohne sich da irgendwelche Gedanken zu machen, in die Werra. Allerdings haben sich die Probleme jetzt sehr stark verlagert. Wir haben da nach wie vor große Schwierigkeiten. Was man früher nicht in dem Umfang kannte, sind eben die Risiken für das Grundwasser, das Trinkwasser.
    Angst um Grundwasserbrunnen
    Und wir haben dieses gewaltige Haldenwachstum dort. Wo wir ja wirklich riesige Berge haben mit mehreren hundert Metern Höhe, die ständig weiterwachsen und aus denen dann anschließen auch wieder Salzwasser raus fließt, wenn der Regen drauf kommt. Eigentlich eine Menge ungelöster Probleme. Eigentlich weiß keiner, wie es dort weitergehen soll."
    Einheitsgemeinde – so nennt sich die thüringische Gemeinde Gerstungen, die ebenfalls unmittelbar am ehemaligen "Eisernen Vorhang" im Werratal liegt. In Gerstungen sind die ersten Grundwasserbrunnen geschlossen worden, weil Salz eingedrungen ist. Jetzt befürchtet man, dass der Kalibergbau weitere Brunnen in der Region gefährden könnte. Das müsse man sehr ernst nehmen, sagt Jürgen Lenders. Er ist umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag und stammt aus der Region:
    "Das ist ein sehr emotionales Thema. Das sind Ur-Ängste von Menschen, wenn es um so etwas Elementares geht wie das Wasser. Und da muss man dann auch sensibel damit umgehen und den Menschen auch beistehen, gerade was die Informationen anbelangt. Da muss man sehr transparent mit umgehen, die Leute dürfen nicht den Eindruck bekommen, man wollte da irgendwas weg nuscheln."
    Regierung muss auf Bergbauarbeiter Rücksicht nehmen
    Dies weiß auch Priska Hinz, die hessische Umweltministerin von den Grünen. Doch gleichzeitig arbeiten bis heute mehrere tausend Menschen im Kali- und Salzbergbau – auf der westlichen wie der östlichen Seite des ehemaligen "Eisernen Vorhangs". In der hessischen Regierungskoalition mit der CDU müssen die Grünen darauf Rücksicht nehmen. Priska Hinz kann deshalb nicht versprechen, dass die Werra in 25 Jahren – nach dann 50 Jahren Deutscher Einheit – wieder Süßwasser-Qualität hat:
    "Die Werra wird dann leider noch keine Süßwasserqualität haben. Das werden wir nicht erreichen aufgrund der Tatsache, dass es so viele diffuse Einträge gibt. Das heißt, eine Vorbelastung auch über den Boden, dass wir das nicht erreichen werden."
    Immerhin, so hofft Priska Hinz, könnte die Weser, in die die Werra mündet, nach 50 Jahren Deutsche Einheit wieder Süßwasserqualität haben.