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Einheitsgewerkschaften
"Faktisch ein Eingriff ins Tarifrecht"

Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit aus dem Haus von Arbeitsministerin Andrea Nahles laufe letztendlich auf eine Beschränkung des Streikrechts hinaus, sagte Reinhard Bispinck von der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung im DLF. Das sei nicht erforderlich und hoch problematisch - und könnte bald schon über eine Verfassungsklage scheitern.

Reinhard Bispinck im Gespräch mit Christine Heuer | 29.10.2014
    Streikende Lokführer - viele Gewerkschaften sehen die Pläne zur Tarifeinheit kritisch
    Streikende Lokführer - viele Gewerkschaften sehen die Pläne zur Tarifeinheit kritisch (dpa / picture-alliance / Peter Endig)
    Peter Kapern: Schon im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, in den deutschen Unternehmen für die sogenannte Tarifeinheit zu sorgen. Es soll der Grundsatz gelten: „Ein Unternehmen, ein Tarifvertrag". Gestern hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Eckpunkte ihres Gesetzes vorgestellt. Gewerkschaften im gleichen Betrieb sollen dadurch zur Zusammenarbeit bewegt werden. Tun sie das nicht, soll der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gelten. Der laute Aufschrei einiger Spartengewerkschaften ließ nicht lange auf sich warten. Sie fürchten, ihr Streikrecht könnte eingeschränkt werden. Braucht es also ein Gesetz, damit sich Gewerkschaften tatsächlich einigen? Darüber hat meine Kollegin Christine Heuer mit Reinhard Bispinck von der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung gesprochen.
    Christine Heuer: Ausgerechnet eine sozialdemokratische Arbeitsministerin legt einer ganzen Reihe von Gewerkschaften Steine in den Weg. Hätten Sie das erwartet, Herr Bispinck?
    Reinhard Bispinck: Ja das stand zu befürchten, weil ja schon im Koalitionsvertrag sich CDU/CSU und SPD darauf verständigt hatten, nach Möglichkeit eine gesetzliche Regelung zur sogenannten Tarifeinheit vorzulegen, und jetzt scheint es so zu sein, dass das auch praktisch umgesetzt werden soll.
    Heuer: Finden Sie das richtig?
    Bispinck: Ich finde, es ist nicht erforderlich und es ist im Zweifel auch hoch problematisch, womöglich sogar verfassungsrechtlich nicht zu halten. Es ist nicht erforderlich, weil ich denke, wir haben keine Situation, was Streiks und Arbeitskämpfe in Deutschland angeht, dass gesetzliche Beschränkungen der Gewerkschaften, die letztendlich auf eine Beschränkung des Streikrechts hinauslaufen, tatsächlich erforderlich sind. Wir haben in vielen Fällen gute Kooperationen zwischen den Gewerkschaften und da, wo es sie nicht gibt, muss man sehr genau prüfen, ob es wirklich gerechtfertigt ist, die Gewerkschaften in ihrem Recht auf Streik einzuschränken.
    Heuer: Sie sagen auch eindeutig, das ist eine Einschränkung des Streikrechts und damit verfassungswidrig?
    Bispinck: Ja da muss man erst mal abwarten, bis man den Wortlaut des Gesetzestextes tatsächlich sieht. Bislang gibt es ja nur Eckpunkte und die Eckpunkte sehen vor, dass formal das Streikrecht nicht eingeschränkt wird. Aber es soll im Zweifel geprüft werden, ob ein Streik einer kleinen Gewerkschaft, die etwa im Betrieb in der Minderheit ist, verhältnismäßig ist. Und das Argument lautet, wenn ein solcher Tarifvertrag, den eine solche kleine Gewerkschaft abschließt, womöglich hinterher nicht angewendet werden darf oder kann, wegen der gesetzlichen Vorschriften, dann wäre der Streik nicht verhältnismäßig. Das ist natürlich faktisch sehr wohl ein Eingriff in das Streikrecht, auch wenn es formal nicht angetastet wird.
    Heuer: Es gibt ja nun auch viele kleine Gewerkschaften, die Verfassungsklage ankündigen oder erwägen. Für wie aussichtsreich halten Sie das Unterfangen?
    Bispinck: Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung rechnet selber damit, dass genau dieser Weg beschritten wird. Ich halte das auch für sehr vernünftig. Das Grundrecht der Gewerkschaften, in Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz festgelegt, ist von solcher Qualität, dass auf jeden Fall die Gewerkschaften das Recht haben müssen, sie haben es ja auch, dies verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen, und ich kann mir gut vorstellen, nachdem viele, viele Juristen in den vergangenen Monaten sich sehr skeptisch gegenüber einem solchen Gesetzesvorhaben geäußert haben, dass die Aussichten auf Erfolg so gering nicht sind.
    GDL soll ihr Grundrecht auf gewerkschaftliches Handeln wahrnehmen können
    Heuer: Andererseits ist es ja so, Herr Bispinck: Was die GDL da gerade so treibt, das ist ja eigentlich kein Tarifkonflikt mehr, sondern ein offenes Machtspiel. Muss man so etwas nicht unterbinden?
    Bispinck: Man darf es nicht unterbinden, denke ich. Solange wir Verhältnisse haben, wo Gewerkschaften ihr Grundrecht auf Streik ausüben dürfen und wo die Ausübung dieses Streikrechts in einem Rahmen stattfindet, der letztlich nicht zu beanstanden ist, dann darf man in so etwas nicht eingreifen. Es hat ja bislang auch keinerlei Versuche gegeben, etwa juristisch über die Frage Verhältnismäßigkeit oder Ähnliches mehr die Streiks der GDL zu unterbinden. Das war bei früheren Konflikten 2007/2008 durchaus anders. Und ich denke, dass man nicht unbedingt ein Freund des tarifpolitischen Vorgehens der GDL sein muss, oder ihre Forderungen für gerechtfertigt zu halten, aber gleichwohl der Auffassung sein kann und sein sollte, dass sie ihr Grundrecht auf gewerkschaftliches Handeln - und dazu gehört das Streikrecht - wahrnehmen können. Es wäre besser, aus meiner Sicht wäre es besser, sie würden von ihrem Alleingang, der sich ausschließlich auf die Gruppe der Lokführer und die Zugbeschäftigten konzentriert, Abstand nehmen und wieder zurückkehren zu dem Kooperationsverhalten der vergangenen Jahre, was ja so schlecht vom Ergebnis her nicht war. Da werden Brücken gebaut seitens der EVG, der DGB-Gewerkschaft, auch seitens der Deutschen Bahn, und ich denke, die GDL wäre gut beraten, über diese Brücke auch zu gehen.
    Heuer: Nun ist die Rechtslage ja das eine, die Anwendbarkeit ist das andere. Wenn Notare entscheiden müssen, wer die Mehrheit hat, wie praktikabel ist dieses Gesetz dann?
    Bispinck: Auch das muss deswegen ja nicht unpraktikabel werden. Das Hauptproblem ist doch: Im Moment sind Zahlen von allen Seiten im Spiel. Die einen behaupten, sie hätten 80 Prozent der Lokführer organisiert, die anderen behaupten, sie hätten die Mehrheit aller anderen Beschäftigten organisiert. Dann kommt die nächste Behauptung ins Spiel, dass in Bezug auf die Zugbeschäftigten aber etwas mehr als 50 Prozent bei der GDL organisiert seien. Und solange diese Dinge nicht offengelegt werden - das gilt übrigens auch für den Gesetzentwurf, den vermutlichen Gesetzentwurf von Frau Nahles -, solange diese Dinge nicht offengelegt werden, kann man es nicht tatsächlich zur Entscheidungsgrundlage machen. Und das Gesetz soll ja wohl vorsehen, dass in der Tat durchgezählt wird, was ist die Mehrheitsgewerkschaft, was ist die Minderheitsgewerkschaft. Ich denke, wenn es da tatsächlich zu kommt, werden die Notare durchaus noch Arbeit bekommen.
    Kapern: ..., sagt Reinhard Bispinck, der Tarifexperte der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Lesen Sie hier in Kürze das vollständige Interview mit Roland Wolf.