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Inklusion in NRW
Regelschule oft schwierig für Kinder mit Behinderung

Für Eltern von Kindern mit Behinderungen ist die Frage nach der Schule schwierig: Inklusion, also Regelschule mit anderen Kindern, oder Förderschule mit speziell ausgebildetem Personal. Zwar liegt die Präferenz häufig bei der Regelschule - allerdings ist dort in NRW die Betreuung oft schlecht.

Von Vivien Leue | 06.09.2019
Ein Rollstuhl steht in einer Schule zwischen anderen Stühlen. |
An Regelschulen hat in NRW die Inklusion - mit wenigen Ausnahmen - nicht zu einem adäquaten Betreuungsschlüssel für Kinder mit Behinderungen geführt (picture alliance / Frank May)
- "Heute war ein guter Tag an der Schule"
- "Ja?"
Barbara Ostendorf und ihr Mann Michael sitzen auf ihrer grün umwachsenen Terrasse in Leverkusen.
"Der Jonathan mit Down Syndrom ist 18 und geht zurzeit noch zur Schule."
Erklärt Barbara Ostendorf. An seiner Förderschule für Geistige Entwicklung hat Jonathan gerade die Klasse gewechselt. Noch läuft es nicht so gut, alle müssen sich erst aneinander gewöhnen.
"Menschen mit geistiger Behinderung leben doch sehr stark mit dem Bedarf, dass man sehr gut gucken muss, was für sie passt. Welche Bedürfnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten da sind. Welche Schwierigkeiten es gibt, die auch bleiben."
Deshalb geht Jonathan schon seit seiner Einschulung auf eine Förderschule. Zwar habe sie sicherlich oft von einer inklusiven Beschulung geträumt, sagt Barbara Ostendorf, und manchmal fragt sie sich auch jetzt noch, wie seine Schullaufbahn wohl verlaufen wäre, würde er auf eine Regelschule gehen.
"Ich glaube, die Chance, dass Kinder voneinander lernen, die ist mitunter an Förderschulen etwas eingeschränkt."
Aber letztlich ist sie sich doch sicher, dass Jonathan im aktuellen Schulsystem an der Förderschule am besten lernen kann.
"Er hat diese eine Beschulungssituation und die soll gut laufen."
Spezielle Förderung notwendig
Denn Kinder mit Förderbedarf brauchen eben Förderung, spezielle Förderung – im Bereich Lernen, Geistige Entwicklung, Sprache oder emotionale-soziale Entwicklung. Dafür braucht es Fachpersonal, Sonderpädagogen, nicht nur für ein paar Stunden die Woche, sondern permanent.
"Das Problem ist, dass die Abdeckung bezüglich Sonderpädagogen an allgemeinen Schulen sehr gering ist."
Sagt Jochen-Peter Wirths aus Wuppertal, Vorsitzender des Landesverbands Sprache, der sich in NRW für die Belange von Kindern mit Sprachbehinderungen einsetzt.
"Wir haben einen Lehrermangel und insbesondere einen Mangel an Sonderpädagogen. Und dann muss man ja noch wissen, dass die Sonderpädagogen bestimmte Fachrichtungen haben. Man bräuchte für ein sprachbehindertes Kind noch einen Sonderpädagogen mit der Fachrichtung Sprache. Auch das passt häufig nicht zusammen."
Jochen-Peter Wirths Sohn hat eine Sprachbehinderung. Er ist mittlerweile 22 Jahre alt und hat vor ein paar Jahren seinen Hauptschulabschluss an einer Förderschule gemacht. An einer Regelschule, sagt Wirths, wäre die Unterstützung für seinen Sohn nicht ausreichend gewesen.
"Inklusion ist oder war vor einigen Jahren für viele Eltern positiv besetzt und viele Eltern haben ihre Kinder auf der Regelschule eingeschult, um sie dort zu inkludieren. Leider hat sich da eben herausgestellt, dass die Förderung nicht sehr intensiv war."
Inklusion oft mit Scheitern und Enttäuschung verbunden
Hört man sich um, gibt es aus dem Bereich der Inklusion tatsächlich viele Berichte des Scheiterns und der Enttäuschung. Bei ausgeschaltetem Mikro erzählen Eltern dann davon, wie ablehnend die Haltung einiger Schulen gewesen sei, dass die Kinder mit Förderbedarf schnell nur noch als Problem und nicht mehr als Bereicherung angesehen wurden. Dass am Ende Eltern, Lehrer – und auch die Kinder – nur noch frustriert waren.
"Die Art der Inklusion, die vor fünf, sechs Jahren eingeführt worden ist, die hat eigentlich die Bedingungen für Kinder mit Förderbedarf verschlechtert und nicht nur die Bedingung für diese Kinder, sondern auch für die anderen Kinder."
Meint Jochen-Peter Wirths, der sich für die Inklusion einsetzt, allerdings unter besseren Bedingungen. Aus seiner Sicht müsse es mindestens kleinere Klassen und eine Doppelbesetzung aus Lehrern und Sonderpädagogen geben, damit Inklusion an Schulen wirklich funktioniert. Diese Bedingungen herrschten aktuell nur an ein paar Leuchtturm-Schulen.
Dass Inklusion unter idealen Bedingungen aber durchaus funktionieren kann, hat Barbara Ostendorf mit ihrem Sohn Jonathan erlebt.
"Wir haben inklusives Lernen im Kindergartenbereich ausprobiert und das fanden wir auch ganz großartig. Das war eine kleine Gruppe, aber dann mit dem erhöhten Personalschlüssel. Und das hat sehr, sehr schön geklappt."
Jonathan sei dort mit seinem Bruder, ein heute 15 Jahre alter Gymnasiast, in eine Gruppe gegangen.
"Nach meiner Einschätzung ist es so, dass er sich in wirklich inklusiven Gruppen, also Kommunionsvorbereitungen, oder Feste, er eigentlich gut zurecht kommt, wenn es gut gemischt ist und er sich dort mitunter viel besser einfügen kann in so eine bunte Gesellschaft."
So eine bunte Gesellschaft wünschen sich viele Eltern auch in der Schule für ihr Kind - allerdings unter besseren Bedingungen als sie aktuell herrschen.