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Einsam zu zweit auf Süderoog

Leben auf einer Insel, dazu haben sich Nele und Holger entschieden. Die Zwei werden auf der Hallig Süderoog im nordfriesischen Wattenmeer als Küstenschützer arbeiten und - neben ein paar Tieren - die einzigen ständigen Bewohner sein.

Von Claudia Kalusky | 01.09.2013
    Um nach Süderoog zu gelangen, muss man zunächst von Nordstrand in Schleswig Holstein mit der Fähre auf die kleine Insel Pellworm übersetzen: Die misst acht Kilometer im Durchmesser und ist kreisrund. Aber immerhin: Pellworm hat einen Kurdirektor. Andreas Kobauer fühlt sich wohl auf dem dünn besiedelten Inselchen mit seinen nur knapp 2000 Gästebetten, die überwiegend auf Ferienwohnungen verteilt sind.

    "Im Vergleich zu den anderen Nordseeinseln würde ich nicht sagen, dass der Tourismus hier brummt, hier ist es eher ruhig und beschaulich."

    Auf Pellworm kann man Rad fahren, in der Nordsee schwimmen, wenn sie mal da ist, im Watt wandern, wenn sie weg ist; Schiffausflüge zu den Seehundbänken oder zu einer der größten Sandbänke Europas unternehmen. Es gibt einen kleinen Hafen, eine 1000 Jahre alte Kirche mit einer weltberühmten Arp Schnittger Orgel, drei kleine Museen, das Kino, ein Hallenschwimmbad, eine Handvoll Geschäfte und mehrere Gaststätten: alles überschaubar und familiär:

    "Auf Pellworm merkt man als Gast oder Einheimischer, dass es noch ein soziales Netzwerk gibt, was man auf dem Festland eigentlich nicht mehr kennt. Wir haben mal einen Spruch gehabt, der von ganz vielen Gästen bestätigt wird: Unsere Urlauber, die hier auf die Insel kommen, fühlen sich als Pellwormer auf Zeit."

    Am nächsten Morgen geht’s dann zu Fuß rüber auf die Hallig. Nicht allein, das wäre lebensgefährlich, sondern mit einem, dem man vertrauen kann, wenn es ums Wattenmeer, Wetter und die Gezeiten geht.

    Hermann Matthiesen trägt Holzfällerhemd zu hüfthohen Gummistiefeln; aus der Hintertasche seiner Lederhose ragt der Knauf eines Messers. Der Himmel ist dicht bewölkt, es ist frisch an diesem Tag. Beschwerlich ist sie, die etwa sechs Kilometer lange Wanderung durch teilweise rutschigen Schlick und Schlamm und durch Priele, deren Wasser mitunter bis zu den Knien reicht. Einmal, als Matthiesen allein im Watt war, ist er bis zum Oberkörper eingesackt; er hatte Glück, es ging glimpflich ab.

    "Ich war auch richtig fertig, als ich draußen war, das hat fast eine halbe Stunde gedauert."

    Zimperlich darf man nicht sein, wenn man in dieser Region lebt. Hermann - hier duzt man sich – arbeitete als Küstenschützer auf Süderoog; nun ist er Rentner. Aus Altersgründen müssen er und seine Frau nun nach 22 Jahren Abschied nehmen von der Hallig. Fällt das schwer?

    "Mir nicht so sehr, bei meiner Frau, glaub ich mehr. Für mich ist es eigentlich abgeschlossen, ich möchte jetzt einfach mal was anderes machen."

    Doch ja, besonders sei es schon gewesen, dieses Leben auf Süderoog, im Einklang mit den Naturgewalten. Ein einsames Leben?

    "Wenn man im Winterhalbjahr hier ist, hier ist ja nix und dann braucht man auch jeden Tag seine Beschäftigung; versorgt die Tiere, trinkt man Kaffee und dann erzählt man sich noch ´n bisschen was. Wir haben uns noch ganz viel zu erzählen, auch nach über 30 Jahren, die wir verheiratet sind."

    Ihren Fernseher haben die Matthiesens bereits vor langer Zeit abgeschafft.

    "Wir hatten erst einen mitgebracht, weil wir dachten, es ist fürchterlich langweilig da drüben und dann haben wir gemerkt, dass immer einer was gucken will und dann hat man ja keine Zeit mehr, sich zusammen zu unterhalten."

    Aber irgendetwas muss man doch vermissen, da draußen auf der Insel.

    "Wir vermissen manchmal, dass wir nicht schnell mal nach Pellworm kommen zum tanzen. Wir tanzen nämlich gerne. Wenn schöne Musik ist im Radio, dann tanzen wir in der Küche. Und so geht’s uns gut."

    Der 65-Jährige scheint zufrieden mit seinem vergangenen Leben und freut sich auf die Rückkehr auf seine Heimatinsel Pellworm. Nach rund zwei Stunden Marsch durch eine beeindruckend weite Landschaft haben wir die Hallig erreicht: Süderoog ist rund 800 Meter breit und einen Kilometer lang.

    Der erste Hof wurde im 17. Jahrhundert errichtet, brannte ab, wurde neu gebaut. Die Salzwiesen, die den überwiegenden Teil der Insel ausmachen, dürfen von Mai bis August nicht betreten werden; dann ist Brutzeit für die Seevögel: Die Hallig ist ausgewiesenes Vogelschutzgebiet und so gehört es auch zu den Aufgaben der Halligbewohner, die verschiedenen Möwen- und Seeschwalbenarten, die Austernfischer, Enten und noch viele mehr zu zählen.

    Nicht gerade einfach, da braucht man Geduld; so war´s auch mit den Bäumen: 500 Stück haben die Matthiesens damals gepflanzt; darunter Obstbäume und Eichen; davor war die Hallig ein eher karges Eiland. Das reetgedeckte, imposante Gehöft mit Wohnhaus und Stallungen liegt, wie es üblich ist, auf einer Warft; einer künstlich angelegten Anhöhe. Gudrun Matthiesen kommt aus dem Haus, um uns zu begrüßen. Sie wirkt freundlich zurückhaltend und dennoch resolut. Die 50-Jährige lebt mit und für die Natur und kann sich ein Leben ohne das Wattenmeer und ohne ihre Tiere nicht vorstellen.

    "Die haben wenig Stress hier unsere Tiere. Die merken, dass sie lieb gehabt werden."

    Als da wären: drei Kaltblutpferde, zwei Kühe, zwei Hunde, Schafe und Lämmer. Schafe sind Pflicht auf der Hallig, damit sie beweidet werden kann. Es gibt Hühner, Enten und Gänse.

    Ein Teil der Tiere wird nach Pellworm mitgenommen. Dort werden die Matthiesens ein kleines Haus mit viel Land drum herum bewohnen. Diese Umstände machen Gudrun den Abschied leichter. Nele Wree hat sich zu uns gesellt: Sie ist 30 Jahre jung und die zukünftige Pächterin von Süderoog; sie wirkt mädchenhaft mit ihrem Pferdeschwanz: recht gelassen und irgendwie bodenständig. Naturverbunden war sie schon immer.

    "Wir haben einen großen Hof gehabt, ich war viel mit meinem Vater im Wald unterwegs. Ich hab Kunstgeschichte studiert in Bonn. Hab 2008 meinen Abschluss gemacht und hab erst an der Uni gearbeitet und bin dann in Hamburg gelandet und hab erst mal in einem Architekturbüro mit Galerie gearbeitet und bin von da hierher gekommen. Geplant war es auf gar keinen Fall, das hat sich alles irgendwie so ergeben, aber manchmal denkt man, das sind so viele Zufälle, die da irgendwie aufeinander prasseln, dass das doch irgendwie irgendwer geplant hat."

    Nele geht den Schritt von der Großstadt in die Weite der Natur nicht allein. Seit einem Jahr ist Holger Spreer ihr Lebensgefährte: Der 33-jährige blonde Bartträger mit verschmitztem Blick war von Kind an mit dem Element Wasser verbunden. Sein Vater war Fischer.

    "Mit 16 bin ich hier oben an die Küste gekommen und hab als Krabbenfischer angefangen, hab meine Lehre gemacht, dann hab ich zwei Kapitänspatente gemacht. Bin als Kapitän gefahren, hab dann alles hingeschmissen. Bin in Koblenz gelandet, hab dann Versicherungsfachmann gemacht und bin dann hier oben an die Küste gekommen, weil ich das dann doch vermisst habe."

    Wohl nicht nur "das". 13 Jahre ist es inzwischen her, dass Nele und Holger ein Auge aufeinander geworfen hatten. Neles Eltern besitzen eine Ferienwohnung auf Pellworm. Daher war die junge Frau regelmäßiger Gast auf der Insel und eines Tages erspähte sie diesen flotten Krabbenkutterkapitän mit Namen Holger. Es gab verhaltene Annährungen mit längeren Unterbrechungen, bis es dann doch ernst wurde.

    Die beiden haben sich zweifelsohne für ein außergewöhnliches Leben entschieden:

    "Der Reiz ist die Natur. Man hat freie Sicht. Man ist mittendrin."

    Wie es dazu kam? Nun, man kennt sich auf Pellworm, das ja quasi gegenüber von Süderoog liegt und so wurde das junge Paar von Gudrun und Hermann gefragt, ob sie mal einhüten könnten: Die Hallig darf schon wegen der Tiere nicht allein gelassen werden.

    "Haben wir dann gemacht und nach diesem Wochenende war genau der Stichtag, dieser Bewerbungsschluss und dann haben wir schnell eine E-Mail hingeschickt ja und siehe da: Es wurde was draus! Es war auch viel Zuspruch von Hermann und Gudrun und dann kam noch dazu, dass wir Land und Leute gut kennen, ich meine Erfahrung in der Seefahrt habe."

    Nele und Holger werden als Küstenschützer beim Land Schleswig-Holstein angestellt sein. Den Job müssen sie sich teilen. Küstenschutz ist wichtig, da die Halligen auch als Wellenbrecher für das Festland dienen. So verlangt der Job unter anderem, ganzjährige Arbeiten an den Halligbegrenzungen. Zuschüsse gibt es für Landwirtschaft und Viehhaltung und in der Saison kommen Wattwanderer, die auf der Hallig verköstigt werden. Ein Luxusleben wird das eher nicht.

    "Wir müssen über den ersten Winter kommen, ein Boot kaufen, Geräte kaufen. Natürlich bekommt man das auch irgendwann bezahlt, aber erst am Ende des nächsten Jahres. Was viele denken, man braucht kein Geld, weil man hier nicht diese äußeren Reize hat. Es wäre jetzt komisch zu sagen, ich find mich total mutig. Klar hat man da Respekt vor und bei manchen Sachen weiß man noch nicht so recht, wie das kommt."

    Auf eines können sich die beiden aber ganz sicher einstellen: Sie werden inmitten der Elemente leben: Die Nordsee kann rau und stürmisch sein; die kleine Insel wird im Herbst und Winter immer wieder überflutet werden. Im schlimmsten Fall gibt es in dem Gehöft einen Schutzraum; allerdings braucht man in solchen Momenten auch Nerven und Urvertrauen. Was es bedeuten kann, der Natur ausgesetzt zu sein, das hat Gudrun Matthiesen am eigenen Leib erfahren, als sie nachts und bei dickem Nebel nach Pellworm gewandert ist, um Lämmermilch zu holen.


    "Da hab ich echt nachher Angst vor meiner eigenen Courage gehabt, da hab ich gedacht, als ich im Watt stand: Meine Güte, bist du bescheuert! So was Doofes! Aber da war's zu spät, da musste ich weiter laufen. Wenn ich dann einen Augenblick die Augen vom Kompass weggenommen hab, wurde mir total schwindelig. Das liegt am Gleichgewichtsorgan."

    Nele und Holger haben sie schon hinter sich gebracht; ihre erste Wattwanderung bei Nacht, allerdings ohne Nebel. Niemals allein, meint die junge Frau respektvoll, und wenn sie an mögliche Stürme denkt, dann wird ihr ebenfalls ein bisschen mulmig, aber:

    "Ich glaub, wenn man die ganze Zeit daran denken würde, was wäre wenn und was mach ich dann, dann bin ich ja total aufgeschmissen, das wäre furchtbar. Wenn hier Sturm und Wasser ist, dann wackelt das noch nicht mal, das ist doch herrlich."

    Das Leben auf Süderoog bedeutet vor allem viel Arbeit. Für schwere Arbeiten kommt ein Helfer aus Pellworm.

    "Ziemlich zeitig aufstehen, meistens sechs, halb sieben. Momentan sind wir am Zäunesetzen. Und dann stehen die Tiere auf dem Plan. Wo man ein Auge haben muss, ob es denen gut geht."

    Innerhalb ihrer Probezeit bekommen die Neulinge etliche Anweisungen von den Matthiesens. All das, was sie in Zukunft zu tun oder besser zu lassen haben: Nicht immer sind sich Vorgänger und Nachfolger einig.

    "- "Ist sie eine strenge Lehrherrin?"
    - "Nein, streng kann man so nicht sagen, es ist natürlich ein Generationsunterschied. Wenn man so lange hier gewesen ist, ist es auch irgendwie schwierig, das dann abzugeben."
    - "Also, wenn ich weiß, dass es gut weiter gemacht wird, geht es mir wunderbar damit. Mir wird es zu viel und ich freu mich auch auf Pellworm. Es ist einmalig, was man hier so lange gemacht hat und das ist natürlich tief in einem drin.""

    Verändern wollen die jungen Leute eigentlich nichts. Sie werden wie ihre Vorgänger leben, mit der Natur, den Tieren und ohne Fernseher, allerdings:

    "Wir würden gern einen Internetanschluss haben, aber es gestaltet sich ein wenig schwierig."

    Noch kein Internet, keine Freunde oder hilfsbereiten Nachbarn und keine Geschäfte:
    Ist das nicht doch ein wenig zu einsam?

    "Natürlich hat man dieses Bild: Es sind nur zwei Menschen, die hier dauerhaft leben, aber man ist ja trotzdem nicht alleine. Es kommen Wattwandertouristen, man hat ja auch mal Besuch. Man hat immer was zu tun. Einsam kann man so nicht sagen. Einsam ist man in sich selber. Wenn man das Gefühl hat, man wäre hier einsam, dann wird’s Zeit, dass man wegkommt."

    So ein Leben kann auch zur Belastungsprobe für eine Beziehung werden; aber dass es alles in allem gut gehen kann, das haben Gudrun und Hermann schließlich lange genug bewiesen.

    "Ist immer mal was, das ist aber auch normal. Wenn Herman und ich allein sind; das ist immer mal eine Diskussion wert, aber das geht."

    Nele und Holger scheinen so gar keine Angst vor dem Miteinander auf der Hallig mitten im Meer zu haben, obwohl sie erst seit einem Jahr zusammen sind.

    "Da hab ich gar keine Bedenken. Wir haben uns sehr aufeinander abgestimmt, und wenn was drückt, sprechen wir darüber und das harmoniert doch eigentlich schon ganz gut. Ich rede immer gern viel und Holger ist eher ruhig. Es ist wichtig, dass man auch miteinander schweigen kann. Aber man muss sich auch unterhalten können, manche Dinge müssen einfach raus und müssen gesagt werden. Weitblick braucht man auch, ja das ist wichtig. Na klar, da öffnen sich Horizonte, im wahrsten Sinne des Wortes."