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Einsamkeit ist souverän

In der heutigen Gesellschaft gibt es nur sehr wenige Menschen, die die Einsamkeit schätzen. Im Gegenteil: Viele betrachten sie eher als etwas Schlimmes. Anders der Publizist und Zeitschriftenmacher Ulf Poschardt in seinem Buch "Einsamkeit. Die Entdeckung eines Lebensgefühls". Dabei lässt er den Leser jedoch pädagogisch in Ruhe, sondern beschreibt lediglich die Vorteile des "Fürsichseins", wie er die Einsamkeit benennt.

Von Ursula März | 24.07.2006
    Einsamkeit klingt schlimm - und kann es sein. Viel besser klingt es, wenn man sie einfach bei einem anderen Namen nennt: Sagen wir statt "Einsamkeit" beispielsweise: "Fürsichsein". Schon verzieht sich die dunkle trostlose Wolke, die über dem Einsamen hängt. Und er tritt als souveränes Individuum hervor, welches das Glück genießt, es mit sich allein auszuhalten, ja, von sich erfüllt, durch sich versorgt zu sein. Davon, von diesem Perspektivwechsel, handelt Ulf Poschardts Buch "Einsamkeit. Die Entdeckung eines Lebensgefühls".

    Allerdings betrachten wir hier die Dinge des Lebens durch die Designerbrille bequem situierter Singles, die schlimmstenfalls das durchmachen, was Poschardt "Abende der Verzweiflung" nennt. Von Härten ökonomischer, sozialer, körperlicher Art sind die Einsamkeitsbilder dieses Essays, samt seiner soziologischen Szenerien, ein paar Erfahrungsmeilen weit entfernt. Umso näher dafür, einer von entspannten Leutchen bevölkerten Lebenswelt, in welcher der Besuch beim Feinkosthändler, der Erwerb von Shrimps und Ruccola den Samstagmorgen bestimmt, das Hinstrecken auf schwingende Liegen den Samstagnachmittag.

    Beim Abhören des AB fällt dann die Entscheidung, auf die notorischen Samstagabendeinladungen zu verzichten, und stattdessen die Schönheit konzentrierten Fürsichseins bei klassischer Musik, einem halben Fläschchen Weißwein, und zur Krönung des stummen Tages mit einem Schaumbad zu zelebrieren. Zugegeben: Das ist jetzt bösartig übertrieben. Aber Poschardt macht es auch verdammt einfach, sein Buch zu unterschätzen. Das heißt, es für einen Versuch über den gepflegten Stil der Einsamkeit zu halten. Nicht über diese selbst. Das Thema liegt ja als Antithema in der Luft: Allen stehen die Haare zu Berge, angesichts einer Gesellschaft, in der die Minima verlässlicher sozialer Formen den Bach ´runtergehen.

    Einer aber streicht sich in Berlin-Dahlem den Scheitel glatt und sagt: So what? Einsamkeit ist souverän. Einsamkeit ist durchgelüftetes Dasein. Ob Einsamkeit Leere bedeutet oder Fülle, ist eine Frage der Perspektive und der Entscheidung. Und Einsamkeit ist keineswegs antisozial. Sie ist ein uneingelöstes Versprechen auf soziale Ehrlichkeit.

    Gibt es, fragt Poschardt, etwas Sozialeres als das sichere Gefühl, vom Sozialgetümmel unabhängig zu sein? Hier, in diesen anstrengungslosen dialektischen Bewegungen von Poschardts anstrengungslos lesbarem Buch, liegen dessen Qualität und Überzeugungskraft. Seine erzählten Lebensgeschichten und Fallbeispiele entstammen zeitgemäß der versinglenden mittleren und oberen Mittelschicht.

    Poschardt feiert es nicht, das Leben in den Drei- und Vier-Zimmer-Wohnungen, auf deren Klingelschild nur ein Name steht. Er feiert indes die Möglichkeit, in den Umständen eines solchen Lebens, den Genuss der Beruhigung, anstatt erbärmliche Bedrückung, zu empfinden.

    Er erinnert daran, dass der alarmierte Selbstverdacht der Single-Gesellschaft, im Egoismus, im Autismus zu verkommen, den Horizont einschränkt. Nennen wir ihn ruhig: existenziell. Das längst routinierte Dauergespräch über die Single-Gesellschaft hat das Gesundungspotenzial des Fürsichseins in Verruf gebracht. Da hat der 1967 geborene, inzwischen in Berlin lebende promovierte Publizist, Zeitschriftenmacher, Medienberater und Ferrari-Fahrer Ulf Poschardt - Shrimps hin, Schaumbäder her - ganz einfach recht.

    Kein Zweifel: Poschardt erfindet hier nicht das Rad. Sein Essay dürfte weder die Gesellschaftskunde, noch die Philosophie in baffes Staunen versetzen. Texttechnisch bewegt er sich im Rahmen des persönlich gefärbten, am Beispielhaften konkretisierten, in lockerer Frequenz auf den Aphorismus zielenden Erzähltraktats.

    Poschardt nimmt ein bisschen mehr Reflexion für sich in Anspruch, als die klassischen Exponenten der "Generation Golf". Aber die Nachbarschaft ist deutlich. Eines fällt auf: Der Autor polemisiert nicht, und er propagiert nicht. Er bedient sich generell nicht des Widerspruchs zu Diskursen, die Seinem im Weg stehen könnten. Er umkreist sehr konzentriert, sehr unabgelenkt, ganz einfach den Punkt, auf den es ihm ankommt: Den Wert des Alleinseins. Vermutlich ist es vor allem diese Haltung des aggressionsfreien Selbstgesprächs, die sein Buch plausibel macht. Sie ist die unmittelbare Entsprechung des Themas - und umgekehrt.

    Poschardt hält Abstand. Er lässt uns pädagogisch ganz in Ruhe. Kann sein, dass der Einsame nur einer ist, der keine Liebe gefunden hat. Kann sein, dass es symbiotische Ehen gibt und wimmelnde Großfamilien, die jeder anderen Lebensform an Glück überlegen sind. So what? Ulf Poschardt beschreibt nun mal eine Parallelerfahrung und bedenkt sie - für sich. Man glaubt bei der Lektüre manchmal, eines dieser Bücher schnieker "Mittelgescheitheit" vor sich zu haben, deren Wirkung sofort verpufft. Aber so ist es nicht.