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Einstein war ein guter Schüler

Ernst Peter Fischer nimmt sich in seinem Buch "Einstein für die Westentasche" nicht nur Zeit, die Relativitätstheorie des Genies in groben Zügen zu umreißen, sondern beschäftigt sich auch mit der Spätwirkung seines Denkens. Darüber hinaus räumt er mit Legenden auf, beispielsweise der, dass Einstein ein schlechter Schüler war.

Von Matthias Eckoldt | 18.04.2005
    " Verehrte An- und Abwesende. Wenn Ihr den Rundfunk hört, so denkt auch daran, wie die Menschen in den Besitz dieses wunderbaren Werkzeuges der Mitteilung gekommen sind. Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des wachenden und grübelnden Froschers und nicht minder die konstruktive Phantasie des technischen Erfinders."

    Mit diesen Worten eröffnete Albert Einstein 1930 die 7. Deutsche Funkausstellung. Aufgabe des Radios, so der bereits 1921 mit dem Nobelpreis dekorierte Physiker, sei die Völkerverständigung. Doch die Sache kam bekanntlich anders, als drei Jahre später Hitler das Mikrophon an sich riss und die Deutschen in einen nationalistischen Taumel hinein schrie. Einstein emigrierte noch im Jahr der Machtergreifung in die USA.

    Ernst Peter Fischer zeigt in seiner bei Piper erschienenen Biografie, dass Einstein als Jude jedoch schon in seinem letzten Jahrzehnt in Europa mit Antisemitismus zu kämpfen hatte. In Berlin gründete sich demnach bereits 1920 eine "Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft", die mit Großveranstaltungen in der Philharmonie gegen den Vater der modernen Physik Stimmung machte.

    Dem maßgeblich von dieser Gruppe betriebenen Ausschluss aus der Akademie der Wissenschaften kam Einstein schließlich durch seinen Austritt zuvor. Doch der Antisemitismus ist nur ein Nebenstrang im pünktlich zur Feier des Jahrhundertgenies erschienenen "Einstein für die Westentasche". Das Buch macht seinem Titel alle Ehre. Denn es ist sowohl vom handlichen Format her, als auch von der überschaubaren Seitenzahl bestens dazu geeignet, mit in den Tag genommen zu werden.

    Dass Westen ein wenig aus der Mode gekommen sind, tut da nichts zu Sache. Ganze hundertvierundzwanzig Seiten braucht der als Bildungs-Entertainer in den letzten Jahren wiederholt die Sachbuch-Regale der Buchhandlungen bestückende Fischer, um Einstein darzustellen. Die spannenden Stationen seines Lebens, die virtuosen Gedanken seines Werkes.

    Dabei sind die wenigen Seiten auch noch großformatig bedruckt, und Fischer hat den Platz, Dokumente wie das Benachrichtigungstelegramm von der Nobelpreis-Kommission abzudrucken oder Cartoons beizufügen. Eins zeigt einen weißhaarigen Mann mit Schnauzer und Pfeife, der vor einer Tafel steht und über Gleichungen brütet: E ist gleich m mal a Quadrat und E ist gleich m mal b Quadrat hat er bereits durchgestrichen. Die Unterschrift: "Vielleicht ist Physik leichter als man denkt".

    Schwerer ist es wahrscheinlich, Albert Einstein auf 500 Seiten zu präsentieren als auf 124. Denn um ihm in der Kürze gerecht zu werden, muss man Einstein schon sehr genau kennen. Ernst Peter Fischer begleiteten die Schriften des Relativitätstheoretikers seine gesamte intellektuelle Laufbahn über:

    "Ich bin als Fünfzehnjähriger in eine Buchhandlung gegangen und wollte mir ein Buch kaufen. Mein Deutschlehrer hatte mir gesagt, dass man sich im Laufe seines Lebens eine Bibliothek aufbauen muss. Und nun hatte ich mein erstes Geld und wollte das sinnvoll ausgeben. Und da fiel mir 1962 das Büchlein von Einstein in die Hand: Mein Weltbild. Und beim Aufschlagen entdeckte ich einen Satz, der mir bis heute sehr geholfen hat. Und zwar: Töten im Krieg ist nichts anderes als Mord. Als Fünfzehnjähriger ist man dann sehr gepackt, sehr angetan und dann habe ich weiter gelesen. Und dann stehen da wunderbare Texte über Physik. Wunderbare, elegante Texte mit Aphorismen dabei. Und wenn Sie sich erstmal in dieses Buch verliebt haben. Und dann die Schwierigkeiten, die er schildert, zu seinen physikalischen Ergebnissen zu kommen; Ernst nehmen, dann beschäftigen Sie sich halt damit. Das sind ja Themen, die einen immer interessieren. Es geht ja auch um das Verständnis unserer Wohnstätte und damit auch um den Ort, an dem wir Gott immer sein lassen."

    Ernst Peter Fischer ist von Hause aus Physiker und Biologe. Derzeit arbeitet er als Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz. Seinen "Einstein für die Westentasche" hat er in zehn Kapitel gegliedert. Das erste, biografische Kapitel ist um das so genannte annus mirabilis herum gruppiert, jenes Wunderjahr 1905 also, das in diesen Tagen die Medienlandschaft beherrscht. Einstein, gerade sechsundzwanzig und Angestellter Dritter Klasse beim Berner Patentamt, legt innerhalb eines Jahres fünf Arbeiten vor, die jede für sich genommen nobelpreiswürdig ist.

    Fischer betont, dass Einstein selbst seine Einsicht in die Natur des Lichtes für die eigentlich umstürzende Entdeckung hielt. Dafür bekam er schließlich auch den Nobelpreis. Mit Einsteins auch in den Ohren seiner Kollegen paradox klingenden Formulierung, dass man dem Licht sowohl Wellen- als auch Teilchencharakter zubilligen müsse, stürzten die Fundamente der klassischen Physik ein. Bei Fischer liest sich das so:

    "Die Natur des Lichtes hing nicht allein von der untersuchten Strahlung ab, sondern auch von der Frage, die ein Physiker im Experiment stellte. Mit anderen Worten, Einstein hatte die erste Frage der Physik entdeckt, für die es keine objektive Antwort gab. Die klassische Epoche seiner Wissenschaft war damit zu Ende. Die Zeit der Moderne konnte beginnen."

    Ernst Peter Fischer widmet auch dem Menschen Einstein ein Kapitel. Oder, wenn man es im Einstein-Jahr so formulieren darf, dem Unmenschen Einstein. Jenem Einstein nämlich, der seine erste Frau zwingt, das gemeinsame uneheliche Kind in der Bukowina zurückzulassen. Der seinen geisteskranken Sohn nicht ein einziges Mal in der Anstalt besucht. Der sich bald in seine Cousine verliebt, schließlich seine Frau verlässt und dann ein Verhältnis mit seiner Stieftochter beginnt.

    In den vier Jahren, in denen Einstein aus Bequemlichkeit und zur Wahrung der Etikette noch mit seiner ersten Frau zusammenlebt, herrscht ein strenges, vom Meisterdenker ausgearbeitetes Regelwerk im Haus, das an Grausamkeit wohl nicht so leicht seines gleichen finden wird. Ernst Peter Fischer zitiert daraus:

    "Du sorgst dafür, erstens dass meine Kleider ordentlich im Stand gehalten werden, zweitens dass ich drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme."

    Oder:

    "Du verpflichtest dich ausdrücklich im Verkehr mit mir folgende Punkte zu beachten: Erstens du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten. Zweitens du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche. Drittens du hast mein Schlaf- beziehungsweise Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche."

    Zeigt sich hierin ein Verhalten, das einem Genie zusteht?

    "Also zustehen tut das keinem. Ich denke, dass er da moralisch auf Kindniveau geschaltet war. Er hat ja manchmal sehr kindlich agiert. Er hat einfach das getan, was er wollte. Er hat auch die Socken angezogen, die er wollte und die Kleider, die er wollte. Und so ist er auch mit den Frauen umgegangen, wie er wollte. Das haben wir ihm halt erlaubt. Er ist wahrscheinlich irgendwann in einer Situation gewesen, in der sich keiner mehr getraut hat, ihm einen Vorschlag zu machen. Wenn man ihm gesagt hätte: Albert, du musst jetzt aber deinen kranken Sohn besuchen. Das hat sich keiner getraut, ihm zu sagen."

    "Einstein für die Westentasche" nimmt sich nicht nur Zeit, die Relativitätstheorie in groben Zügen zu umreißen, sondern beschäftigt sich auch mit der Wirkung und Spätwirkung des Einsteinschen Denken. Es berichtet von den schweren Stunden, die Einstein hatte, als er – selbst bekennender Pazifist – Roosevelt zum Bau der Atombombe aufforderte. Und es räumt mit Legenden auf. Beispielsweise der, dass Einstein ein schlechter Schüler war. Ernst Peter Fischer weiß es besser. Denn die Eidgenossen hatten zu Einsteins Schulzeiten ein anderes Bewertungssystem. Sie gaben Noten als Punkte. Und so entsprachen die Fünfen und Sechsen, von denen Einsteins Zeugnisse voll waren, Einsen und Zweien in Deutschland. Ernst Peter Fischer ist ein kleiner Geniestreich gelungen. So anregend, vielseitig und schlüssig ist wohl selten über Einstein geschrieben worden. Dankenswert auch das Format als Buch für unterwegs. Denn mit einem Mal lesen, wird es beim "Einstein für die Westentasche" nicht getan sein.

    Einstein für die Westentasche. Von Ernst Peter Fischer. Piper Verlag.