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Einvernehmlicher Gesetzesbruch

Eine FIFA-Regel soll eigentlich festlegen, wann Fußballklubs sich gegenseitig informieren müssen, wenn sie versuchen, Spieler der Konkurrenz zu einem Vereinswechsel zu bewegen. Nur: In der Praxis beachtet niemand die FIFA-Vorschrift.

Von Daniel Theweleit | 12.05.2013
    Als Borussia Dortmund Ende April offiziell bekannt gab, dass Nationalspieler Mario Götze im Sommer zum FC Bayern wechseln werde, war diese Nachricht längst keine Neuigkeit mehr. Die ganze Nation diskutierte bereits über den Wechsel. Für Aufsehen sorgte daher ein Satz ganz unten in der Mitteilung: "Vom FC Bayern München hat sich bis zum heutigen Tag in dieser Angelegenheit kein Offizieller bei Borussia Dortmund gemeldet", verkündete der Revierklub. Da schwang Empörung mit. Auch der Vorwurf eines stillosen, ja rücksichtslosen Verhaltens. Wenige Tage später machte Christian Heidel, der Manager von Mainz 05 ähnliche Vorhaltungen. Er hätte vergleichbare Erfahrungen beim Transfer von Jan Kirchoff nach München gemacht. Eine Anzeige beim DFB erstatteten aber weder die Mainzer noch die Dortmunder. Dabei verstößt Vorgehen des FC Bayern eigentlich gegen Artikel 18 im Transferstatut der Fußball-Welt-Verbandes FIFA sagt Andreas Rettig, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga.

    "Klubs müssen generell bevor sie Gespräche mit einem Spieler anderen Klubs oder seinem Vertreter führen wollen, den Klub vorher schriftlich darüber informieren. Das Entscheidende ist, dass wenn ein Spieler ohne Einverständnis seines bisherigen Klubs abschließt, dann oder, wenn er sich nicht an diese sechs Monatsfrist hält, dann kann er natürlich bestraft werden."

    Ebenso wie der Verein, der einen Spieler umgarnt, ohne den alten Arbeitgeber schriftlich in Kenntnis zu setzen. Oder die beteiligten die beteiligten Berater. Und...

    "ein Verstoß gegen die Bestimmungen wird auf Antrag des bisherigen Klubs dem DFB-Kontrollausschuss bei der DFL angezeigt und wird als unsportliches Verhalten gewertet und geahndet"

    , sagt Andreas Rettig. Doch solch ein Antrag wurde in Deutschland noch nie gestellt. So sehr die Klubverantwortlichen auch streiten mögen, so bitter ihre Rivalität ist, in der Ignoranz gegenüber dem FIFA-Statut herrscht eine erstaunliche Einvernehmlichkeit unter den Vereinen. Einige Funktionäre scheinen noch nicht einmal von der Existenz der Vorschriften zu wissen. So sagte Matthias Sammer, der Sportdirektor des FC Bayern, zu seinem Vorgehen im Fall Götze in der Sendung Sky 90:

    "Es geht ja immer darum, in der Liga, man möchte erfolgreich sein, und man muss natürlich auch versuchen, ein paar Transfers abzuwickeln und dann versucht man natürlich auch zu gewissen Zeitpunkten entweder seine Karten in der Hand zu halten. Andere legen sie hin, wie auch immer, wir haben uns für den Weg entschieden."

    Und die Dortmunder empörten sich auch nicht, Regeln verletzt wurden, sondern über die Tatsache, dass der FC Bayern sich nicht einmal meldete, als Götze seinen Entschluss längst gefasst hatte. Die Manager der Bundesliga wollen nur ungern über ihren Umgang mit dem FIFA-Regelwerk sprechen, das offenkundig ständig missachtet wird. Von fast allen Beteiligten. Diesen Eindruck hat auch der Jurist Stefan Seitz, der mit Götze-Berater Volker Struth zusammenarbeitet:

    "Ich würde jetzt mal sagen, unter den Beratern, die wir juristisch vertreten und die wir selbstverständlich auf diese Klausel hinweisen, haben wir in der Praxis keine wirkliche Sorge oder Belastung der Berater durch diese Klausel feststellen können. Im Gegenteil, da geht es ausschließlich darum, wer hat den besten und schnellsten Zugriff auf Talente und wechselwillige Spieler Alles was danach kommt, spielt allenfalls eine sekundäre Rolle."

    Dennoch wurden der Fußballprofi Ashley Cole und José Mourinho, der damals den FC Chelsea trainierte, 2005 zu hohen Geldstrafen verurteilt. Weil sie beim Wechsel des Außenverteidigers zum Champions-League-Sieger von 2012 gegen Artikel 18 verstoßen hatten. Und auch in Deutschland wurde einmal auf der Grundlage dieses Paragraphen ermittelt: 2007, als Miroslav Klose von Werder Bremen nach München transferiert wurde. Die erste Aufregung war groß, am Ende passierte nichts. Und zuletzt geriet die Vorschrift in Vergessenheit. Der Umgang mit Artikel 18 zeigt beispielhaft, dass Regeln in diesem hoch komplizierten Geschäft einvernehmlich missachtet werden. Von allen Beteiligten. Das frühzeitige Aufspüren der besten Talente ist schließlich eine Kernkompetenz aller ambitionierten Vereine, niemand möchte sich hier einschränken lassen. Da nimmt man dann auch in Kauf, wenn der eigene Klub betroffen ist. Sportdirektoren, die sich jetzt über schlechten Stil beklagen, berufen sie sich allenfalls auf einen diffusen Verhaltenskodex. Insofern hat Mattias Sammer irgendwie recht, wenn er zum heftig kritisierten Götze-Transfer sagt:

    "Ich finde, das war mehr als korrekt"