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Einwanderung
Migrationsberatung für Südosteuropäer

Seit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien sind Zehntausende Südosteuropäer nach Deutschland eingewandert. In Mannheim beispielsweise zieht es sie in das Einwandererviertel Jungbusch. "Arrival City" nennen manche diesen Stadtteil, weil er Einwanderer seit Jahrzehnten erfolgreich integriert.

Von Anke Petermann | 08.11.2013
    “Hallo!“
    Die Migrationsberaterin bittet eine hagere Frau im schwarzen Kapuzenshirt in den fad gelb getünchten Büroraum: Nennen wir sie Diyana, Mitte dreißig, aus Bulgarien. Einen Stapel Unterlagen legt sie vor Marija Krstanovic auf den Tisch. Die junge Sozialwissenschaftlerin nimmt Meldebestätigung und Sozialversicherungsausweis aus der Klarsichthülle, lächelt ermutigend. Diyana schiebt einen halb ausgefüllten Antrag auf Arbeitslosengeld II hinterher. Ihr zweiter Versuch, Unterstützung zu bekommen. Der erste Anlauf scheiterte, weil das Formular nicht ordnungsgemäß ausgefüllt war. Diesmal hat ein Bekannter geholfen. Die Bulgarin arbeitet als Küchenhilfe, verdient nicht genug für den Lebensunterhalt und muss „aufstocken“.
    Blättern, korrigieren...
    "Rentenversicherungsnummer!"
    Gemeinsam mit Diyana durchforstet die Migrationsberaterin den Antrag. Marija Krstanovic ist selbst bosnische Serbin und kam vor mehr als zwanzig Jahren mit ihren Eltern aus Mostar nach Mannheim. Mit Diyana spricht Krstanovic Bulgarisch. Das ist ihrer Muttersprache Serbokroatisch so nahe, dass sie es im Selbststudium lernen konnte. Jetzt trägt die 31jährige Beraterin Zahlenkolonnen ein und stöhnt.
    “Diese neuen Regelungen sind so furchtbar mit diesen ewig langen Nummern!“
    Das Handyklingeln würgt Krstanovic ab, konzentriert sich auf den Antrag. Wieder nicht richtig ausgefüllt. Die Beraterin korrigiert, streicht durch, ergänzt. Diyanas Schulbildung lässt sich schnell zusammenfassen. Sechs Jahre, kein Abschluss. Gewährt ihr das Jobcenter zusätzlich zum spärlichen Küchenhilfen-Lohn Arbeitslosengeld II, dann kann die Bulgarin einen Integrationskurs bezahlt bekommen, Deutsch lernen und vielleicht sogar den Hauptschulabschluss nachholen. In den vergangenen Beratungen hat Marija Krstanovic Diyana dazu ermutigt. Und sie außerdem ermuntert, über eine Ausbildung nachzudenken.
    “Sie will auch. Es würde in jedem Fall durchaus hilfreich sein, wenn zumindest ein Hauptschulabschluss da wäre.“
    Griechisch, Rumänisch, Bulgarisch gibt Diyana als Sprachen an. Ob sie zur Roma-Minderheit in Bugarien gehört, die in ihrem Heimatland benachteiligt, teilweise brutal angegriffen wird? Marija Krstanovic stellt diese Frage nicht. Diskriminierung und Armut sind für ihre Klientel die Hauptgründe auszuwandern, das allerdings weiß sie aus vielen Gesprächen.
    „Die Menschen sind in Not, und ich versuche, die Not zu mildern. Ob sie jetzt eine Diskriminierung erfahren – wenn ich das selbst abfrage, dann komme ich mir auch vor, als würde ich sie diskriminieren, allein schon durch meine Frage.“
    Was Diyana die letzten fünf Jahre gemacht hat, in den amtlichen Arbeitslosengeld-Antrag zu pressen – eine Herausforderung. Die Migrationsberaterin bleibt lieber im Vagen:
    “Man muss auch immer aufpassen, o.k., ist das auch eine legale Tätigkeit gewesen, oder ist das etwas, was man mal irgendwo so gemacht hat, um zu überleben. Man will ja den Menschen auch keine Schwierigkeiten machen. „Gewerbe““
    Richtig kompliziert wird’s bei den Angaben zu Diyanas Mann. Der Bulgare darf offiziell nicht als Bauarbeiter angestellt werden, erst vom kommenden Jahr an können Bulgaren und Rumänen uneingeschränkt in Deutschland arbeiten.
    “Er hat ein Gewerbe angemeldet, keine Steuernummer. Der Chef, bei dem er gearbeitet hat, will ihm die Arbeit nicht bezahlen, weil er keine Steuernummer hat, also keine richtige Rechnung ausstellen kann. Deswegen will er jetzt die Steuernummer beantragen, obwohl er eigentlich gar keine Arbeit mehr hat und das Gewerbe geschlossen hat.“
    Arbeit nachträglich legalisieren, um an das Geld dafür zu kommen - Marja Krstanovic runzelt die Stirn, wieder mal was Neues.
    “So, das machen wir morgen, ich habe jetzt nicht so viel Zeit eingeplant. Tief einatmen. So.“
    Marija Krstanovic seufzt - was bliebe Bulgaren und Rumänen nicht alles erspart, wenn sie die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen würden -wie alle anderen EU-Bürger.
    “Wenn die Menschen legal arbeiten könnten, wäre alles viel, viel einfacher. Es gibt Arbeit. Die Leute sind gewillt zu arbeiten. Es wird ihnen aber nicht ermöglicht. Und es erschwert ihnen, die Existenz zu sichern. Dadurch können sie ihre Miete nicht bezahlen, dann bekommt man Probleme mit dem Vermieter, mit dem Stromanbieter, mit allem, mit Wasser. Es gibt jetzt hier ein Haus, die haben dort das Wasser abgestellt, im ganzen Haus, wo 23 Familien wohnen.“
    Kein fließendes Wasser mitten in einem reichen Land. Zwar hilft die Migrationsberaterin derzeit rund 200 Einwanderern aus Südosteuropa, sich in Deutschland zurechtzufinden, doch manches versteht die diplomierte Sozialwissenschaftlerin selbst nicht.
    “Antrag auf Wohnung“
    Morgen wird sie gemeinsam mit Diyana und ihrem Mann eine Wohnung bei der städtischen Gesellschaft beantragen. In der Obdachlosenunterkunft wollen die beiden nicht länger wohnen.
    “Ciao, Tür zu.“