Freitag, 19. April 2024

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EU-Richtlinien zum Whistleblower-Schutz
"Anonymität ist ganz wichtig"

Es sei ein großer Fortschritt, dass die EU-Kommission überhaupt einen europaweiten Whistleblower-Schutz vorschlage, sagte die Europaabgeordnete Julia Reda (Piratenpartei) im Dlf. Dennoch seien die Hürden immer noch zu hoch.

Julia Reda im Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.04.2018
    Die Piraten-Politikerin Julia Reda
    Die Piraten-Politikerin Julia Reda glaubt, dass interne Berichterstattungswege große Risiken für Whistleblower bergen. (dpa / CTK Photo/Ondrej Deml)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Julia Reda. Für die Piratenpartei ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie ist Teil der Fraktion der Grünen und der Europäischen Freien Allianz, dort auch stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Guten Abend, Frau Reda!
    Julia Reda: Guten Abend.
    Dobovisek: Ein neues Meldesystem in drei Stufen soll es geben, das das Aufdecken vereinfachen soll: erst intern in Unternehmen und Behörden, dann bei einer staatlichen Stelle und erst als allerletzter Ausweg dann die Veröffentlichung. So will es die EU-Kommission. Wie klingen diese Vorschläge für Sie?
    Reda: Zunächst mal ist es ein großer Fortschritt, dass die EU-Kommission überhaupt einen europaweiten Whistleblower-Schutz vorschlägt. Bisher gibt es so was nicht und das ist auf jeden Fall zu begrüßen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Hürden für Whistleblower, die für diesen Schutz angelegt werden, doch etwas zu hoch sind – vor allen Dingen, wenn es um Fälle geht, wo sich jemand direkt an die Presse wendet. Wir hatten ganz viele Beispiele in letzter Zeit, wo Whistleblower sich an die Presse gewandt haben und damit ganz wichtige Fälle für das öffentliche Interesse aufgedeckt haben, von Facebook, Cambridge Analytica bis hin zu Luxleaks. Und wenn man da immer sagt, die hätten sich erst an interne Stellen wenden müssen, dann, denke ich, geht das nicht weit genug.
    "Anonymität ist ganz wichtig für Whistleblower"
    Dobovisek: Aber warum sollte den Unternehmen oder Behörden nicht erst einmal die Möglichkeit gegeben werden, Missstände abzustellen, bevor die große Keule der Veröffentlichung geschwungen wird?
    Reda: Grundsätzlich ist es gut, dass die Unternehmen dazu verpflichtet werden, mit dieser Richtlinie, interne Berichterstattungswege anzubieten, und in manchen Fällen kann das auch ausreichend sein. Nur müssen die Personen, die Informationen aufdecken, auch im eigenen Ermessen entscheiden können, ob es sicher ist, sich an interne Strukturen zu wenden. Gerade wenn man es mit Korruption zu tun hat, kann es passieren, dass diese internen Stellen auch Informationen weitergeben und dass am Ende zum Nachteil des Whistleblowers ausgelegt wird, dass zum Beispiel dann eine Promotion verweigert wird oder dass es zu Belästigungen am Arbeitsplatz kommt. Und nicht immer kann ein Whistleblower wirklich darauf vertrauen, dass diese internen Berichterstattungswege auch tatsächlich funktionieren.
    Dobovisek: Wie wichtig ist dabei Anonymität?
    Reda: Die Anonymität ist ganz wichtig für Whistleblower, weil oftmals nicht nur finanzielle Schäden für Whistleblower im Raum stehen, sondern dass in manchen Fällen auch Menschen Angst um ihre persönliche Sicherheit und um ihr Leben haben. Da schweigt sich der Kommissionsvorschlag leider zu aus. Es gibt aber zumindest Vorschriften zum Schutz der Identität des Whistleblowers. Er kann nicht anonym agieren, aber zumindest werden die Details darüber, wer berichtet hat, nicht gleich öffentlich gemacht.
    "Trotz Schwächen - Vorschlag ist ein großer Schritt nach vorne"
    Dobovisek: Hält sich der Whistleblower künftig an die genannten Regeln, an dieses dreistufige Verfahren, dann soll ihm Schutz garantiert werden vor Entlassung zum Beispiel, vor Haftung und auch vor Strafverfolgung. Reicht Ihnen dieser Schutz aus?
    Reda: Das Problem ist, dass natürlich es sehr schwierig ist, in einem Gesetz alle möglichen Formen der Diskriminierung oder des Schadens abzudecken, die einem Whistleblower passieren können. Allerdings finde ich es einen ganz positiven Schritt, dass die Kommission sich hier nicht nur auf rein juristischen Schutz vor dem Gericht, vor Klagen und so weiter beschränkt, sondern explizit diese Maßnahmen am Arbeitsplatz wie Belästigung, entgangene Boni, entgangene Promotion und so weiter mit aufgenommen haben, denn ganz oft sind es genau diese subtileren Formen der Bestrafung von Whistleblowern, die in der Praxis die größte Rolle spielen.
    Dobovisek: Das ist aber auch alles etwas, was man nur schwer von außen nachvollziehen kann, wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter nicht befördert wird. Das ist ja nicht so transparent. Das kann man nicht genau nachprüfen. Wie wollen Sie das lösen?
    Reda: Das ist richtig. Da ist allerdings der Kommissionsvorschlag relativ klug aufgebaut. Er sagt nämlich, dass wenn solche negativen Vorkommnisse einem Whistleblower gefolgt sind, dann ist es der Arbeitgeber, der beweisen muss, dass diese Maßnahmen nichts mit dem Whistleblowing zu tun hatten, sondern objektiv begründet waren. Es ist nicht der Whistleblower, der beweisen muss, dass er in diesem Fall aufgrund seiner Aufdeckungen ungerecht behandelt wurde.
    Dobovisek: Sie sind also doch voll des Lobes für diesen Vorschlag?
    Reda: Ich muss ganz ehrlich sagen: Dieser Vorschlag ist ein ganz großer Schritt vorwärts für die Whistleblower. Wenn man sich anschaut, wie wenig Whistleblower-Schutz es in Deutschland bisher gesetzlich gibt, und auch, was die Bundesregierung bei der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie für Whistleblower tun will, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu dem, was die EU jetzt vorschlägt. Insofern denke ich schon, trotz der Schwächen, fehlender Schutz von Anonymität, fehlender Schutz, wenn man direkt zur Presse geht, ist dieser Vorschlag doch ein ganz großer Schritt nach vorne.
    "Entscheidend ist, ob im öffentlichen Interesse gehandelt wird"
    Dobovisek: Wann ist der Whistleblower für Sie ein Held, der gefeiert, und wann ein Straftäter, der verfolgt werden soll?
    Reda: Entscheidend dafür muss, denke ich, sein, ob im öffentlichen Interesse gehandelt wird. Man sollte nicht einfach nur darauf schauen, ob jemand illegales Verhalten aufgedeckt hat oder nicht, denn das kann im Zweifelsfall ziemlich schwer festzustellen sein. Man erinnere sich an Luxleaks, da hat der Whistleblower Antoine Deltour Steuerhinterziehungsvergehen aufgedeckt, die nach luxemburgischem Recht überhaupt nicht illegal waren. Da musste erst später die EU-Kommission feststellen, dass das gegen EU-Recht verstößt, was da passiert. Insofern, glaube ich, ist es eigentlich auch wieder positiv in dem Vorschlag, dass gesagt wird, auch wenn man gegen die Absicht des Gesetzes verstößt und ein Whistleblower das aufdeckt, kann das im öffentlichen Interesse sein. Das ist wichtig. Wichtig ist auch, dass es nicht darauf ankommt, was die Absicht des Whistleblowers war, sondern darauf, ob die Informationen, die aufgedeckt werden, wirklich im öffentlichen Interesse sind oder nicht.
    Dobovisek: Und wenn ein Whistleblower damit Geld verdient?
    Reda: Ja, genau das ist das Problem. Sonst führt es oftmals dazu, dass vor Gericht dann versucht wird, den Charakter des Whistleblowers durch den Dreck zu ziehen und alle möglichen Dinge auszugraben über ihn, die irgendwie auf niedere Motive hindeuten könnten, und das schreckt natürlich ab. Wer möchte ein Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen, wo die Gegenseite mit gut bezahlten Anwälten versucht, alles Schlimme herauszufinden, was man vielleicht irgendwann mal getan hat. Deshalb sollte die Absicht des Whistleblowers wirklich keine Rolle spielen bei der Frage, ob die Aufdeckung der Information legal war oder nicht.