Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Einzigartige Einblicke"

Der erste deutsche Astronaut in der Internationalen Raumstation ISS, Thomas Reiter, hat sich für eine enge europäische Zusammenarbeit in der Weltraumforschung ausgesprochen. Durch das Labor Columbus, das jetzt an die ISS angekoppelt wurde, habe man Einblicke in physikalische und technische Vorgänge, die einem auf der Erde auf Grund der Schwerkraft verborgen blieben, sagte Reiter.

Moderation: Jochen Spengler | 20.02.2008
    Jochen Spengler: Wenn alles gut geht wie bislang, dann wird die Raumfähre Atlantis heute Nachmittag kurz nach 15 Uhr unserer Zeit wohlbehalten in Florida landen. Teil der Atlantis-Crew ist auch der deutsche Astronaut Hans Schlegel. Die wichtigste Aufgabe der Mission war der Transport und die Ankoppelung des europäischen Weltraumlabors Columbus an die Internationale Raumstation ISS, die mit 28.000 Stundenkilometern ständig um die Erde rast und für eine Runde 90 Minuten braucht.

    Telefonisch sind wir nun mit dem ersten deutschen Astronauten verbunden, der die Internationale Raumstation besucht hat, mit Thomas Reiter, dem jetzigen Vorstand für Raumfahrtforschung und -entwicklung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Guten Morgen, Herr Reiter.

    Thomas Reiter: Guten Morgen!

    Spengler: Es war ja eine Mission mit Hindernissen. Columbus sollte ja schon 2004 ins All gebracht werden, dann kam der tragische Shuttleunfall dazwischen und in den letzten Monaten spielte die Technik auch nicht richtig mit. Ist die Anspannung jetzt bei Ihnen gewichen oder fiebern Sie mit bis zur Landung heute Nachmittag?

    Reiter: Es ist schon so, dass man bis zur Landung mitfiebert, denn ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie interessant so etwas wirklich bis zur letzten Sekunde ist. Momentan laufen die Vorbereitungen für den Wiedereintritt in die Atmosphäre. Das gesamte Shuttle muss umkonfiguriert werden. Und bei solchen Gelegenheiten kommt es einem vor, als sei das bei der eigenen Mission erst gestern gewesen. Also die Anspannung ist schon bis zum letzten Moment mit vorhanden.

    Spengler: Ja, Hans Schlegel, von dem war ja auch eben die Rede, war ja anfänglich leicht erkrankt, konnte deswegen nicht wie geplant Columbus mitmontieren. Was geschieht eigentlich, wenn ein Astronaut da oben ernsthaft erkrankt und dauerhaft? Gab es das schon mal?

    Reiter: Toi, toi, toi, bisher gab es das noch nicht. Weder auf der russischen Raumstation Mir, noch an Bord der Internationalen Raumstation. Es ist so, dass man in der gesamten Ausbildung ja sehr intensiv medizinisch überwacht wird über Jahre, vor einer Mission dann entsprechend in eine Quarantäne kommt, um zu verhindern, dass man irgendwelche Ansteckungskrankheiten, eine Grippe oder halt das, was man sich so kurzzeitig noch holen kann, wenn man unbedacht ist, mit dort hoch nimmt. Und für den Fall aller Fälle gibt es natürlich an Bord entsprechende Medikamente, auch Instrumente, um gegebenenfalls Verletzungen zu behandeln. Einer der Besatzungsmitglieder ist immer als, es nennt sich ‚Crew Medical Officer’ ausgebildet, das heißt, der- oder diejenige hat dann auch für mehrere Monate in einem Krankenhaus mal in der Praxis gearbeitet. Also kennt das natürlich nur theoretisch. Und wenn wirklich etwas ganz Schlimmes passieren sollte, das man nicht an Bord behandeln kann mit der Hilfe der Mediziner hier auf der Erde, die natürlich über Funkverbindung und über Videoverbindung dann assistieren können, dann bestünde immer noch die Möglichkeit, mit Hilfe der Sojus-Kapsel zurück zur Erde zu kehren. Dann müsste die Station konserviert werden und könnte so dann für mehrere Monate unbemannt dort oben betrieben werden.

    Spengler: Herr Reiter, wo Sie gerade die Sojus-Kapsel ansprechen. Da gibt es einen Konflikt um eine geladene Pistole, die da liegen soll in dieser Sojus-Landekapsel. Ein NASA-Ingenieur hat die Russen aufgefordert, diese Waffe zu entfernen. Eine Pistole habe bei den angespannten Astronauten oben nichts zu suchen. Finden Sie das auch?

    Reiter: Nein, also das ist das erste Mal, dass ich das gehört habe. Und ich muss Ihnen auch ehrlich gestehen, diese Pistole, von der er da spricht, die gehört zu der Überlebensausrüstung. Ich habe gerade diesen Fall genannt, dass die Sojus-Kapsel ja nicht nur der normalen Rückkehr dient, nach einem halben Jahr, sondern auch als Rettungsboot. Und da könnte es sein, dass man eben nicht in dem vorgeplanten Landegebiet herunterkommt, sondern irgendwo auf diesem Planeten, und es dann durchaus sein kann, dass...

    Spengler: Dass man unter die Wölfe fällt.

    Reiter: ...man dann mehrere Tage überleben muss. Und ja, na ja, unter die Wölfe ist jetzt ein bisschen extrem, aber da ist selbstverständlich auch Signalmunition dabei. Das heißt, wenn Rettungshubschrauber das Terrain absuchen, dass man dann solche Signale geben kann und eben die Möglichkeit hat, für mehrere Tage nach der Rückkehr zur Erde in der Wildnis zu überleben. Und dafür ist das gedacht. Die Befürchtung, dass man sich dort oben irgendwie so auseinandersetzt, die halte ich für absolut unrealistisch.

    Spengler: Gut, also die Pistole macht Sinn. Kommen wir auf das Labor zu sprechen. 13 Tonnen schwer, sieben Meter lang, zehn Jahre lang benutzbar, und alles in allem anderthalb Milliarden Euro teuer. Lohnt sich das?

    Reiter: Ich denke schon. Diese Art der Forschung, die wir dort oben betreiben können, ist sehr einzigartig. Sie ermöglicht uns Einblicke in physikalische, in technische Vorgänge, die uns hier auf der Erde auf Grund der permanenten Präsenz der Schwerkraft verborgen bleiben. Das gilt für eine Vielzahl von Forschungsbereichen, angefangen von der Medizin, der Biologie, den Materialwissenschaften und vielem mehr. Natürlich ist es immer schwer, wenn man solche Forschung betreibt, Vieles davon ist Grundlagenforschung, zu sagen, das wird dann in einem Jahr, in einem halben Jahr oder in drei Jahren dann auch zu entsprechenden Anwendungen führen, dass wir uns dafür etwas im Laden kaufen können. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass es viele Entwicklungen gibt, deren Nutzen man vielleicht gar nicht so verstehen kann. Und ein paar Jahre danach gibt es dann unter Umständen nicht nur den Nobelpreis dafür, sondern es wird dann von irgendwelchen Firmen in Produkte umgesetzt. Diese Möglichkeit nicht zu nutzen, wäre ein großer Fehler, ich denke gerade für ein Land wie Deutschland, das doch auf Hochtechnologie auch aufbaut, dessen Industrie von der Hochtechnologie abhängt. Und deshalb bin ich eigentlich sehr froh, dass wir diese Möglichkeiten nutzen. Und Sie haben gerade diesen Zeitraum von zehn Jahren genannt: Es ist richtig, das Modul wurde für zehn Jahre ausgelegt. Wir hoffen natürlich, dass die Station auch darüber hinaus noch betrieben wird von der NASA und von der russischen Seite, denn es ist nicht so, dass nach zehn Jahren plötzlich da alles kaputt geht und nicht mehr benutzt werden kann. Die Mir-Station hat das eindrucksvoll bewiesen. Sie war für sechs Jahre ausgelegt und wurde 15 Jahre insgesamt betrieben.

    Spengler: Das beruhigt uns. Es ist ja nicht das einzige Labor an der ISS. Dort gibt es ja auch ein russisches und ein amerikanisches Labor. Wie muss man sich denn die Aufgabenteilung vorstellen. Dürfen mit dem europäischen Labor nur Europäer arbeiten, ist da ein Vorhängeschloss davor? Oder dürfen da auch mal Russen reingucken oder mal mal gucken?

    Reiter: Selbstverständlich. Es handelt sich hierbei natürlich um eine internationale Zusammenarbeit, nicht nur in der Form, dass jeder irgendwelche Hardware zur Verfügung stellt, sondern auch eine Zusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlichen Forschung. Und so ist es in der Tat möglich, dass sowohl amerikanische Kolleginnen und Kollegen und Russen auch das Columbus-Modul nutzen, genauso wie wir, meine Kollegen und ich, in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten kann man sagen, die russische Raumstation Mir und auch die Internationale Raumstation, also das russische Segment, das amerikanische Segment, für europäische Forschung genutzt haben.

    Spengler: Wenn Sie zurückdenken, es gab viele Zusatzkosten, viele Reibungsverluste bei Columbus wegen der Arbeitsteilung zwischen Deutschland, Frankreich, Italien. Lohnt sich das wirklich, europäische Weltraumforschung?

    Reiter: Ja, ich hatte es eben schon angedeutet. Es ist ein sehr weites Spektrum, das wir dort oben abdecken können. Ich kann Ihnen hier gerne vielleicht mal ein, zwei Beispiele geben. Im Bereich der Medizin ist es so, beispielsweise die Osteoporose ist eine weit verbreitete Erkrankung, die heute bei den Kosten, die Krankenversicherungen aufbringen müssen, einen ganz wesentlichen Teil dieser Kosten verursacht. Viel dieser knochenphysiologischen Forschung, die in der Schwerelosigkeit betrieben wird, ist, genau die Ursachen für diese Krankheit zu verstehen, um dann tatsächlich das an den Ursachen zu behandeln und nicht nur die Symptome. Hier ist deshalb die Schwerelosigkeit so interessant, weil wenn man mit dem Körper in die Schwerelosigkeit kommt, tritt ein Effekt in den Knochen ein, der mit der Osteoporose vergleichbar ist. Und deshalb eignet sich diese Umgebung ganz hervorragend, um solche Effekte so zu studieren.

    Spengler: Herr Reiter, die Zeit läuft uns davon und deswegen müssen wir es bei diesem einen Beispiel bewenden lassen. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch. Das war Thomas Reiter, Vorstand für Raumfahrtforschung und -entwicklung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.