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Eisbären sind keine Anpassungskünstler

Frankfurter Genetiker haben zeigen können, dass sich der Eisbär bereits vor rund 600.000 Jahren vom Braunbären abgespalten hat. Das ist rund fünfmal früher als bislang angenommen. Eine Konsequenz der Neudatierung: Der Eisbär hat sich nur langsam an das Leben in der Arktis angepasst und könnte mit dem schnell fortschreitenden Klimawandel überfordert sein.

Von Carina Frey | 23.05.2012
    Axel Janke trägt einen Eisbären-Schädel unter dem Arm. Der Biologe hat ihn Rudi getauft. Rudi ist zwar nur eine Nachbildung aus Plastik, sein Gebiss mit den gewaltigen Fangzähnen macht aber trotzdem Eindruck. Die Fangzähne braucht er, um seine Hauptnahrung zu fressen: Robben. Eisbären haben sich auf ihre Jagd spezialisiert - und das bereits vor deutlich längerer Zeit als bislang vermutet. Bekannt ist, dass Eisbären und Braunbären gemeinsame Wurzeln haben. Wann sich beide Arten trennten, dazu gab es allerdings unterschiedliche Vermutungen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2010 lebte der letzte gemeinsame Urahn vor rund 110.000 bis 160.000 Jahren auf den ABC Islands vor Kanada. Andere Forscher sahen die irischen Braunbären als nächste Verwandte. Die Eisbären hätten sich erst während der letzten Eiszeit vor rund 40.000 Jahren von ihnen getrennt.

    "Das würde bedeuten, dass der Eisbär sich sehr schnell an das arktische Klima angepasst hat mit seinem weißen Fell, seiner Spezialisierung darauf, Robben zu jagen und zu fressen, im Gegensatz zu dem Braunbären, der ja ein Allesfresser ist. Und diese schnelle Adaptation war immer ein Paradebeispiel dafür, wie schnell Tiere sich anpassen können eigentlich",

    sagt Axel Janke, der am Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main arbeitet. Die These vom Anpassungskünstler haben er und seine Kollegen jetzt widerlegt. Die Forscher zeigten anhand von Genanalysen, dass sich der Eisbär bereits vor rund 600.000 Jahren vom Braunbären abgespalten hat - fünfmal früher als bisher angenommen. Die Wissenschaftler untersuchten DNA-Proben von jeweils 20 Eis- und Braunbären. Forscher hatten sie seit den 1960er-Jahren weltweit auf Expeditionen eingesammelt. Dabei analysierten sie nicht - wie bislang üblich - die DNA aus Mitochondrien. Das sind die Kraftwerke der Zelle, die besonders häufig in Muskel- und Nervenzellen vorkommen. Stattdessen schauten sie sich 14 verschiedene Gene der Zellkern-DNA an.

    "Die mitochondriale DNA ist ein sehr beliebtes Molekül für Verwandtschaftsforschungsstudien. Das hat teilweise historische Gründe, weil sie sehr leicht zugänglich ist und die Techniken in den 80er- und 90er-Jahren halt nicht so fortgeschritten waren wie heute. Sie hat nur den Nachteil, sie wird wie ein einzelnes Gen vererbt und dann auch nur von der mütterlichen Seite. Also man sieht nur die Geschichte der Tiere, wie sie von der mütterlichen Seite her vererbt wird. Während die Kern-DNA, die nukleäre DNA von beiden Elternteilen natürlich vererbt wird. Die Kern-DNA hat zudem den Vorteil, dass wir dort ungefähr 25.000 Gene haben, also uns 25.000 einzelne Stücke anschauen können, um die Geschichte zu rekonstruieren."

    Die aufwendigere Analyse der Kern-DNA führte zu dem völlig neuen Ergebnis. Sie zeigte außerdem, dass Braunbären eine deutlich höhere genetische Variabilität aufweisen als Eisbären. Anscheinend wurde es für die Eisbären in der Vergangenheit schon öfter eng: Die Populationen reduzierten sich aufgrund von Umweltveränderungen so stark, dass nur einzelne Tiere überlebten und ihre Gene weitergeben konnten. Ein Ergebnis, dass Ian Stirling von der kanadischen Umweltbehörde wichtig findet. Er ist Mitglied der Polar Bear Specialist Group, einer internationalen Gruppe, die Eisbären erforscht.

    "Es sieht so aus, als ob sie es immer nur knapp geschafft haben, denn sie weisen nur eine sehr geringe genetische Variabilität auf. Das bedeutet, dass sie es zwar schafften, aber einen hohen Preis dafür zahlen mussten. Der Verlust der genetischen Vielfalt macht sie anfälliger für Krankheiten oder andere Bedrohungen."

    Eine solche Bedrohung ist nach Ansicht Stirlings vor allem der Klimawandel. Zwar überlebten Eisbären im Laufe der Geschichte mehrere Wärmeperioden. Das bedeute aber nicht, dass sie auch mit der aktuellen Klimaerwärmung fertig werden.

    "Die Veränderungen sind sehr, sehr schnell, viel schneller als wir es jemals zuvor erlebt haben. Dadurch hat der Eisbär schlicht keine Zeit, ein anderes Verhalten oder andere Nahrungsvorlieben zu entwickeln. Er kann nicht zurück und wieder ein Landbär werden. Der Wandel vollzieht sich so schnell, dass die Eisbären keine Chance haben, damit fertig zu werden."

    Schmilzt das Eis in der Arktis, können die Eisbären dort nicht länger auf Robbenjagd gehen. Dann hilft ihnen auch ihr Gebiss mit den gewaltigen Fangzähnen nicht mehr zu überleben.