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Eishockey
Leon der Löwe

Deutschlands Nationalspieler Leon Draisaitl gilt als Ausnahmetalent. Der erst 20 Jahre alte Kölner spielt seine zweite Saison in der nordamerikanische Profiliga NHL - und ist bei den Edmonton Oilers bereits Leistungsträger.

Von Heiko Oldörp | 03.01.2016
    Der deutsche Eishockey-Shootingstar Leon Draisaitl im Trikot der Edmonton Oilers
    Der deutsche Eishockey-Shootingstar Leon Draisaitl spielt in der NHL. (picture alliance/dpa/Heiko Oldörp)
    Gene Principe kennt sich aus in der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL. Seit 1998 begleitet er für den Kanadischen Fernseh-Sender "Sportsnet" die Edmonton Oilers. Der 48-Jährige hat in dieser Zeit viele junge Spieler kommen, sich entwickeln, aber auch scheitern sehen. Als Leon Draisaitl im Juni 2014 mit damals 18 Jahren bei der Talenteauswahl Draft von Edmonton verpflichtet wurde, war sich Principe sicher, dass der Deutsche ein guter Spieler in der NHL und für die Oilers sein werde. Mittlerweile räumt er gerne ein, dass diese Erwartung untertrieben war.
    "Diese Saison ist eine unglaubliche Offenbarung. Er spielt einfach wunderbar. Nach zehn Spielen hatte er 17 Punkte. So viele hatte seit Mark Messier in der Saison 1989/90 kein Oilers-Spieler mehr. Mark Messier und Leon Draisaitl in einem Satz, das sagt alles darüber aus, wie Leon bislang gespielt hat."
    Messier gewann einst mit Edmonton fünfmal und mit den New York Rangers einmal den Stanley Cup. Er ist der einzige Profi der NHL-Geschichte, der zwei Teams als Kapitän zur Meisterschaft führte. Und Draisaitl? Der gibt sich in Interviews mittlerweile genauso selbstbewusst wie auf dem Eis.
    "Ich wusste immer, dass ich auf dem Niveau spielen kann. Es war nur eine Frage der Zeit, meiner Meinung nach, wann das ist – ob das nächstes Jahr ist, ob das dieses Jahr ist."
    Trotz seiner erst 20 Jahre dreht Draisaitl in der NHL so richtig auf, hat in weniger Spielen mehr Punkte gesammelt als beispielsweise Superstar Sidney Crosby, der seit Jahren als bester Profi der NHL gilt.
    "Draisaitl scores. Leon Draisaitl ties the game. Score, Leon Draisaitl has scored again. Leon Draisaitl is spectacular."
    Doch zwischen spektakulär und Degradierung ist es in Nordamerika nur ein schmaler Grat. Auch wenn Trainer Todd McLellan Draisaitls Leistungen derzeit als exzellent bezeichnet, hatte er für ihn zu Saisonbeginn keinen Platz im Kader. Im Trainingslager hatte sich der damals 19-Jährige nicht gegen die mitunter erfahreneren Kontrahenten im Sturm durchsetzen können und wurde ins Farmteam geschickt, das in der zweiten Liga spielt. Ein klares Zeichen, dass Talent alleine nicht genug ist, um sich in der besten Eishockey-Liga der Welt zu behaupten. Vor allem in jungen Jahren ist der Weg nach oben keine Einbahnstraße, sondern führt für viele Nachwuchsakteure über das Farmteam – so auch für Deutschlands seit Jahren größtes Eishockeytalent.
    "Dann war ich natürlich frustriert, die ersten paar Wochen. Aber dann bin ich wieder zurück zur Arbeit gegangen und hab' umso härter gearbeitet, um wieder hochzukommen."
    Mittlerweile ist der 1,88 Meter große Center zum unverzichtbaren Leistungsträger in Edmonton geworden und hat sich als Spielmacher der ersten Sturmreihe etabliert. Die Medien in Nordamerika huldigen dem Kölner bereits als "Leon den Löwen." In Deutschland war sogar schon vom "German Gretzky" die Rede – in Anlehnung an Wayne Gretzky, der als bester Spieler der Eishockey-Geschichte gilt. Das mag sich schön anhören, ist aber des Guten zu viel, findet Bundestrainer Marco Sturm im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    "Der nächste Wayne Gretzky – er hat mir eigentlich leidgetan. Einen so jungen Burschen in so eine Situation zu bringen, finde ich, ist nicht gerecht. Es soll nicht alles auf Leons Schultern liegen. Da sind andere Personen und andere einfach, Vereine eben, wir sind in der Pflicht, dass wir mehr tun. Wir wollen natürlich, dass der Leon irgendwann der Dirk Nowitzki des deutschen Eishockeys wird, aber er ist noch viel zu jung für sowas."
    Sturm hat seinen Bundestrainer-Posten im Sommer übernommen. Deutschlands NHL-Rekordspieler soll das Eishockey in seiner Heimat nach Jahren der Enttäuschung wieder nach oben bringen. Er galt einst selbst als Idol vieler Nachwuchsspieler. Jetzt heißen die Vorbilder Dennis Seidenberg oder auch Christian Ehrhoff, die seit vielen Jahren erfolgreich in der NHL spielen – allerdings bereits den Herbst ihrer Karrieren erreicht haben. Hinter ihnen klafft eine große Lücke. Draisaitl schickt sich nun an, die neue, die vielleicht größte Identifikationsfigur zu werden, die der Kufensport in Deutschland je hatte. Allerdings, betont Sturm, müsse man ihm Zeit geben.
    "Den sollt man jetzt einfach in Ruhe lassen. Edmonton, weiß ich, sie haben sehr, sehr gute Trainer, einen sehr guten Manager. Und von daher ist er am richtigen Ort. Und wenn er so weitermacht, haben wir alle, nicht nur Edmonton oder die NHL, sondern auch die deutsche Nationalmannschaft sehr viel Freude."
    Ob Sturm Draisaitl bereits bei der Weltmeisterschaft im Mai in Russland zur Verfügung hat, ist derzeit offen. Denn die WM wird parallel zu den NHL-Playoffs ausgetragen. Anfang September gibt es dann aber das Olympia-Qualifikationsturnier in Lettland. Nachdem Deutschland 2014 in Sotschi nur Zuschauer war, will Sturm in zwei Jahren bei Olympia in Südkorea unbedingt wieder dabei sein. Deshalb setzt er in der Qualifikation auf seine NHL-Profis – und somit auch auf Leon Draisaitl.