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Eishockey oder Menschenrechte?

2014 soll die Eishockey-WM in Weißrussland ausgetragen werden. In dem Land, das als letzte Diktatur Europas gilt, in dem Menschenrechte nichts gelten, dafür Eishockey alles. Die Diskussionen um die Vergabe sind wieder abgeebbt. Dabei bleibt die Frage berechtigt: Kann man große Sportgroßereignisse in ein totalitäres Land wie Weißrussland vergeben?

Von Florian Bauer | 30.12.2012
    Wie ein glühender Pilz leuchtet die MinskArena bei Nacht, die hochmoderne Allzweckhalle strahlt über all die Sowjetbauten der weißrussischen Hauptstadt.

    Drinnen spielt an diesem Abend das Aushängeschild der Stadt, Dynamo Minsk, vor 15.000 Zuschauern. Eishockey wohlgemerkt. Der Volkssport in Weißrussland, verordnet vom autoritären Präsidenten. 2014 soll genau hier die Eishockey-WM eröffnet werden.

    Und von der erwartet Evgeni Vorsin viel. Der Eishockeyverbands-Präsident war lange Sportminister des Landes. Politik und Sport sind in Weißrussland immer eins. Und so hört sich dann Propaganda an.

    "Unser Land steht der ganzen Welt offen", sagt Vorsin. "Jeder, der zur WM kommt, wird einen eigenen Eindruck unseres Landes bekommen, eines friedlichen, demokratischen und freien Landes."

    Wie frei genau, sieht man auch nach dem Spiel: Die Frage an einen Spieler von Dynamo Minsk, welche politischen Auswirkungen die WM für Weißrussland denn haben könnte, unterbindet der Pressesprecher von Dynamo Minsk direkt.

    "We are not talking about politics here."

    Als "Europas letzte Diktatur" wird Weißrussland oft bezeichnet. Demonstranten werden geschlagen, festgenommen, gefoltert. Seit 1994 haben Wahlbeobachter keine einzige Wahl als frei oder fair bezeichnet. Seit ’94 herrscht der einmal die Woche Eishockey spielende Präsident Alexander Lukaschenko. Seitdem gab es an die 400 Hinrichtungen.

    Und deshalb sollte Weißrussland und die Eishockey-WM 2014 auch in der Diskussion bleiben. Viola von Cramon, die sportpolitische Expertin der Grünen im Bundestag und deren Sprecherin für die EU-Außenbeziehungen, kritisiert die WM-Vergabe an Weißrussland scharf.

    "Wir wissen natürlich, wie repressiv Lukaschenko auch in seinem Land regiert, wie er die Opposition unterdrückt. Das heißt, dieses Großereignis wird ausschließlich dazu genutzt, die Macht von Lukaschenko zu zementieren, zu stärken."

    So sieht das auch ein Regierungsmitglied, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla wurde schon im März vor dem Bundestag ebenfalls ungewohnt deutlich:


    "Ich wünsche mir, dass diese Eishockey-Weltmeisterschaft in ein anderes Land verlegt wird."

    Zu dieser Aussage, lässt das Kanzleramt ausrichten, stehe Pofalla auch heute noch.

    Eine Verlegung der WM ist allerdings ausgeschlossen, sagt der internationale Eishockeyverband. Der residiert in einer Villa im Zentrum von Zürich. Der Präsident will eigentlich gar keine Interviews mehr geben, ist die Diskussion leid. Rene Fasel spricht davon, dass Weißrussland ein Eishockey-Land sei und das Recht habe, eine WM zu organisieren.

    "Und es ist nicht die Aufgabe des Sports, irgendwie einen politischen Druck auszuüben auf irgendetwas, das normalerweise die Politiker lösen sollen."

    Nur in Weißrussland ist alles politisch, erst Recht Eishockey. Für die Eishockey-WM im Mai 2014 wird am Stadtrand gerade eine weitere Halle gebaut, für knapp 10.000 Zuschauer. Obwohl es schon acht Eishockey-Hallen gibt, alleine in Minsk. 31 in ganz Weißrussland. Dazu sollen 22 neue Hotels gebaut werden, in der Planwirtschaft Weißrusslands viele vom Staat bezahlt.

    Menschenrechte gelten hier wenig. Die letzte legale Menschenrechtsorganisation in Weißrussland – von der EU unterstützt – ist das Helsinki Komitee. Garry Pogonyaylo, der Vorsitzende, war immer wieder selbst im Gefängnis, und sagt, der Staat, also Lukaschenko, könne das Komitee jederzeit verbieten.

    "Dieses Regime ist verantwortlich für extreme Menschenrechtsverletzungen, sperrt Politiker ein, verbietet Massendemonstrationen. Freiheit gibt es in Weißrussland so gut wie nicht. Sportereignisse wie die Eishockey-WM sollten hier deshalb nicht stattfinden. Die WM sollte in ein demokratisches Land verlegt werden."

    Weißrussland steht also weiterhin am mehr oder weniger öffentlichen Pranger. Neben der Minsk-Arena steht das neue Velodrom, hier wird schon Ende Februar die Bahnrad-Weltmeisterschaft stattfinden. Der Weltradsportverband hatte das mitten in der öffentlichen Aufregung um weißrussische Hinrichtungen bekannt gegeben. Und schon 2009 veranstaltete die UEFA in Weißrussland ihre U19-Frauen-Europameisterschaft. Diskussionen gab es jeweils keine.
    Aber das sollte sich ändern. Die Grünen und ihre sportpolitische Sprecherin, Viola von Cramon, haben im Bundestag einen Antrag eingebracht. Dieser schlägt vor, dass die Sportverbände bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen durch eine Europaratskonvention auch die Menschenrechte beachten sollen.

    "Es ist wichtig, dass wir uns jetzt mal das grundsätzliche Gefüge in der internationalen Sportpolitik anschauen. Und da geht es uns nicht darum, immer nur ad hoc zu reagieren, und dann womöglich einen Sportboykott zu fordern, das ist genau das, was wir nicht wollen, sondern wir wollen das Gegenteil, wir wollen im Vorfeld mit transparenten Kriterien arbeiten, wir wollen den Ländern, die sich bewerben, klarmachen unter welchen Bedingungen wir bereit sind, Sportveranstaltungen zu vergeben."

    Um die Ecke vom Bundestag sitzt Amnesty International. Der Generalsekretär Wolfgang Grenz unterstützt die Idee, Sportverbänden bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen klare Vorgaben zu machen.
    "Wir haben das ja auch anhand der Olympischen Spiele in Peking noch mal analysiert und da kommen wir zu dem Ergebnis: Allein die Tatsache, dass ein Großereignis in ein solches Land mit einer schwierigen Menschenrechtssituation vergeben wird – allein das bewirkt nichts. Also man muss im Vorfeld konkrete Zusagen einfordern."
    In Sachen Weißrussland ist das nie passiert.

    An der Stadtgrenze von Minsk findet an diesem Nachmittag eine Gedenkveranstaltung statt – zu Ehren der getöteten Intellektuellen durch den Geheimdienst Weißrusslands. Der heißt hier – anders als in Russland – tatsächlich immer noch KGB.

    Dabei ist einer der bekanntesten Oppositionspolitiker, der Schriftsteller Vladimir Neklyayev. Auch er spricht sich wie das Helsinki Komitee für einen Boykott der Spiele aus. Denn er weiß, wozu das Regime fähig ist. 2010 kandidierte Neklyayev gegen Präsident Lukaschenko, der Geheimdienst behielt ihn ein halbes Jahr ein, Neklyayev bezahlte fast mit seinem Leben.

    "Die WM wird hier stattfinden, und deshalb möchte ich die großen Eishockey-Nationen, also Deutschland, Schweden, Finnland, die USA und Kanada, auffordern, ihre Teams nicht herzuschicken. Lassen Sie Lukaschenko mit denen spielen, die sein Regime unterstützen, also die Kasachen und Russen. Und spielen die Moldavier eigentlich Eishockey?"

    Er hat seinen Humor noch nicht verloren in diesem Land und unter diesen Bedingungen. Das gesamte Interview über steht ein Mann daneben, er ist vom KGB.

    In einem solchen Staat, in dem zum Beispiel auch Klatschen auf der Straße verboten ist, weil das ja zu Aufruhr führen könnte, haben Sportgroßereignisse nichts zu suchen.