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Türkische Geopolitik
Wie Erdogan Libyen dominieren will

Verschiedene Staaten versuchen im Bürgerkriegsland Libyen Einfluss zu gewinnen - so auch die Türkei. Sie hat die international anerkannte Regierung militärisch unterstützt. In dieser Woche haben türkische und libysche Regierungsvertreter über Kooperationen in den Bereichen Öl und Infrastruktur gesprochen.

Von Marion Sendker | 19.06.2020
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Khalid Al-Mishri, Vorsitzender des Hohen Staatsrats von Libyen in Tripolis am 17.06.2020
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Khalid Al-Mishri, Vorsitzender des Hohen Staatsrats von Libyen in Tripolis am 17.06.2020 (AFP/Türkisches Außenministerium)
Spontaner Ausflug nach Libyen: Zwei türkische Minister und der Geheimdienstchef steigen aus dem Auto. Sie werden herzlich empfangen, kein Wunder – der libysche Premierminister Fayez al-Sarraj hat es der Türkei zu verdanken, dass die Truppen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar zurückgedrängt werden konnten. Die militärische Unterstützung ist aber kein alleiniges Zeichen islamsicher Nächstenliebe unter Muslimbrüdern. Worum es geht, fasste der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach dem Besuch zusammen:
"Die Geschäfte türkischen Firmen wurden wegen des Krieges unterbrochen. Es gibt aber Projekte und Investitionen, die abgeschlossen werden müssen."
Konkret ging es natürlich nicht nur um wirtschaftliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit. Die Türkei möchte in Libyen nämlich einen Luft- und einen Marine-Militärstützpunkt errichten. Russland will dasselbe und dürfte sich über die Reise der türkischen Delegation nach Libyen nicht gefreut haben. Zumal ein paar Tage vorher ein Besuch zweier russischer Minister in der Türkei spontan abgesagt wurde. Einer der Gründe: Die Türkei habe sich geweigert, ihren Angriff auf die wichtige Hafenstadt Sirte im Osten des Landes zu unterbrechen. Sirte liegt in gerader Linie etwa 300 km entfernt von al-Dschufra im Landesinneren. Das ist der Ort, an dem Russland gerne einen Militärstützpunkt hätte, erklärt Ercan Çitlioğlu, Sicherheitsexperte vom Zentrum für Strategische Forschung an der Baskent Universität in Istanbul. Für ihn ist klar: Fällt Sirte, fällt auch al-Dschufra.
"Russland will den Angriff der nationalen Einheitsregierung auf Sirte stoppen, weil es eine dauerhafte Basis in dieser Region bekommen möchte. Deswegen will Russland auch eine Waffenruhe. Die Türkei will ihre gewonnenen Vorteile aber nicht verlieren und eine vorübergehende Waffenruhe würde nur den Streitkräften Haftars helfen, sich zu erholen. Deswegen lehnt die Türkei eine Waffenruhe ab."
"Indirekter Krieg" zwischen Russland und der Türkei
Für Russland und die Türkei stehe in Libyen die nationale Sicherheit auf dem Spiel, betont der Experte. Damit befinden sich die beiden Mächte in Libyen – und zeitgleich im syrischen Idlib – im Krieg miteinander, aber nicht direkt und offiziell: Die Auseinandersetzung werde vor allem über die private russische Wagnergruppe und syrische Söldner ausgetragen. Und sie sei auch nicht auf Libyen begrenzt, meint Çitlioğlu:
"Wenn zwischen Russland und der Türkei kein Abkommen über Sirte und Alcufra in Libyen zustande kommt, hat das negative Auswirkungen auf Syrien und auf Idlib. Denn Russland hat in Syrien Marine- und Luftwaffenbasen. Wenn es die auch in Libyen bekommt, kann es das gesamte Mittelmeer kontrollieren."
Der Krieg in Libyen ist nämlich auch Ausdruck des Kampfes um die Hoheit im Mittelmeer. Vor der griechischen Insel Kreta und vor Israel gibt es mehrere Erdgasfelder. Israel will das Gas über eine Pipeline in etwa 3.000 Meter Tiefe nach Europa bringen. Über den Bau gibt es einen Vertrag zwischen Griechenland, Zypern und Israel. Vorher haben sich die drei Länder plus Ägypten, Jordanien und Palästina zu einem Gas Forum zusammengetan. Nicht mit dabei ist in jedem Fall die Türkei. Um nicht völlig aus dem Mittelmeer, zu dem die Türkei eine lange Küste hat, ausgegrenzt zu werden, schloss das Land mit Libyen ein Seerechtsabkommen.
"Das gibt der Türkei auch ein Mitspracherecht in den Regionen. Wenn wir dieses Abkommen nicht unterzeichnet hätten, hätte die Türkei keinen Einfluss auf die Route der Pipeline."
Die Türkei will zum Gashandelsplatz in der Region werden, sie will mitreden und Kontrolle ausüben. Zwar wird das türkisch-libysche Abkommen als völkerrechtswidrig eingeschätzt, ernste Konsequenzen hatte das aber bisher nicht.
Der Wettbewerb um Energiereserven
Abseits von juristischen Streitigkeiten ist die Situation gerade nicht besonders vorteilhaft: Die Felder vor Zypern, von denen oft behauptet wird, dass die Türkei um ihretwillen sich in Libyen einmischt, sind viel zu klein und unwirtschaftlich, um den Erdagasstreit zu rechtfertigen. Anders die Vorkommen vor Israel. Allerdings kostet der Bau der Pipeline ein Milliardenvermögen. Außerdem würde das Gas über diesen Weg aus komplizierten technischen Gründen am Ende an Wert verlieren. Mit anderen Worten: Die Türkei auszuschließen ist für vielleicht alle Beteiligten, auch für Europa, sehr teuer und wenig effizient.
Das dürfte auch Deutschlands Zurückhaltung im Mittelmeerstreit erklären, genauso wie in Libyen. Ein Sieg Russlands dort würde ebenfalls Nachteile für Europa, etwa in Form von mehr Abhängigkeit von einem für die EU ohnehin schwierigen Partner bedeuten – militärisch, wie geo- und energiepolitisch. Die verlässlichere Variante dürfte die Türkei sein. Und die hat in Libyen noch ein weiteres Interesse, sagt der Sicherheitsexperte Çitlioğlu:
"Libyens größter Reichtum ist Öl. Die Türkei hat kein Öl. Daher denke ich, dass die militärischen und politischen Kooperationen eine Infrastruktur schaffen werden, auch um wirtschaftlich zusammenzuarbeiten."
Davon könnte zum Beispiel auch Deutschland profitieren. Çitlioğlu schmunzelt und fügt hinzu: Auch Deutschland habe keine eigenen Ölvorkommen.