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Eisklettern
"Das Eis ist unvorhersehbar"

Eisklettern ist besonders in Russland populär. In Kirow, knapp tausend Kilometer nordöstlich von Moskau, trainieren besonders viele Eiskletterer. Die Faszination für sie: "Das Eis ist unvorhersehbar, es kann jeden Moment brechen. Egal, wie gut du vorbereitet bist."

Von Gesine Dornblüth | 21.02.2016
    Die Eiskletterwand in Kirow
    Die Eiskletterwand in Kirow (Deutschlandradio / Dornblüth)
    Katja Koschejewa rammt die Zacken an den Spitzen ihrer Steigeisen in die Eiswand und startet durch. In den Händen hält sie Metallhaken, die schlägt sie mit aller Wucht ins Eis, gewinnt so Halt, drückt sich gleichzeitig mit den Füßen hab. Rechter Arm und linkes Bein, linker Arm und rechtes Bein. Eisbrocken fliegen. Einmal rutscht sie leicht ab. Ein Seil hält sie. Nach 18 Sekunden hat sie das Ziel erreicht: 15 Meter Höhe. Zügig seilt sie sich ab und atmet durch.
    "Ich war ein bisschen krank, kriege schwer Luft. Das Eis ist gut, ganz frisch", sagt Koschejewa. Sie ist Junioren-Weltmeisterin im Eisklettern. Ihr persönlicher Rekord liegt bei 11,65 Sekunden. Die schnellsten Männer brauchen 7 Sekunden für die 15 Meterwand. "Ich habe die Eiskletteranlage als kleines Kind das erste Mal gesehen. Für mich war in dem Moment klar, ich will da hoch. Seitdem klettere ich. Man braucht Beharrlichkeit und muss bereit sein, sehr viel zu trainieren. Wie in jedem Sport."
    Kirow als Geburtsort des Eiskletterns in Russland
    Das zentralrussische Kirow, eine Provinzstadt mit rund 500.000 Einwohnern, ist der Geburtsort des Eiskletterns in Russland. Die Anlage steht am Gerüst einer Sprungschanze. Ringsum Loipen der Skilangläufer, der Blick fällt auf einen zugefrorenen Fluss. Die Eiskletterer nennen ihre Wand "Eiszapfen", in Wirklichkeit ist es ein Block, mit Wasser übergossen.
    Die Saison geht von November bis März, meist ist dann in Kirow Frost, für den Fall, dass es doch mal taut, gibt es ein Kühlsystem. Es ist Sonntag, und neben Katja Koschejewa trainiert Jegor. Er ist im Grundschulalter, steckt in zwei Meter Höhe fest und kommt gerade nicht so richtig weiter. Seine Trainerin macht ihm Beine: "Los, tritt zu. Kräftig. Häng nicht im Seil, steh auf deinen Beinen! Los, weiter, ich zieh dich nicht hoch. Die Hände höher. Mach schon, zieh den Hintern ein, spann den Bauch an und schlag kräftiger zu. Gut. Jetzt die zweite Hand!"
    Immer angeleint, einer sichert: Eisklettern in Kirow
    Immer angeleint, einer sichert: Eisklettern in Kirow (Deutschlandradio / Dornblüth)
    Zwei Disziplinen
    Eisklettern wird in zwei Disziplinen ausgetragen. Die Sportler sind stets mit einem Seil gesichert. Neben dem Speedklettern an der senkrechten Wand gibt es Schwierigkeitswettbewerbe. Dafür wird ein Hindernisparcours gebaut. In Kirow ist er unter der Sprungschanze angebracht, es geht erst senkrecht hoch, dann über Kopf. Zylinder und Würfel baumeln in luftiger Höhe. Wer innerhalb der vorgegebenen Zeit am weitesten kommt, gewinnt. Mit Eis hat das eigentlich wenig zu tun, allerdings werden Eiselemente in den Parcours eingebaut, und die Sportler benutzen ähnliche Geräte wie an der Eiswand.
    Maria Tolokonnina hält den Weltrekord in beiden Disziplinen und hat gerade die Europameisterschaft in Italien gewonnen. "Mir gefallen beide Disziplinen. Aber für das Schwierigkeitsklettern muss man härter trainieren. Es erfordert mehr Koordination. Für mich sind die Würfel am schwierigsten. Die baumeln herum. Das macht mir ein bisschen Angst", sagt Tolokonnina.
    Hält den Weltrekord in beiden Disziplinen: Maria Tolokonnina aus Kirow
    Hält den Weltrekord in beiden Disziplinen: Maria Tolokonnina aus Kirow (Deutschlandradio / Dornblüth)
    Das Eis ist unvorhersehbar
    Aber auch das scheinbar so einfache Speedklettern an der Vertikalen hat es in sich, sagt Tolokonnina: "Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Eis unvorhersehbar ist. Es kann jeden Moment brechen. Egal, wie gut du vorbereitet bist, egal, wie schnell du bist, du kannst jeden Moment abstürzen. Das passiert selbst den stärksten Sportlern. Deshalb kann bei Wettkämpfen auch nie vorhersagen, wer gewinnt.
    Und das macht die Sportart auch für das Publikum attraktiv. Neben Russland sind zurzeit die Schweiz, Italien, Südkorea führend im Eisklettern. Ausländische Sportler kommen bisweilen zum Trainieren nach Kirow. Letztes Jahr fand hier die Weltmeisterschaft im Speedklettern statt. Russland gewann, natürlich. Die Erfolge sorgen dafür, dass die Sportart in der Stadt immer beliebter wird.
    Rund 300 Eiskletterer soll es hier geben. Anfang März steht bereits der nächste Wettbewerb an, die russischen Meisterschaften. Vor zwei Jahren haben Eiskletterer aus Kirow ihre Sportart bei den Olympischen Spielen in Sotschi präsentiert. Ihr großer Traum ist, dass das Eisklettern eines Tages olympische Sportart wird. Die Junioren-Weltmeisterin Katja Koschejewa wäre dann gern dabei: "Ich denke, wir haben gute Chancen. Bei den Olympischen Winterspielen in Korea werden wir jedenfalls auch einen Schauauftritt haben. Ich hoffe, ich darf mit."