Freitag, 19. April 2024

Archiv


Eisknollen aus Wasser und Methan

Geologie. - Gashydrate oder Methanknollen am Meeresgrund gelten als wichtige Energiequelle der Zukunft. So richtig erforscht sind sie allerdings nicht, denn es ist schwierig, ihnen mit Bohrungen zu Leibe zu rücken. Jetzt hat ein groß angelegtes Bohrprogramm vollkommen unerwartete Ergebnisse gebracht, die auf der Herbsttagung der Amerikanischen Geophysikalischen Gesellschaft vorgestellt wurden.

Von Dagmar Röhrlich | 12.12.2006
    Vom Wetter her stand die Fahrt mit dem berühmten Bohrschiff "Joides Resolution" unter keinem guten Stern. Stürme machten allen an Bord das Leben schwer, und so war es nicht einfach, das dicht gedrängte Bohrprogramm durchzuziehen.

    "Wir bohrten in 1000 bis 2000 Metern Wassertiefe draußen vor der Küste von Vancouver-Island, dort, wo der Kontinent steil in die Tiefsee abbricht. Wir waren ganz nah an der Subduktionszone, wo die Meereskrustenplatte mit Nordamerika kollidiert und ins Erdinnere verschwindet. Dabei werden Sedimente, die sich im Lauf der Zeit auf dem Meeresboden abgelagert haben, abgeschabt und wie von einem Bulldozer zusammengeschoben,"

    erzählt Michael Riedel von der McGill University in Montreal. Der Meeresboden dort ist rau, mit vielen Rücken und Tälern, und zwischen ihnen bohrten die Forscher nach Gashydraten. Das sind Eisknollen aus Wasser und Methan, die im Meeresboden entstehen, wenn der Druck hoch und die Temperatur so niedrig ist, dass Wasser und Methan kristallisieren.

    "Ein Kubikmeter Gashydrate enthält das 160fache Volumen an Methangas. Es ist also ein sehr effizienter Speicher. Wir sollten Gashydrate nur in Wassertiefen größer als etwa 500 Meter finden und sie sollten tief im Sediment liegen, 200 bis 250 Meter unter dem Meeresboden. "

    Weiter unten ist die Temperatur zu hoch, und ist man zu weit oben, mangelt es am Druck. Diese klassische Ansicht stammt aus indirekten Beobachtungen, wie etwa seismischen Kartierungen des Meeresbodens. Direkte Daten durch Bohrungen sind selten, denn Bohren in der Tiefsee ist teuer. Aber es scheint sich zu lohnen:

    "Wir müssen wohl das etwa 15 Jahre alte Modell zur Entstehung von Gashydraten umschreiben. "

    Anscheinend ist die Entstehung von Gashydraten sehr viel komplexer als gedacht. Zunächst muss natürlich Methan zur Verfügung stehen. Dafür sorgen weiterhin Bakterien im Meeresgrund, die organische Substanz abbauen. Das frisch produzierte Methan löst sich im Porenwasser und steigt dann auf:

    "Der klassischen Theorie zufolge müssten die Gashydrate in etwa 250 Metern Tiefe, wo die Druck- und Temperaturbedingungen optimal sind. Wir haben jedoch die höchsten Konzentrationen schon 60 Meter unter dem Meeresboden gefunden – und zwar an vielen Stellen. Eigentlich dürfte es so flach gar keine Gashydrate geben. Außerdem erkannten wir, dass Gashydrate nur im Sand entstehen, in einem grobkörnigen Gestein also und niemals im Ton. Dort können sie nicht wachsen. Das ist bislang nicht gesehen worden. "

    Letzteres ist wichtig für die Abschätzung der Weltvorräte an Gashydraten. Sind sie an Sandlagen gebunden und stimmt das alte Bild von der gleichmäßigen Verteilung im Meeresboden nicht, wird erstens die "Ernte" schwieriger, und zweitens könnte es weniger geben als gedacht. Aber auch dass die Eisknollen flach im Boden auftreten, hat Folgen:

    "Was bedeutet das? Wir reden immer über den Klimawandel, und eine globale Erwärmung geht mit einer Erwärmung der Meere einher. Aber Gashydrate sind empfindlich, sie schmelzen schon bei geringen Temperaturerhöhungen und setzen ihr Methan frei. Liegen sie 250 Meter tief im Sediment, dauert es etwa 8000 Jahre, ehe der Temperaturanstieg sie erreicht. In 60 Metern Tiefe ist diese Zeit dramatisch kürzer. Der Blick in die Erdgeschichte beweist, dass es am Ende der jüngsten Eiszeit bereits katastrophale Methanfreisetzungen durch globale Erwärmung gegeben hat. "

    Steigen die Meerestemperaturen, schmelzen die Gashydrate, Wasser entsteht, das Methan bricht aus – und das verursacht große untermeerische Landrutsche, die weitere Gashydrate freilegen, die dann ebenfalls schmelzen. Enorme Mengen an Methan gelangen so in die Luft – und Methan ist ein sehr starkes Treibhausgas. Dass so etwas bei flach lagernden Gashydraten schnell passieren kann, zeigen die Sedimente vor Vancouver-Island. Dort haben die Geophysiker im steilen untermeerischen Gelände Spuren vergangener Erdrutsche gefunden.