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Eklatante Inkompetenz

Wer mit der Sprache auf Kriegsfuß steht, der verhackstückt sie als Wörterliste. Wörterlisten sind im Augenblick die große Mode, vor allem nostalgisch umflorte oder gesellschaftskritisch gemeinte Wörterlisten.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 16.02.2007
    Da gibt es jede Menge Wettbewerbe um das Wort des Jahres, um das Unwort oder um das schönste Wort, es gibt die terminologischen Schulmeistereien Bastian Sicks und anderer Wortklauber, und es gibt die Listen der gefährdeten beziehungsweise der untergegangenen Wörter, die unter dem Titel "Rotbuch Deutsch / Schwarzbuch Deutsch" erschienen sind und eine lexikalische Seriosität vorgaukeln, sie man nur als Anmaßung bezeichnen kann.

    Schon der Titel "Rotbuch Deutsch" zeugt ja von einem hohen Grad sprachlicher Indolenz, und offenbar ist es dem Herausgeber Johannes Thiele stets mehr um das Deutsche als um das Sprachliche zu tun: Vor drei Jahren schusterte er "Das Buch der Deutschen" zusammen, eine Anthologie von Goethe bis Grönemeyer, die auch Textfetzen eines Autors namens Hitler enthält, und weil ein gewisser Aufregungseffekt wohl kalkuliert war, erklärte Thiele im Vorwort, dass diese Sammlung natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein könne und man das Projekt ausdrücklich als nicht abgeschlossen betrachte. Jetzt relativiert Thiele den linguistischen Wert seiner Wörterlisten mit der Bemerkung, dass sie natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ausdrücklich als nicht abgeschlossen zu betrachten seien. Postkarte für Publikumsreaktionen liegt bei.

    Doch bei aller ausgestellten Harmlosigkeit und selbst unter dem Vorzeichen bloßer Liebhaberei ist dieses 200-Seiten-Lexikon eine schlimme Zumutung. Fangen wir mit der Betrachtung bei den untergegangenen Wörtern an - die angeblich gefährdeten werden separat behandelt. Dass ein Wort außer Gebrauch gerät, kann viele Gründe haben: es ist möglich, dass die Sache, die damit bezeichnet wird, gar nicht mehr existiert, aber es ist auch möglich, dass es sich um einen sprachlichen Modewandel handelt. Und drittens kommt es vor, dass Wörter gemieden werden, weil sie geschichtlich belastet sind. Letzteres gilt beispielsweise für "Aufnorden", einen umgangssprachlichen Begriff aus der Nazizeit, der für das Aufhellen blonder Haare durch Wasserstoffperoxid stand. Doch welche Erläuterung steht in dem Buch? "Durch Zusätze aufbessern" - das ist leider völlig unzutreffend.

    Falsche Begriffserklärungen gibt es in diesem Lexikon so viele, daß man sich gar nicht weiter damit auseinandersetzen möchte. Weil aber das Ganze von einer rückwärtsgewandten Grundhaltung getragen wird, die immer häufiger in der Maske der Sprachkritik auftritt, sehen wir uns rasch noch das Verzeichnis der gefährdeten Wörter an und lesen, dass "Prostitutierte" heute ersetzt werde durch "Callgirl". Offenbar hat der Herausgeber keinerlei Intimkenntnisse vom Hurengewerbe, sonst wäre ihm der Unterschied geläufig.

    Es mag zwar jedes Callgirl eine Prostituierte sein, aber schließlich ist nicht jede Prostituierte ein Callgirl. Doch dem Oberlistenführer Thiele kam es eigentlich bloß auf eine Spitze gegen den Anglizismus an; auf derselben Seite beschwert er sich darüber, dass Prüfliste durch Checkliste und Pulverkaffee durch Instant Coffe ersetzt werde.

    Nein, explizit beschwert er sich natürlich nicht, schließlich listet er bloß Wörter auf, aber man merkt, dass er sich bis zur Besinnungslosigkeit an Anglizismen abarbeitet: Lippenstift und Eistee sind ihm deshalb Einträge wert, weil er "Lipstick" und "Ice Tea" loswerden will, und den Ausdruck "Gute Gefühle" schlägt er allen Ernstes den bedrohten Wörtern zu, weil er das Vordringen von "Good Vibrations" in der deutschen Sprache feststellen zu müssen meint.

    Wer obendrein noch Blödsinn und Demut für gefährdete Vokabeln hält, der decouvriert sich endgültig als Pfeifenkopf, was eher Trottel heißt als Pfeifendeckel wie im Buch behauptet, denn "Pfeifendeckel" ist ein Ausruf der Enttäuschung so wie "Pustekuchen".

    Man bräuchte sich mit einem von so eklatanter Inkompetenz gekennzeichneten Werk eigentlich gar nicht zu beschäftigen, wenn nicht dahinter etwas spürbar wäre, das sich als kultureller Trend manifestiert. Es ist die Artenschutz-Perspektive, dieses "Rettet-den-Regenwald"-Syndrom, das offenbar vom World Wildlife Fund auf eine wachsende Zahl von Germanisten und Literaten übergreift. Unter der Internetadresse www.bedrohte-woerter.de sammelt auch der Journalist Bodo Mrozek, der bereits zwei solcher Lexika herausgegeben hat, bis Ende Februar verbale Gestrigkeiten, die sogar nach Schönheit prämiiert werden sollen. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn in der Tat besitzen ‚Oheim' und ‚Pfühl' ästhetischen Reiz. Dabei sollte man sich allerdings klarmachen, dass dieser Reiz eben in der Altertümlichkeit der Wörter liegt. Das heißt, es muss in der Sprache auch Felder geben, die selten betreten werden; das Altmodische und Ausrangierte gehört gerade zum Variationsreichtum der Ausdrucksmöglichkeiten.

    Diese ruhige Einsicht fehlt freilich den modernen Wortnostalgikern. In ihren hechelnden Reanimationsbemühungen zeigt sich der von zahllosen Untergangsszenarien geprägte Zeitgeist. Nun gehört das Pathos des Pessimismus' schon immer zum Kulturbetrieb, weil die Eule der Minerva ihren Flug bekanntlich erst in der Dämmerung beginnt und sich Erkenntnis stets so spät einstellt, dass mit ihr zugleich die Nacht anbricht. Insoweit ist das alles gar nichts Neues: die Klage über Kulturverlust beherrscht in hohem Maße die Kulturproduktion.

    Eines aber gilt es bei der aktuellen Denkmalschutzhysterie auf dem Gebiet der Sprache zu berücksichtigen: Bei jeder Restaurierung geht Patina verloren.

    Johannes Thiel (Hg.): Rotbuch Deutsch, Die Liste der gefährdeten Wörter /
    Schwarzbuch Deutsch, Die Liste der untergegangenen Wörter. marix Verlag, 160 S., 6 Euro

    Bodo Mrozek (Hg.): Lexikon der bedrohten Wörter. Rowohlt, 224 S., 8,90 Euro (ISBN 3499620774), ders.: Lexikon der bedrohten Wörter 2. Rowohlt. 8,90 Euro (ISBN: 3499621932)