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"El Kaida ist nicht besiegt, aber geschwächt"

Am zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September hält der US-Botschafter in Deutschland, Philip D. Murphy, das Terrornetzwerk El Kaida zwar für geschwächt, aber nicht für besiegt. Die USA setzten weiterhin auf eine enge Zusammenarbeit mit Verbündeten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien. "Lastenteilung ist weiterhin angesagt und sollte auch weiterhin gepflegt werden." Nach 9/11 habe sich in den USA gezeigt: "Wir können die Wiedergeburt schaffen."

Philip D. Murphy im Gespräch mit Bettina Klein | 11.09.2011
    Das Interview mit Philip D. Murphy hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.

    Klein: Herr Botschafter, wir erinnern uns seit fast einem Jahrzehnt in diesen Tagen an die Ereignisse des 11. Septembers 2001 in den Vereinigten Staaten, und ganz besonders natürlich in diesem Jahr – zehn Jahre später. Es gibt wenige Ereignisse für die heute Lebenden, für die der Satz gilt: Jeder weiß ganz genau noch, was er oder sie gemacht hat an diesem Tag, wie er oder sie die Stunden des Nachmittags des 11. Septembers in Deutschland verbracht hat oder natürlich die des Morgens an der Ostküste in den Vereinigten Staaten. Für Sie gilt sicherlich das Gleiche. Wo waren Sie an jenem Morgen, wie haben Sie von den Ereignissen erfahren?

    Murphy: Ja, ich war auf einem Transatlantikflug unterwegs nach London. Das Wetter in New York am 10. September war sehr schlecht und mein Flug war sehr spät. Und ich war in London in meinem privaten Büro, ich habe bei einer Bank gearbeitet. Und ich bin fast kurz vor neun Ostküstenzeit in mein Büro gekommen und ich habe Fernsehen geguckt.

    Klein: Es ging Ihnen wie allen auf der Welt in dem ersten Moment: Niemand wusste, was passiert ist, und alle standen dann unter Schock für Stunden.

    Murphy: Absolut – nur Fragen für alles. Totaler Schock. Unser Haus – meine Frau war in New Jersey, und in dieser Zeit hatten wir drei Kinder, wir haben vier heute – und unser Haus ist nicht wirklich, aber ungefähr gegenüber Manhattan an der Bucht, und man konnte den Rauch sehen. Die ersten Momente waren: Wo ist meine Frau? Ist sie und sind unsere Kinder sicher usw.?

    Klein: Wie entsinnen Sie sich an die folgenden Stunden und Tage nach dem 11. September?

    Murphy: Die nächsten Stunden waren durch Entsetzen, durch Unsicherheit, durch Verzweiflung und Hilflosigkeit geprägt. Mein Haus liegt ja gegenüber Manhattan – über die Hudson-Bay. Etwa 30 Menschen haben an dem Tag ihr Leben verloren, die ich von der Nachbarschaft her oder von der Arbeit her kannte. Die Geschehnisse des Angriffs auf das Pentagon hatten sich noch nicht entfaltet, der Flug in Pennsylvania war noch nicht bekanntgegeben worden. Es gab Gerüchte, dass das Außenministerium angegriffen werde. Es war also eine Atmosphäre äußerster Ungewissheit, niemand wusste, was los war.

    Klein: Als Sie zurückkehrten in die Vereinigten Staaten: Wie haben Sie Ihre Familie, wie haben Sie Ihre Freunde vorgefunden?

    Murphy: Wir waren alle zutiefst erschüttert. Ich habe zunächst versucht, in die USA zurückzugelangen. Das war nicht möglich. Fünf Tage habe ich in England noch gewartet. Der 11. war ja ein Dienstag, am Samstag kehrte ich dann zurück. Als ich dann über die Manhattan-Bridge fuhr, sah ich diesen verheerenden Eindruck. Am Montag dann ging ich wieder zur Arbeit. Wir waren damals alle sehr erschüttert. Nicht nur wir, sondern die ganze Menschheit spürte das.

    Klein: Wir haben diesen Feiertag am 11. September heute. Wie würden Sie die Stimmung im Land heute beschreiben – zehn Jahre später – in den Vereinigten Staaten?

    Murphy: Ich glaube, zwei Grundstimmungen, Frau Klein, beherrschen uns an diesem Tag. Die erste Grundstimmung, das erste Thema ist ein tiefer Respekt, eine Hochachtung vor all den Menschen, die damals ihr Leben verloren haben. Das sehen Sie schon daran, dass sowohl Präsident Obama wie auch der frühere Präsident Bush zu diesen Ereignissen der Erinnerung kommen werden. Aber sie werden beide nicht reden – aus tiefer Ehrerbietung gegenüber diesen Opfern von damals, die aus 90 verschiedenen Ländern kamen, darunter auch elf Opfer aus Deutschland. Das zweite Grundmotiv, das vielleicht etwas weiter ausholt, ist dieses Grundgefühl der Wiedergeburt, der Lebenskraft. Wir haben uns das letzte Woche angeschaut – Ground Zero –, und wir waren erstaunt zu sehen, wie viel Leben da wieder auferstanden ist. Jetzt leben ja in Lower Manhattan zwei Mal mehr Menschen als damals. Das ist etwas Außerordentliches. Es zeigt, dass die Amerikaner, dass die ganze Welt, alle freien Bürger dieser Welt die Kraft haben, sich wieder zu erheben, zu neuem Leben zu kommen. Ein großartiges Anliegen zeigt sich hier, wir können die Wiedergeburt schaffen. Und manchmal geht es uns danach sogar besser als vorher.

    Klein: Gibt es noch dieses Gefühl der Verletzbarkeit, der Unsicherheit als eine Folge dieser traumatischen Erfahrung?

    Murphy: Wenn man heute zurückdenkt und an den Tag sich erinnert, dann wird man schon manchmal noch von dieser Unsicherheit befallen. Aber grundsätzlich würde ich nein sagen. Ich würde es eher mal so sagen: Wir sind uns der Dinge bewusster als vorher. Viele Dinge stehen uns jetzt im Sinn. Das Gefühl für Sicherheit ist geschärft worden. Wir sind vorsichtiger, wir sind umsichtiger geworden. Wir packen die Dinge auf schlauere Weise an. Das Außenministerium etwa, für das ich seit zwei Jahren arbeite, gibt allen Reisenden die sinnvollen Ratschläge mit. Das heißt, unser Sicherheitsbewusstsein hat sich sicherlich verändert. Aber dieses neue Bewusstsein bedeutet nicht, dass wir uns unsicher fühlen. Nein, wir sind einfach umsichtiger, vorsichtiger. Wir passen auf, was um uns herum geschieht.

    Klein: Mit Blick auf die Sicherheit: Was halten Sie für die wichtigste Veränderung im Alltagsleben der Amerikaner als eine Folge von 9/11?

    Murphy: Zweierlei möchte ich dazu ansprechen - erstens die Lage an den Flughäfen und an anderen Stätten des Verkehrs: Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, überall in der Welt leben wir jetzt mit einem größeren Bewusstsein. Wir akzeptieren die zusätzlichen Maßnahmen auf den Bahnhöfen und überall sonst. Und ich glaube, das läuft gut. Und dafür verdienen wir auch Anerkennung. Das Zweite aber, und das ist wesentlich wichtiger, ist: Wir in den USA, aber auch in Deutschland, in Europa und überall sind uns bewusst, dass keine Gesetzgebung, keine Polizeikraft allein, keine Sicherheitsbehörden vollständige Sicherheit gewährleisten kann. Das habe ich auch kürzlich wieder auf dem Times Square gesehen: Die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt ein größeres Bewusstsein für die Bedrohung. Das heißt, sobald ihnen etwas auffällt, was vielleicht nicht ganz in Ordnung scheint, weisen sie jemand anderen darauf hin. Man erzählt einem anderen: Da ist etwas, was nicht ganz zu stimmen scheint. Das hat sehr zugenommen, und das ist etwas Gutes.

    Klein: Glauben Sie, dass die Gefahr, die von El Kaida ausgeht, vorüber ist, dass die Bedrohung abgewendet werden konnte?

    Murphy: Nein. El Kaida ist wesentlich geschwächt, aber nicht endgültig besiegt. Wir haben wirklich wesentliche Fortschritte gemacht. Die Ergreifung und Tötung Osama bin Ladens war sicherlich ein wichtiger Schritt, aber keineswegs das Ende in dieser Geschichte. Wir sehen das ja weiterhin, seit damals hat es ja diese Einzeltäter gegeben, zum Beispiel dieser Täter, der zwei unserer Soldaten tötete und zwei verletzte. Oder diese schreckliche Tragödie in Norwegen. Ich muss also sagen, wir haben wichtige Fortschritte gemacht, aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

    Klein: Wir haben, vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten selbst, die Debatte über die Rolle der USA nach dem 11. September in der Welt. Werden die Vereinigten Staaten eine Supermacht in der Welt bleiben in Zukunft? Wie würden Sie die aktuelle Debatte in den Vereinigten Staaten diesbezüglich beschreiben?

    Murphy: Im Großen und Ganzen herrscht hier große Übereinstimmung. Die Regierung weiß da die Mehrheit hinter sich, auch wenn es die eine oder andere unpopuläre Maßnahme gibt. Aber für die gegenwärtige Regierung unter Präsident Obama gilt doch ganz sicherlich: Die Richtung geht hin zu mehr Engagement in der Welt, sowohl mit den Verbündeten wie auch gegenüber den Gegnern. Das hat Präsident Obama selbst gesagt, und das ist auch ein Grund, weshalb ich so tiefen Respekt gegenüber ihm hege. Wir können es nicht alleine schaffen. So groß wir auch sind: Es ist für uns alleine nicht zu stemmen. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Selbst wenn wir groß genug wären, um die Dinge alleine zu regeln, ist es immer besser, sich mit Verbündeten zusammenzuschließen. Und das tun wir auch. Deutschland, Großbritannien, Frankreich – um nur diese wichtigen Verbündeten zu nennen – sie alle teilen doch die überwältigende Mehrheit unserer Ziele, unserer Werte. Und es ist gut, dass wir hier mit diesen Verbündeten unsere Lasten teilen. Das gilt sowohl für die NATO wie auch im Umgang mit unseren engsten Verbündeten, unter ihnen Deutschland. Das ist etwas, was wir aufrecht erhalten sollen.

    Klein: Es wurde ja sehr stark diskutiert über die Strategie in Libyen und die Rolle der Vereinigten Staaten dabei. Obama hat versucht, das etwas neu zu definieren. "Leading from behind" haben manche gesagt, also eher Führen aus dem Hintergrund. Glauben Sie, dass das die Rolle der Vereinigten Staaten in der Zukunft sein wird?

    Murphy: Darauf würde ich mit einem klaren Ja und Nein antworten. Ich glaube übrigens, dass er selbst nicht ständig sagen würde, dass man von hinten her führen müsse. Er würde wohl eher sagen: Es hängt von dem einzelnen Land ab, von der Situation. Es gibt keine Patentlösung für alle Länder. Was Afghanistan angeht: Ja, wir haben hier niemanden um Erlaubnis gefragt. Wir sind einseitig angegriffen worden, und wir behalten uns ständig das Recht vor, dann auch zurückzuschlagen, auch einseitig. Das Besondere bei diesem Land war dann aber, dass wir diese breite Unterstützung gefunden haben, so dass man gemeinsam handeln konnte. Viele andere Länder haben sich auf den Weg zur Demokratie ohne größere Gewalttätigkeiten gemacht. In Libyen dagegen war die besondere Situation. Nun, der Präsident hat es so gesagt: Es gibt bestimmte Augenblicke, wo wir als einzige befähigt sind, zu handeln. Und es gibt – b) – auch bestimmte Mittel, die wir alleine haben und die wir dann auch für die gemeinsame Unternehmung zur Verfügung stellen und auch weiter stellen werden. Wir haben hier im Bündnis mit anderen gesehen, dass die Lage sich jetzt verändert hat. Die militärischen Kräfte werden zurückgehen, die zivilen Kräfte werden hoffentlich mehr zur Geltung kommen. Und gerade jetzt, in der Zeit nach Gaddafi, wird sich die Situation neu darstellen. Hier rechnen wir weiterhin auf die Zusammenarbeit, und wir hoffen, dass hier die Verbündeten und auch andere Länder, und insbesondere auch Deutschland, eine ganz wesentliche Rolle spielen werden. Lastenteilung ist weiterhin angesagt und sollte auch weiterhin gepflegt werden.

    Klein: Man hört von gewissen Verstimmungen, einer gewissen Enttäuschung – in einigen Institutionen der Vereinigten Staaten jedenfalls – in Bezug auf Deutschlands Enthaltung im Weltsicherheitsrat, als es zur Libyen-Frage kam. Hat sich Deutschland als ein verlässlicher Verbündeter in dieser Frage erwiesen Ihrer Meinung nach?

    Murphy: Deutschland ist und Deutschland war einer der engsten, einer der verlässlichsten Verbündeten der USA. Das hat der Präsident ja auch letzte Woche wieder bekräftigt. Punkt. Was nun Libyen angeht, da kann man natürlich fragen: Wie bemisst man eigentlich die Enge von Verbündeten? Bemisst es sich daran, dass man immer dasselbe sagt, tut und denkt, oder beweist es sich nicht vielmehr darin, was man tut, wenn man eben nicht einer Meinung ist? Gibt es ein System, nach dem man solche Unterschiede ausgleicht? Kennt man sich gut genug, um nach bestimmten Meinungsverschiedenheiten das Ganze wieder zusammen zu bringen? Libyen wird sich daran messen lassen müssen. Und ich möchte hier dem Präsidenten nichts in den Mund legen. Aber wie wird die Situation in fünf oder zehn Jahren sein? Das ist doch die entscheidende Frage Die erste Phase in Libyen war jetzt durch heftiges militärisches Eingreifen geprägt. Die zweite Phase wird hoffentlich in viel stärkerem Maße durch zivile Bemühungen gekennzeichnet sein. Hier ist sehr viel Mitarbeit erforderlich von Deutschland, von anderen Ländern. Polizisten müssen ausgebildet werden, die Infrastruktur muss wieder aufgebaut werden. Und hier wird man dann in fünf oder zehn Jahren fragen: Haben die USA, hat Deutschland wirklich alles getan, was in ihren Kräften steht? Und ich glaube, die Antwort wird dann überwältigend Ja lauten.

    Klein: Können Sie etwas genauer sagen: Was werden die Vereinigten Staaten von Deutschland in dieser Frage erwarten?

    Murphy: Ich greife hier zurück auf das, was ich gerade gesagt habe: Ausbildung, Wiederaufbau und Beratung, das sind die wesentlichen Fertigkeiten, die Deutschland mitbringt. Das hat die Kanzlerin ja auch immer wieder gesagt. Der Präsident der USA hat das letzte Woche ebenfalls bekräftigt. Deutschland bringt drei Stärken mit: Erstens, das Land ist einer der besten Polizeiausbilder weltweit. Zweitens, Deutschland bringt enorme Fähigkeiten als Land der Ingenieure mit, als Land der Technik in ein Land, das sowieso schon unter Bedarf ausgebaut war und das jetzt durch einen Krieg noch zusätzlich getroffen worden ist, da kann Deutschland hier eine wesentliche Rolle spielen. Drittens, Aufbau der Institutionen. Libyen hat einen Mangel an Institutionen, Oberst Gaddafi hat alle Institutionen ausgetilgt. Hier kann Deutschland einen wichtigen Beitrag leisten. Ausbildung, Wiederaufbau und Beratung, das sind die drei wichtigen Gebiete, auf denen Deutschland einen wichtigen Beitrag auf diesem Weg zur Demokratie leisten kann.

    Klein: Mister Murphy, Sie sind seit etwa zwei Jahren Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Lassen Sie uns auf die transatlantischen Beziehungen schauen. Direkt nach den Anschlägen vom 11. September haben wir Deutschen sehr stark unsere Solidarität gezeigt. Dann änderte sich das relativ schnell, und im Mittelpunkt stand die Kritik an der Politik von US-Präsident George W. Bush, am Irak-Krieg vor allen Dingen. Wie würden Sie diese Veränderung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen beschreiben in der Folge von 9/11?

    Murphy: Ich kann auf Ihre Frage nicht in allen Einzelheiten mit echter Kenntnis antworten, weil ich ja erst seit weniger Zeit hier bin. Ich kann aber über das berichten, was ich jetzt sehe. Und was ich sehe ist: Deutschland ist einer unserer engsten Verbündeten. Punkt. Was nun Irak angeht und gewisse Unterschiede in der Bewertung, so kann ich nur sagen, Deutschland und die USA haben seit 65 Jahren ein enges Bündnis, ein starkes Bündnis, das alle Regierungswechsel – von den Demokraten zu den Republikanern und zurück - in den USA überdauert hat. Auch in Deutschland hat es die verschiedensten Koalitionen unbeschadet überstanden. Das ist ein Zeichen für die Stärke und Tragfähigkeit dieses Bündnisses. Und bei gewissen Meinungsverschiedenheiten ist es doch stets wieder das Entscheidende: Hält das Bündnis diese Unterschiede aus? Und hier kann ich sagen, Deutschland ist einer der engsten, einer der herausragenden Verbündeten für die USA.

    Klein: Ich fand es neulich sehr interessant zu sehen auf dem Titelblatt einer deutschlandweit erscheinenden großen, bedeutenden Zeitung: das Bild einer zerrissenen US-Fahne, dazu die Überschrift: "Der Traum ist aus". Wenn Sie als Amerikaner solche Bilder sehen, was empfinden Sie dabei?

    Murphy: Sehr schön, ich habe diese Ausgabe der "Süddeutschen" ja verpasst. Ich hege größte Hochachtung für diese Zeitung, aber letztlich wollen die doch auch ihre Zeitungen verkaufen. Was die USA angeht, wir sind weiterhin die stärkste Weltwirtschaft. Wir sind auch eine Art Richtschnur für Demokratie, übrigens auch, wenn es in der Demokratie mal eher schäbig zugeht. Und wir hatten einige derartige Momente. Wir rappeln uns wieder zusammen. Ich würde also überhaupt nicht sagen, dass wir irgendwie in Gefahr schweben. Ich habe vor einigen Tagen mit einem deutschen Geschäftsmann gesprochen. Es ist immer gut, direkt den Puls abzunehmen im Gespräch mit Geschäftsleuten, weil die deutschen Firmen eben so stark in den USA engagiert sind. Ich habe gefragt: Wie laufen die Geschäfte? Und er hat mir geantwortet: Es ist nie besser gelaufen. Also, Sie sehen schon, auch wenn es mal Auf und Ab in dem Zutrauen gibt, insgesamt sind wir doch außerordentlich stark vertreten. Und ich glaube, die USA sind weiterhin eine Bank.

    Klein: Dann ist es ja interessant, dass man glaubt, eine Zeitung mit dem Bild einer zerrissenen US-Fahne könne man gut verkaufen in Deutschland.

    Murphy: Ich bin sicher, Sie haben auch sehr viele Exemplare verkauft mit dem Bild unseres Präsidenten auf der Titelseite in sehr guten Momenten.

    Klein: Supermacht in der Krise. Der Traum ist aus. Das sind ja nur zwei Schlagzeilen dieser Tage. Was denken Sie über unsere Wahrnehmung, über das Bild, das die Deutschen haben von der aktuellen ökonomischen und politischen Situation, von den Problemen in den Vereinigten Staaten?

    Murphy: Ja, ich glaube, wir sind zu pessimistisch. Übrigens haben auch viele Amerikaner überreagiert. Das ist eben diese Sache mit dem Vertrauen. Das hat der Präsident ja auch viel besser ausgedrückt, als ich das sagen könnte. Diese Sache mit der Herabstufung durch S&P, das war im Grunde nicht wirtschaftlich bedingt, sondern es war eine selbstauferlegte Kasteiung, etwas, was eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Der Präsident hat es ganz klar herausgestellt. Es kommt jetzt darauf an, Möglichkeiten zur Beschäftigung zu schaffen, eine Stabilität rein zu bringen, das große Ganze zu sehen. Und für uns ist es natürlich wichtig, die Einigung zwischen den großen politischen Parteien herzustellen. Früher ist besser als später. Und ich denke, das ist jetzt im Vordergrund. Wir müssen alles ausloten, um Beschäftigung zu schaffen und damit auch die Lage insgesamt zu beherrschen.

    Klein: Dann halten wir fest, Sie meinen schon, dass in Deutschland die Probleme in den Vereinigten Staaten überschätzt werden?

    Murphy: Ja, das glaube ich schon. Ich glaube, es wird etwas übertrieben, und das gilt ja nicht nur für Deutschland. Wenn man jetzt diese zerrissenen Fahnen sieht oder die Botschaft: Der Traum ist ausgeträumt. Mein Gott noch mal, nein, das ist nicht so. Das ist wirklich eine groteske Fehleinschätzung unserer Gesellschaft und auch unserer wirtschaftlichen Stärke.

    Klein: Sie haben einige Probleme jetzt angesprochen. Wie schwer wird es, Kompromisse zu finden zwischen beiden Parteien in den Vereinigten Staaten jetzt, da der Wahlkampf 2012 eigentlich schon begonnen hat?

    Murphy: Nun, es ist ja eine alte Weisheit, dass es schwierig sein wird, auch wenn es zunächst mal oberflächlich gesehen anders aussehen mag. Es wird wohl möglich sein. Das haben wir ja auch im Herbst 2008 gesehen. Während des Präsidentschaftswahlkampfes haben sich die beiden großen Parteien doch zusammengerauft. Wir Amerikaner sind vielleicht nicht immer die raschesten, aber wenn es die Not gebietet, wenn es im Interesse des Landes unerlässlich ist, dann werden wir uns auch zusammensetzen und eine Lösung finden. Und ich glaube, das gilt sowohl für die Demokraten wie die Republikaner und selbstverständlich auch für den Präsidenten. Wir stimmen überein, dass es jetzt vor allem darum geht, Beschäftigung zu schaffen und Zutrauen herzustellen. Und ich bin zuversichtlich, dass dies auch bei der nächsten Kampagne für das Präsidentenamt gelingen wird.

    Klein: Herr Botschafter, persönlich gefragt, mein Eindruck ist, dass in den Vereinigten Staaten viele Menschen immer noch sehr optimistisch, sehr offen sind, obwohl viele von ihnen wirtschaftlich zu kämpfen haben und es ihnen mitunter nicht besonders gut geht, gerade nach der Finanzkrise 2008, nach der Immobilienkrise. Hierzulande hingegen, wir leben in einem sehr reichen Land, und dennoch hat man manchmal den Eindruck, sind die Leute vergleichsweise negativ gestimmt und auf Probleme fokussiert. Wie ist das für Sie, wenn Sie zurückkommen in die Vereinigten Staaten, was gefällt Ihnen dann wieder am besten und was, wenn Sie wieder hier in Deutschland sind?

    Murphy: Sehr gute Frage. Ich habe ja vorhin schon erwähnt, es liegt alles an der Wirtschaft. Das gilt für die Politik, aber dieser unternehmerische Geist, der durchzieht auch uns als Amerikaner ganz persönlich. Das ist vielleicht in Deutschland etwas anders. Obwohl wir so vieles gemeinsam haben, könnte dies doch ein Unterschied sein. Wenn ich in die USA zurückkehre, dann liebe ich es natürlich, wieder die Angehörigen, die Freunde, die Nachbarn im Städtchen zu treffen. Das ist etwas, woran mein Herz hängt. Das werden Sie verstehen, auch wenn ich sage, ich liebe Amerika. Das ist nun mal so. Wenn ich etwas angeben soll, was groß ist an Amerika: Dass jeder es zur Spitze schaffen kann, auch wenn man aus einer zerrütteten Familie kommt. Die Großeltern ziehen einen dann auf. Unser Präsident ist ja das allerbeste Beispiel dafür, dass jeder es schaffen kann. Es ist eine freie Gesellschaft mit diesem Gefühl, jeder ist imstande, es ganz nach oben zu schaffen. Und das liebe ich daran. Was liebe ich daran, in Deutschland zu leben? Nun, ich liebe es, weil Deutschland mich auch so stark an Amerika erinnert. Mir ist gesagt worden, dass 25 Prozent, also etwa 80 Millionen der US-Amerikaner deutsche Vorfahren haben. Es gefällt uns sehr, hier zu leben. Das ist einfach ein Land, in dem wir sehr gerne leben. Und ich spüre das ja immer bei den Gesprächen mit den Leuten. Sie hegen eine tiefe Achtung und Respekt für unser Land. Es ist auch eine große Dankbarkeit zu spüren, sowohl für den Beitrag Amerikas nach dem zweiten Weltkrieg wie auch nach dem Fall der Mauer bei der Wiedervereinigung. Hunderte, Tausende Male habe ich das gehört: Danke, dass Amerika ein so enger Freund für uns ist. Und das ist wirklich mit Händen zu greifen. Ich spüre das tagaus, tagein, diese Dankbarkeit und diese Achtung der Deutschen für Amerika.

    Klein: Herr Botschafter, danke für das Gespräch.

    Murphy: Es war mir eine große Ehre, hier gewesen zu sein. Danke.

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