Liat Elkayam: "Aber die Nacht ist noch jung"

Die Mutter als Maschine

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Das Cover des Buches ist schwarz, darauf bilden rote Kreise den Untergrund für den Titel.
Kraftvoll erzählter und doch intimer Roman: "Aber die Nacht ist noch jung" von Liat Elkayam. © Deutschlandradio / Kunstmann
Von Carsten Hueck · 12.10.2020
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Job, Mann, Kind - und all das bitte immer perfekt und erfolgreich. Mit charmant-rüdem Humor erzählt die israelische Autorin Liat Elkayam in ihrem Debüt von den Ansprüchen, die an heutige Frauen gestellt werden und davon, wie zerstörerisch sie sind.
Schon der erste Satz lässt ahnen, dass es in diesem Roman nicht um erfüllte Sehnsüchte und die besten Momente im Leben einer Frau geht: "Sie war überglücklich, dass sie die Hochzeit hinter sich hatte." Sie, das ist Michal, geborene Uliel, die nun Schneider heißt. Es ist morgens um vier. Mit Whisky hat sie sich durch die Nacht gerettet, nun will sie mit ihrem Ehemann Jonatan im Hotel einchecken und stellt fest, dass sie die Chipkarte für das Zimmer verloren hat. Am nächsten Tag fliegen die beiden verkatert in die Flitterwochen. Sie dürfen im Flugzeug nicht nebeneinandersitzen, Venedig stinkt, das Hotelzimmer gefällt nicht und das Ersatzzimmer ist zu klein. An irgendeinem italienischen See dann stellt sich Michal vor, "sie hätte ein grässliches Date mit einem tollen Mann. Oder ein tolles Date mit einem scheußlichen Mann. Jeder Gedanke war ihr lieber als der an Jonatan."

Auf dem Hochzeitsfoto ist ein Pickel

Drei markante Situationen beschreibt die israelische Autorin Liat Elkayam in ihrem Debütroman. Elkayam, 1975 in Tel Aviv geboren, hat bildende Künste, Jura, Philosophie, Kulturkritik und Drehbuchschreiben studiert, die literarische Beilage der Tageszeitung "Ha’aretz" mitherausgegeben, Kolumnen und Kurzgeschichten geschrieben. Während sie offensichtlich vielen Neigungen nachgegangen ist, versucht sich ihre Protagonistin stark zu fokussieren – auf einen Mann, ein Kind, einen Job. Sie ist äußerst erfolgreiche Spieleentwicklerin, verdient viel Geld, weiß um die Bedeutung von Modelabels und Selbstvermarktung. Die Hochzeitsfotos will sie nicht bezahlen, weil man darauf einen Pickel unter ihrem Make-up erkennt.

Wirklichkeit und Wunschbilder

Im zweiten Teil des vierhundertseitigen Buches scheitert jedoch der Anspruch auf Glanz, Makellosigkeit und Vergnügen unübersehbar an der Realität von Kaiserschnittnarbe, Milchpumpen und Ernährungssonden: Auf der Frühchenstation eines Krankenhauses fühlt sich Michal als Komplettversagerin. Jede Krankenschwester scheint ihr haushoch überlegen, jede andere Mutter souveräner als sie selbst.
Eine lange verdrängte Unsicherheit übernimmt die Kontrolle über ihr Verhalten, in ihrer neuen Funktion als Mutter agiert sie entnervt und überfordert, zynisch und verzweifelt. Alles ist anders, hässlicher und anstrengender, als Frau sich das gemeinhin vorstellt.

Sarkastisch beschreibt Liat Elkayam, wie gerade Mütter auf Funktionen reduziert werden. Wie zerstörerisch perfektionistische Selbstanforderungen sind, wie schrill Wirklichkeit und Wunschbilder aufeinandertreffen. Das Krankenhaus ist eine Maschine, die Mutter auch.

Wie ein interaktives Spiel

Im dritten Teil sprengt die Autorin - auch formal – das vernunftgesteuerte Korsett ihrer Protagonistin: Während Mann und Kind in einer ländlichen Kleinstadt schlummern, zieht sie nach einer Betriebsfeier mit einem Kollegen durch die Tel Aviver Clubs. Sex, Drogen und Erinnerungen an das Singleleben lassen sie eine wilde Nacht verbringen. Dieses Kapitel ist angelegt wie ein interaktives Spiel, man kann vor oder zurückblättern, verschiedene (Lektüre)Wege einschlagen, die Stimme der Ich-Erzählerin gehört einem Ich und einem Es, die unterschiedliche Verhaltensoptionen anbieten.

"Aber die Nacht ist noch jung" ist ein kraftvoll erzählter und doch intimer Roman. Präzise das Gespür der Autorin für Situationen und Dialoge. Selbstbewußt, reflektiert und mit charmant-rüdem Humor porträtiert Liat Elkayam eine Frau von heute.

Liat Elkayam: "Aber die Nacht ist noch jung", Roman
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer
Verlag Antje Kunstmann, 2020
403 Seiten, 25 Euro

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