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"El Siglo de Oro" in Berlin
Spaniens goldenes Zeitalter

Fantasievolle Martyrien, abgehackte Köpfe, blutüberströmte Leiber: In der Berliner Gemäldegalerie zeigt die Ausstellung "El Siglo de Oro" mit dramatischen wie grausamen Darstellungen brilliant inszinierte Zeitgeschichte aus dem goldenen Zeitalter der spanischen Kunst.

Von Carsten Probst | 30.06.2016
    Besucher schauen sich in Berlin in der Gemäldegalerie das Werk "Der tote Christus" des spanischen Künstlers Gregorio Fernandez an.
    Große Schau zum Goldenen Zeitalter: Besucher schauen sich in Berlin in der Gemäldegalerie das Werk "Der tote Christus" des spanischen Künstlers Gregorio Fernandez (1576-1636) an. (dpa / Kay Nietfeld)
    Was für ein Paukenschlag zum Auftakt: Durch den Eingang zum ersten Saal ist schon aus einiger Entfernung die monumentale "Immaculata" zu sehen, ein Gemälde in wahrlich irren Farben, fast vier Meter hoch und zwei Meter breit. Der heilige Geist in Gestalt einer weißen Taube schwebt aus einem stahlblauen Firmament auf Maria hinab. Anders als in früheren Darstellungen ereilt Maria die Empfängnis nicht in intimer Abgeschiedenheit, sondern inmitten einer Menge aus Engeln und Begleitfiguren, deren Kleider wie unter einem Lichtblitz in geradezu grellen violetten, blauen und gelben Farben aufleuchten. Die Gesichter, mehr gezeichnet als gemalt, verraten weniger Andacht als Ekstase, und die extreme Untersicht scheint den Betrachter geradezu in die Anbetungsrolle zwingen zu wollen.
    Die "Immaculata" ist eines der Hauptwerke von Domenikos Theotokopoulos aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, jenes in Toledo ansässigen Malers, den die Kunstgeschichte allgemein unter seinem Spitznamen El Greco kennt. Gebürtig aus Kreta, bezeugt die eigentümlich prägende Rolle dieses Malers für die Kunstgeschichte, wie vielfältig und durchaus international die Einflüsse auf die spanische Malerei zu Beginn des "Siglo de Oro", ihres Goldenen Zeitalters waren. El Grecos Anwesenheit beförderte Toledo zu einem der führenden Kunstzentren im Spanien jener Zeit, während sich in den anderen wie Sevilla, Valencia oder Madrid oftmals italienische Einflüsse durchsetzten.
    Sevilla, diese zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch wohlhabende Metropole, hatte mit Francisco Pacheca und Juan de Roelas zwei herausragende Künstlerpersönlichkeiten, die zugleich Lehrmeister waren für eine epochal bedeutende junge Künstlergeneration: Für Francisco de Zurbaràn, Bartolomé Esteban Murillo und Diego Velázquez. Deren Werke, so könnte man meinen, müssten neben denen El Grecos die Blickfänge dieser Ausstellung sein. Doch das, was die Staatlichen Museen hier präsentieren, ist alles andere als ein um wenige Highlights gruppiertes Sommerprogramm für eilige Touristen.
    Parforceritt durch eine der intensivsten Epochen der europäischen Kunst
    Besucher sollten sich daher nicht auf einen Spaziergang einstellen. Jedes der 130 grandiosen Werke erzählt, nach chronologischen, regionalen und inhaltlichen Schwerpunkten geordnet, brillant inszenierte Zeitgeschichte. Man kann sich dabei nicht nur auf dramatische, sondern auf mitunter grausame Darstellungen gefasst machen – überaus fantasievoll ausgedachte Martyrien, abgehackte Köpfe, blutüberströmte Leiber. Insbesondere Skulpturen wie der "Cristo Yacente", der "Liegende Christus" von Gregorio Fernández von 1627 zeigt, worauf es dieser Kunst in dieser Zeit ankommt: Er fertigte sorgfältig bemalte Holzfiguren, die mit Zähnen aus Elfenbein und Nägeln aus Stierhorn, die den Betrachter durch ihre Lebensnähe erschauern lassen sollen.
    Fernández war der herausragende Vertreter der Holzbildhauerei in Valladolid, eines Kunstzentrums, das sich auf betont religiöse Motive spezialisiert hatte, die als Bildpropaganda der Gegenreformation eingesetzt werden konnten. Allein dass in dieser Zeit die am Vorbild Tizians geschulte, höfische Portraitkunst Velázquez zu einer solchen Blüte kommen konnte, die in dieser Ausstellung an wunderbaren Beispielen zu studieren ist, sagt schon manches über den politischen Hintergrund aus. Denn unter Philipp IV. und seinem Nachfolger Karl II. befand sich das spanische Weltreich in einer epochalen Krise. Die unerhörte Prachtentfaltung in den Künsten erfolgt nicht trotz, sondern wegen des Niedergangs. Sie wurde gezielt gefördert und eingesetzt, um einen Zustand der Prosperität vorzutäuschen, den es längst nicht mehr gab.
    Aufwändige Ausstattungen von Palästen zeugen davon: Der Torre de la Parada, kaiserliches Refugium vor den Toren Madrids, wurde mit hunderten Werken unter anderem von Rubens und Velázquez ausgestattet. Erhalten ist davon kaum etwas. Nicht weniger üppig der Buon-Retiro-Palast, der größte künstlerische Auftrag des 17. Jahrhunderts in Spanien, mit Gemälden de Zurbaràns, Velázquez', Poussins und Rubens' – gerade zu einer Zeit, da die Krise ihre volle Wucht entfaltete. Toledo, Valencia, sogar die reiche Wirtschaftsmetropole Sevilla wurden ab Mitte des 17. Jahrhunderts hart vom Zerfall des Spanischen Reiches getroffen und versiegten nach und nach auch als Zentren der Künste. Am Ende, unter der Regentschaft Karls II., zentralisiert sich das Geschehen in der Hauptstadt Madrid und verliert letztlich dadurch seine weit gespannte, eigenwillige Vielfalt und Qualität. Die Ausstellung erzählt davon ohne Übertreibung, aber mit aller gebotenen Dramatik. Dieser Parforceritt durch eine der intensivsten Epochen der europäischen Kunst lässt niemanden kalt.