Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Elektromobilität und Emmissionsfreiheit
"Die deutsche Autoindustrie fährt der Konkurrenz hinterher"

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Anton Hofreiter, hat die Autobranche vor massiven wirtschaftlichen Gefahren gewarnt, sollte sie nicht deutlich mehr in die Elektromobilität investieren. Deutschland drohe die Trends zu verschlafen, sagte er im Deutschlandfunk. In dem Zusammenhang verwies er auch auf das Beispiel Nokia.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Nadine Lindner | 06.11.2016
    Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter.
    Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter. (pa/dpa/Stratenschulte)
    Das Interview mit Anton Hofreiter hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.
    Nadine Linder: Herr Hofreiter, lassen Sie uns über ein Thema sprechen, gleich am Anfang, von dem ich weiß, dass es Ihnen am Herzen liegt. Ich würde gerne mit Ihnen zu Beginn gleich über Steaks sprechen, über Fleisch, über den Konsum von Fleisch. Das hat in dieser Woche ja eine ganz besondere Relevanz bekommen, dieses Thema. Wenn man sich anschaut, welches verbales Fingerhakeln in der großen Koalition beim Thema Klimaschutzplan stattgefunden hat, hat man sich ein bisschen die Augen gerieben, dass eine Ministerin, die eigentlich eher für leisere Töne bekannt ist, wie Barbara Hendricks von der SPD, jetzt von Blockadehaltung spricht, von Halbwissen, was es gibt.
    Da würde ich gerne mit Ihnen darüber sprechen, wie groß Ihre Sorge denn ist, dass es am Ende mit diesem Klimaschutzplan ein Papier geben wird, wo zwar Klimaschutzplan dann drauf steht in der Überschrift, in dem, was inhaltlich kommt, aber kein Klimaschutz mehr drin ist. Zum Beispiel beim Thema Landwirtschaft hat der Landwirtschaftsminister Christian Schmidt jetzt gewarnt vor einer Strafsteuer für Fleischesser, die nicht kommen sollte.
    Anton Hofreiter: Ich glaube, das ist leider keine Sorge mehr, sondern inzwischen traurige Gewissheit, wenn man sich den Zustand des Klimaschutzplans anschaut, dass der zwar noch Klimaschutzplan heißt, aber so nicht mehr genannt werden sollte, weil es nicht mehr um Klimaschutz geht, sondern es geht bloß noch darum, dass die Bundesregierung von ihrer Tatenlosigkeit ablenken will. Und man muss da Frau Hendricks in dem Fall loben, dass sie deutlich zum Ausdruck gebracht, dass von ihren eigenen Parteikollegen bis zur Kanzlerin, bis zu den zuständigen Fachministern, Dobrindt und Schmidt, offensichtlich nicht verstanden worden ist, was Klimaschutz bedeutet.
    Lindner: Es geht ja jetzt ganz konkret um die Sektoren, die vorliegen müssen, wie viel CO2 eingespart werden kann. Das heißt, es geht auch um Veränderungen, die jetzt konkret mal beschrieben werden sollten, wie bis zum Jahr 2050 teilweise emissionsfreies oder sehr stark emissionsreduziertes Wirtschaften, Leben in Deutschland stattfinden kann. Lassen Sie uns noch mal auf den Punkt "Fleisch/ Fleischkonsum" schauen. Wie kann das denn stattfinden? Weil Kühe produzieren nun einmal Methan, die sind da, das wird man ihnen ja auch nicht austreiben können.
    Hofreiter: Nein, da geht es auch entscheidend nicht darum. Es geht bei einer anderen Landwirtschaftspolitik darum, dass wir nicht mehr diese gigantischen Ställe haben, wo die Tiere unter katastrophalen Bedingungen gehalten werden. Und es geht auch darum, wie wir im eigenen Land mit unserer Natur umgehen. Das hat eine Klimaschutzkomponente und das hat eine Artenschutzkomponente, und da müssen sich ein paar Dinge ganz, ganz grundlegend ändern.
    Hofreiter: Vermittlung der Klimaziele ist "ganz stark ein Politik-Problem"
    Lindner: Ich würde gerne in diesem Punkt mal einhaken. Es geht ja um Veränderungen, es geht um Dinge, die sich auch in unserem Alltagsleben ändern werden. Ich erinnere mich an den Sommer, als schon einmal über den Klimaschutzplan diskutiert wurde. Da war zum Beispiel das Wort – wir haben eben über Kraftausdrücke gesprochen –, da wurde von einer Klimadiktatur gesprochen, die in Deutschland mit diesem Klimaschutzplan errichtet werden soll. Das ist ja auch teilweise was, was Unionsabgeordnete geteilt haben, diesen Begriff.
    Wie bekommt man denn diese Vermittlung jetzt gestemmt? Es wird ja gerne dann auch so ein bisschen dieses Bild an die Wand geworfen, dass man nur noch Regionalexpress fahren dürfte und vegetarische Wurst essen darf. Wie kommt man aus diesem Vermittlungsproblem raus?
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks
    Die Wahrscheinlichkeit, dass Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mit einem Klimaplan nach Marrakesch fahre, sei "inzwischen bei null", sagte Anton Hofreiter im DLF. (imago stock&people)
    Hofreiter: Ich glaube, es ist gar kein Vermittlungsproblem, sondern es ist ganz stark ein Politikproblem. Nämlich wenn Sie die Menschen fragen, die wollen erneuerbare Energien. Wenn sie die Menschen fragen, die wollen Nullemissionsautos. Aber das kann der einzelne Mensch halt entsprechend schwer entscheiden. Nämlich der einzelne Mensch kann nicht allein als Konsument für die Abschaltung der Kohlekraftwerke sorgen, er kann nicht für das Ende des Verbrennungsmotors sorgen und er kann nicht für eine nachhaltige Landwirtschaft, wie zum Beispiel durch eine gerechtere Verteilung der Milliardensubventionen sorgen. Dafür wäre die Bundesregierung verantwortlich. Dafür wäre die Parlamentsmehrheit verantwortlich.
    Und dafür muss man Gesetze verändern. Und diese Gesetze, die man verändert, da legt man sich mit mächtigen Interessensgruppen an. Und das verweigert diese Bundesregierung. Das verweigert Herr Gabriel im Bereich der Energiepolitik, das verweigert Herr Schmidt im Bereich der Landwirtschaftspolitik und das verweigert Herr Dobrindt im Bereich der Mobilitätspolitik.
    "Das wird als echter Klimaschutzplan nicht klappen"
    Lindner: Wenn man sich jetzt den Zeitplan anschaut, nicht nur auf diese Woche schaut, sondern auf nächste Woche schaut, wird es ja spätestens ab dem Montag dann wirklich interessant. Da beginnt ja die nächste Klimaschutzkonferenz von Marrakesch. Da geht es auch darum, einmal zu schauen, wie können die Ziele von Paris umgesetzt werden, wie geht man jetzt damit um.
    Eigentlich war ja immer das Ziel – im April gab es den ersten Vorstoß aus dem Umweltministerium mit diesem Klimaschutzplan –, wenn man den Koffer für Marrakesch packt, soll der Klimaschutzplan da drin liegen. Jetzt wird er sehr wahrscheinlich ja nicht da drin liegen. Es gibt so erste zarte Andeutungen, zum Beispiel aus dem Landwirtschaftsministerium, dass man sich vielleicht doch noch einigen könnte am Montag gibt es noch mal eine Runde.
    Ich würde gerne mit Ihnen eine kleine Wette abschließen: Wie wahrscheinlich wird es sein, dass Barbara Hendricks mit Klimaschutzplan nach Marrakesch fährt?
    Hofreiter: Ich glaube, die Wahrscheinlichkeit ist nur noch bei zehn bis 15 Prozent. Und ich glaube, die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit einem Klimaschutzplan nach Marrakesch fährt, auf den sie stolz sein kann und wo sie sich nicht vor der Weltgemeinschaft schämen muss, die Wahrscheinlichkeit ist inzwischen bei null.
    Lindner: Also das heißt, Sie würden sogar um eine Fahrt im Regionalexpress wetten, dass es nicht klappt?
    Hofreiter: Das wird als echter Klimaschutzplan nicht klappen, nein.
    Lindner: Was mich dann interessieren würde ist, das ist ja jetzt erst mal das, was uns in Deutschland sozusagen innenpolitisch beschäftigt. Es gibt ja aber auch noch sowas wie eine außenpolitische Variante der Klimapolitik. Und es gibt ja auch sowas wie ein Innovationswettlauf. Ab wann kommt denn eigentlich der Punkt, wo innovative Klimapolitik vielleicht in Peking gemacht wird, vielleicht in Washington gemacht wird und halt eben nicht mehr in Berlin gemacht wird? Oder haben wir diesen Punkt schon erreicht?
    Hofreiter: Diesen Punkt haben wir in einigen Sektoren schon erreicht. Wir haben inzwischen Länder, wo Photovoltaikanlagen für drei Cent die Kilowattstunde in Betrieb gehen. Wir haben Länder, die die Elektromobilität stark fördern. Wir haben Länder, wo deutlich mehr Ausbau von erneuerbaren Energien ist als bei uns.
    Das führt am Ende dazu, dass auch die Gefahr besteht nicht nur, dass Deutschland endgültig als Nachzügler angesehen wird, sondern es besteht die Gefahr, dass wir den großen Innovationsvorsprung, den wir da in einigen Bereichen hatten, endgültig verlieren. Und das wird am Ende Arbeitsplätze kosten, nicht zuletzt ganz massiv in der Autoindustrie, nämlich es ist bereits jetzt absehbar, dass die Dieseltechnologie eine Sackgasse ist. Die wird in den USA nicht gekauft, die wird in China nicht gekauft, in Indien werden Dieselautos in einigen Städten perspektivisch verboten, auch Paris und London kündigen solche Verbote an. Und das wird dann sehr, sehr bitter für Deutschland, wenn diese Bundesregierung weiter zuschaut, wie diese Autoindustrie in die Sackgasse läuft und Arbeitsplätze massiv gefährdet.
    "Regierung hat offensichtlich nicht mitgekriegt, dass Elektromobilität boomt"
    Lindner: Ich würde gerne noch mal zurückkommen auf dieses Thema "Blockadehaltung". Weil ich meine, dass, was Sie gerade beschrieben haben, das steht ja in der Zeitung und es ist ja auch davon auszugehen, dass auch die Wirtschaftspolitiker der CDU Zeitung lesen, dass auch in den Ministerien Zeitung gelesen wird, dass man sich dieser Entwicklung ja durchaus bewusst ist, auch auf der internationalen Ebene. Ich würde gerne da noch mal zurück, und zwar nicht nur auf die politische Blockadehaltung schauen, sondern auch auf das schauen, was auch durchaus in – na ja – gesellschaftlichen Gruppen ventiliert wird, wo gesagt wird: 'Ja, es ist eine verkorkste Energiewende', 'Wir werden jetzt hier zum Energiesparen gezwungen', 'Der Staat will mich zu irgendwas zwingen'. Wie geht man denn damit um? Es ist ja auch sozusagen so ein Groll, so ein innerer Widerstand, den es ja bei einigen Bürgern auch gibt.
    Hofreiter: Indem man gute Politik macht. Nämlich so, wie diese Bundesregierung das anpackt, kann man den Groll der Leute am Ende auch verstehen. Erneuerbare Energien werden ständig kostengünstiger, die Leute haben das Gefühl, sie bezahlen trotzdem mehr. Das heißt, da braucht es auch dringend entsprechende Reformen im Bereich der Politik. Oder nehmen Sie das an, was die Bundesregierung anstellt bei emissionsfreiem Fahren. Die Bundesregierung hat offensichtlich noch nicht einmal mitgekriegt, dass Elektromobilität boomt, allerdings in Deutschland nur auf dem Zweirad. Das ist der Bereich, wo sich die Bundesregierung nicht drum kümmert. Wo sie sich drum kümmert – singulär –, ist um Elektroautos, die liegen wie Blei, weil es keine abgestimmte Gesamtstrategie von Seiten der Bundesregierung gibt.
    "Wir bereiten uns darauf vor, die große Koalition abzulösen"
    Lindner: Auf das Thema Elektromobilität komme ich gleich noch mal zu sprechen. Ich würde aber jetzt gerne beim Thema "Koffer packen" noch mal weitermachen. Und zwar die Grünen – auch Sie – werden ja in der nächsten Woche auch die Koffer packen und nach Münster fahren, alle zusammen, zum Bundesparteitag. Ich würde gerne jetzt mal darauf blicken, in welcher Stimmung man da so hinfährt.
    Es gibt ja gerade den Urwahlprozess, in mehreren Städten hat es Urwahlforen gegeben. Wenn man sich das angeschaut hat, merkte man: Da ist ja eigentlich ... die Säle sind voll, die Stimmung ist irgendwie ganz gut, man feiert sich ja auch so ein bisschen selber.
    Und dann kommen dann so Stimmen, wie jetzt in dieser Woche in der ARD. Da konnte man dann den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann, sehen. Der hat gesagt: "Ich wüsste niemanden, der diesen Job besser machen könnten als sie", und er hat damit Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeint. Hatten Sie da irgendwie das Gefühl, dass Sie die ganzen Urwahlforen, Papiere, Strategiepapiere einfach in den Schredder tun können, weil es eh schon gelaufen ist?
    Hofreiter: Nein, ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass da "eh schon etwas gelaufen ist", sondern wir bereiten uns darauf vor, die große Koalition abzulösen. Wir wollen entsprechend darlegen, dass ein Politikwechsel notwendig ist. Ein Politikwechsel bei der Europapolitik, ein Politikwechsel in den ökologischen Fragen – darüber haben wir schon geredet, wie zerstritten diese Bundesregierung ist und wie handlungsunfähig sie ist –, auch einen Politikwechsel beim Kampf um die offene Gesellschaft – nämlich, wenn man sich anschaut, wie CSU und CDU miteinander umgehen, so kann es da in dem Bereich nicht weitergehen. Und ich bin sehr optimistisch, dass dieser Politikwechsel, indem wir diese große Koalition ablösen, gelingt
    Lindner: Mich würde aber trotzdem noch mal interessieren, was Sie an diesem Abend gedacht haben bei so einem Statement von jemandem, der für die Grünen regiert, so offensichtlich Angela Merkel zu unterstützen.
    Hofreiter: An dem Abend habe ich was ganz Anderes gedacht. Nämlich an dem Abend hatte ich eine Abendveranstaltung zum Thema "Diskriminierung von Sinti und Roma", da hatten wir sechs Nazis im Raum und mussten die Polizei holen, um diese Abendveranstaltung vernünftig abzuhalten. Das war das, was mich da beschäftigt hat. Und es beschäftigt mich nicht konstant, was einzelne Vertreter entsprechend über Frau Merkel sagen. Nämlich Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident, ist Ministerpräsident in einer Koalition mit der CDU und muss deshalb da völlig anders agieren wie wir. Für mich ist Frau Merkel im Moment keine gute Kanzlerin. Sie ist nicht einmal in der Lage, einen Klimaschutzplan zu verabschieden, der irgendwie diesen Namen verdient.
    Lindner: Aber jetzt trotzdem noch mal nachgefragt: Ärgert Sie sowas? Es hat ja auch für Groll gesorgt.
    Hofreiter: Nein, mich ärgert so etwas schon lange nicht mehr. Denn ich weiß schon seit vielen Jahrzehnten, dass wir eine sehr, sehr plurale Partei sind, wo es Stimmen immer aus unterschiedlichsten Richtungen zu unterschiedlichsten Positionen gibt. Wenn ich mich da immer noch ärgern würde, dann käme ich zu nichts Vernünftigem mehr.
    Lindner: Ich habe mich dann irgendwie gefragt, ist so was vielleicht auch Kalkül, ist das irgendwie vielleicht auch abgesprochen, um die Breite der Partei ein bisschen besser darzustellen?
    Hofreiter: Nein, ich glaube nicht. Die besondere Stärke von Winfried Kretschmann ist ja, dass er eben kein kühl kalkulierender Politiker ist, sondern entsprechend das sagt, was er in dem Moment gerade glaubt. Das ist eine große Stärke, was Glaubwürdigkeit angeht, aber führt halt auch dazu, dass die Partei manchmal sehr plural ist.
    "Wir halten nichts davon, immer wieder Namen öffentlich zu verbrennen"
    Lindner: Sie hören den Deutschlandfunk, das Interview der Woche, mit Anton Hofreiter, Ko-Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Hofreiter, lassen Sie uns noch mal ein bisschen bei den Farbenspielen bleiben. Es gibt da nämlich noch eine andere Dauerbaustelle, in die aber vielleicht jetzt ein bisschen mehr Bewegung kommt. Am Sonntag, da sitzen nämlich Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, also die Spitzen der großen Koalition zusammen und es soll – man könnte jetzt fast einschieben 'wieder einmal' – um einen Bundespräsidenten-Kandidaten gehen.
    Meine Frage wäre jetzt: Sigmar Gabriel hat ja schon den Vorstoß mit dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier gemacht, würden die Grünen das mittragen?
    Hofreiter: Frank-Walter Steinmeier ist eine respektable Person, aber wie wir schon oft gesagt haben, halten wir nichts davon, immer wieder neue Namen entsprechend öffentlich zu verbrennen. Ich glaube, dass das Frank-Walter Steinmeier auch nichts nutzt. Wen wir am Ende vorschlagen oder mittragen, das entscheiden wir in Ruhe.
    Lindner: Na ja, es gab ja jetzt schon so einen ersten Vorstoß auch von der Linken. Da hat die Linken-Fraktionschefin Wagenknecht angedeutet, dass sie Steinmeier sich vorstellen könnte. Wäre es nicht langsam Zeit, da mal sich zu entscheiden?
    Hofreiter: Die Wahl ist im Februar, ich sehe da diese Eile noch nicht. Nein, ich persönlich bin auch der Meinung, dass es im 21. Jahrhundert langsam mal Zeit wäre, dass wir eine Frau finden würden für diesen Posten.
    Lindner: Gut, Frank-Walter Steinmeier ist ja jetzt keine Frau.
    Hofreiter: Ja, offensichtlich.
    "Ich glaube nicht, dass wir uns da eine Chance vergeben"
    Lindner: Aber was ich mich auch frage ist: Haben Sie nicht das Gefühl – Sie sagen jetzt: 'Ja, wir wollen jetzt keine Namen verbrennen', man könnte aber auch sagen, man zögert –, haben Sie das Gefühl, dass sich die Grünen da eine Chance vergeben ein bisschen mitzumischen, eigene Akzente zu setzen? Oder haben Sie da irgendwas in der Hinterhand, von dem man vielleicht noch gar nichts weiß?
    Hofreiter: Nein, ich glaube nicht, dass wir uns da eine Chance vergeben. Ich kann bis jetzt zum Beispiel auch nicht erkennen, dass die CDU eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorgeschlagen hat. Man muss da nicht immer als Allererster mit möglichst vielen Namen auf dem Markt sein.
    Lindner: Finden Sie es enttäuschend, dass es jetzt keinen ausgewiesenen Rot-Rot-Grünen-Kandidaten gibt, um mal so ein Zeichen zu setzen und zu sagen: 'Hey, das können wir'?
    Hofreiter: Ich hielte das sogar für ausgesprochen falsch, ausgerechnet die Position des Bundespräsidenten für Koalitionsoptionen zu benutzen. Koalitionsoptionen sind was sehr, sehr Wichtiges, aber die Person, die da gewählt wird, muss durch das Wort wirken und sollte eine Person sein, die aus sich selbst entsprechend was darstellt und sollte kein Zeichen für bestimmte Koalitionen sein.
    Lindner: Ich würde gerne noch mal zurückkommen zum Parteitag vom 11. bis zum 13. November dann in Münster. Es wird dort einen interessanten Redner geben, der am Sonntag auftritt, der auch schon für Widerworte, Unwillen, Kritik gesorgt hat im Vorfeld, das ist der Daimler-Chef, Dieter Zetsche. Der soll über die Zukunft von Verkehr und Mobilität sprechen. Und Teil der Kritik war auch, dass die einen das sozusagen als Coup gefeiert haben und gesagt haben: "Hey, super, der kommt zu den Grünen, weil bei den Grünen die Zukunft der Mobilität verhandelt wird."Die anderen haben gesagt: 'Na ja, Moment, dieser Herr ist eigentlich Teil des Problems und nicht so sehr Teil der Lösung.' Was ist denn jetzt Herr Zetsche nun Ihrer Ansicht nach?
    Hofreiter: Es stimmt schlichtweg beides. Bei uns wird darüber diskutiert, wie die Zukunft der Mobilität aussieht und da muss man entsprechend mit den Chefs auch der großen Autokonzerne darüber sprechen. Allerdings muss man auch sich klar sein: Mobilität ist nicht bloß Automobilität, sondern viel, viel mehr, von Bahn bis zu Fuß gehen, von Stadtgestaltung bis ÖPNV.
    Lindner: Also auch Regionalexpress zum Beispiel?
    Hofreiter: Auch Regionalexpress. Aber Herr Zetsche, so wie die Autoindustrie im Moment aufgestellt ist, ist sie leider Teil des Problems, weil sie nicht die großen Chancen erkennt bis jetzt, die in Elektrifizierung, die in Emissionsfreiheit, die in Digitalisierung liegen und stattdessen der Konkurrenz aus USA und Asien hinterherfährt.
    Lindner: Ich habe in der Vorbereitung zu diesem Interview dann eine ganz interessante Meldung noch gesehen. Und zwar, das ist von Ende Oktober 2016 – wo ja die Einladung auch schon stand –, wo angekündigt wurde, dass Daimler 1,1 Milliarden Euro in die Entwicklung von Diesel stecken wird und 1,9 Milliarden Euro in eine geplante Neuauflage von Benzinmotoren. Also, nach Verkehrswende, Elektrifizierung sieht das ja jetzt überhaupt nicht aus.
    Hofreiter: Nein, danach sieht es in Teilen überhaupt nicht aus. Und das ist nicht nur umweltpolitisch und gesundheitspolitisch eine Gefahr, sondern es ist auch eine massive industriepolitische Gefahr. Nämlich wenn man sich anschaut, was im Rest der Welt los ist, besteht die Gefahr, dass im Jahr 2030 weltweit emissionsfreie Autos gebaut werden und verkauft werden und in Deutschland auch emissionsfreie Autos gekauft werden, aber hier keine Autos mehr gebaut werden, weil nämlich die Autoindustrie die Trends verschlafen hat und in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist und bis so in Richtung Bankrott gegangen.
    "Denkanstöße für Herrn Zetsche"
    Lindner: Glauben Sie denn, dass Sie Herrn Zetsche dann am 13. November werden überzeugen können?
    Hofreiter: Ich hoffe, dass es zumindest Denkanstöße für ihn gibt. Es stehen große Sprunginnovationen an: Elektrifizierung, Digitalisierung. Und wenn man sich Geschichte, Industriegeschichte anschaut, dann haben viele Unternehmen Sprunginnovationen nicht überlebt. Jüngstes Beispiel ist Nokia, die haben in dem Jahr bevor sie Bankrott gegangen sind die meisten Handys verkauft. Daimler macht im Moment noch gute Gewinne, auch VW und BMW, aber die müssten jetzt mutig sein und entsprechend große Summen investieren in moderne und neue Technologie, wie das andere Autokonzerne tun. Aber das trauen sie sich nicht, diese Entscheidung fällt nicht.
    "Man muss was dafür tun, dass die Autoindustrie die Zukunft nicht verschläft"
    Lindner: Das ist ja interessant. Das heißt, Sie machen jetzt den Daimler-Nokia-Vergleich auf, letzte Woche hat Cem Özdemir den Wolfsburg-Detroit-Vergleich aufgemacht. Also, man wird da jetzt ein bisschen plakativer in seiner Sorge auch um die Autoindustrie.
    Hofreiter: Ja, nämlich CDU/CSU und SPD betonen immer, es ist die wichtigste Industrie Deutschlands. Ja, das stimmt ja sogar, aber dann muss man halt auch mal was dafür tun, dass die entsprechend nicht komplett die Zukunft verschläft.
    Lindner: Lassen Sie uns noch bei einem Aspekt der Verkehrspolitik bleiben, der sich auch in dieser Woche abgespielt hat und auch für eine kleine Überraschung gesorgt hat, so ein kleines Knallbonbon vielleicht auch war. Aus Brüssel kam jetzt die Nachricht, dass möglicherweise die Pkw-Maut doch zulässig ist. Es soll eine umweltpolitische Komponente auch da drin sein – das ist doch eigentlich dann eine gute Nachricht für Sie, oder?
    Hofreiter: Ich weiß nicht, was daran eine gute Nachricht sein soll. An einem Modell, dass nach allem, was wir bis jetzt erkennen können, mindestens so hohe Kosten verursacht, wie Einnahmen, das heißt, für die Öffentliche Hand ein Nullsummenspiel ist und am Ende vielleicht noch vor dem EuGH scheitert.
    Ich meine, wenn ich schon eine Maut einführe, dann mag eine kleine Umweltkomponente nett sein, aber wenn ich schon eine Maut einführe, dann sollte sie doch wenigstens Geld einspielen und nicht genauso hohe Kosten wie Einnahmen verursachen.
    Pkw-Maut: "Leider kein Erfolg"
    PKW fahren am 30.10.2014 auf der Autobahn 352 in der Region nördlich von Hannover (Niedersachsen) unter einer Mautbrücke durch.
    Anton Hofreiter: Pkw-Maut ist "für die Öffentliche Hand ein Nullsummen-Spiel". (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    Lindner: Was ich mich gefragt habe ist, also die Zahl der Kritik, auch harschen Kritik der Grünen am Verkehrsminister, also dem CSU-Mann Alexander Dobrindt, damit kann man ja ganze Bücher füllen, gönnen Sie dem Herrn Dobrindt diesen Erfolg nicht?
    Hofreiter: Es ist leider kein Erfolg. Nämlich ich kann nicht erkennen, wo der Erfolg daran liegt an einer Maßnahme, die vor allem dazu dienen soll, Geld zu generieren, und die am Ende dann kein Geld generiert, am Ende sogar für den Staat weniger Einnahmen bringt. Weil die Kfz-Steuer wird gesenkt, die Bürokratiekosten kommen dazu und die Einnahmen werden aufgefressen von den Bürokratiekosten – das ist doch absurd.
    Steuerpolitik: "Ich rechne mit vernünftigen Ergebnissen"
    Lindner: Sie haben eigentlich gerade schon die Brücke gebaut zum Thema Staatseinnahmen, da spielt natürlich auch die Steuer eine Rolle. Eine Quelle für diese Staatseinnahmen könnte eine Vermögenssteuer sein, könnte die Erbschaftssteuer sein. Aber selbst innerhalb der Grünen ist man sich ja im Moment überhaupt nicht einig darüber, wie hoch welche Steuer ausfallen soll. Glauben Sie dann, dass auf der Bundesdelegiertenkonferenz da bei diesen ganz unterschiedlichen Ansätzen, die es da gerade in der Partei gibt, irgendwie eine Einigung herbeigeführt werden kann?
    Hofreiter: Ich glaube, dass da eine Einigung herbeigeführt werden kann und ich sehe auch nicht, dass man sich da so völlig uneinig ist. Denn Katrin Göring-Eckardt und ich, wir haben einen guten Kompromiss vorgeschlagen, unter dem ganz ganz viele Menschen aus dieser Partei vertreten sind. Da sind Menschen aus Bayern, aus Baden-Württemberg, aus Nordrhein-Westfalen, aus Hessen, aus Berlin mit dabei. Dass es nicht immer einfach ist, alle unter einen Kompromiss zu kriegen, ist klar, aber es ist ein sehr, sehr breit getragener Kompromiss, und ich rechne fest damit, dass wir am Ende dann zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
    Lindner: Die Steuerpolitik wird vielleicht auch deshalb mit größerer Nervosität betrachtet als andere Politikfelder, weil sie ja 2013 schon für ein sehr schlechtes Bundestagswahlergebnis gesorgt hat. Wie groß ist denn das 2013er Steuertrauma bei den Grünen?
    Hofreiter: Ich glaube, dass das überhaupt kein Trauma mehr ist. Nämlich das schlechte Wahlergebnis von 2013 hatte auch mit vielen anderen Dingen zu tun, wie zum Beispiel der fehlenden Machtoption. Aber ich glaube, dass es einfach wichtig ist in der Steuerpolitik, dass man dafür sorgt, dass Steuerpolitik einfach eine starke Gerechtigkeitskomponente hat. Und bei uns zahlt die Mittelschicht einen Großteil der Steuern und es gibt eine dünne Schicht von extrem Reichen, die nicht entsprechend zur Finanzierung dieses Staates ausreichend beitragen.
    Türkei: "Die Bundesregierung müsste sich sehr, sehr deutlich äußern"
    Lindner: Lassen Sie uns mal von der deutschen Innenpolitik noch mal auf die Außenpolitik blicken. Und da hat uns die Türkei in dieser Woche gleich mehrfach beschäftigt und es waren eher besorgniserregende Nachrichten, die von dort kamen.
    Es ging los mit der Festnahme von Journalisten einer Oppositionszeitung, jetzt wurde die Festnahme von Mitgliedern der pro-kurdischen HDP vermeldet. Wie sollte die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach auf diese Entwicklungen reagieren? Die Kanzlerin hat ja gesagt: "Wir sind alarmiert", aber was muss jetzt folgen Ihrer Ansicht nach?
    Hofreiter: Die Bundesregierung müsste sich sehr, sehr deutlich äußern und müsste entsprechend sich aus der Abhängigkeit der Türkei befreien. Wir haben den Deal über die Geflüchteten mit der Türkei von Anfang an kritisiert; wenn man nämlich zu einem Teil seiner Werte nicht steht, dann verliert man am Ende auch die Glaubwürdigkeit, die anderen Werte zu vertreten. Und in dieser Falle ist die Bundesregierung, in dieser Falle ist jetzt Europa. Weil Europa nicht in der Lage war, die Geflüchteten bei sich aufzunehmen und bei 500 Millionen Einwohnern zu verteilen, da hat man sich erpressbar gemacht durch die Türkei. Und diese Erpressbarkeit zeigt jetzt ihre schreckliche Wirkung. Das heißt: 'Raus aus der Erpressbarkeit!', kann man nur der Bundesregierung zurufen. Und die CSU sollte endlich ihre Politik verändern, nämlich die sind eine der Hauptverantwortlichen dafür, dass Deutschland und Europa in diese Erpressbarkeitsfalle gegangen ist.
    "So einen Deal kann man nicht aufrecht erhalten"
    Lindner: Also wollen Sie den Deal beenden, das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen?
    Hofreiter: Das Türkei-Flüchtlingsabkommen führt dazu, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, entsprechend klar zu protestieren und klare Position zu beziehen, wenn es um Pressefreiheit geht, wenn es um Menschenrechte geht und wenn es um die Rechte der oppositionellen Abgeordneten geht. Und so einen Deal kann man dann nicht aufrechterhalten.
    Lindner: Wann sollte sie den beenden?
    Hofreiter: Die Bundesregierung sollte deutlich machen, dass jetzt die Journalisten freigelassen werden müssen, dass jetzt entsprechend die Abgeordneten freigelassen werden und sollte entsprechen klar protestieren. Und wenn die Türkei ihn dann beendet oder nicht beendet, dann muss sich entsprechend Europa endlich darauf vorbereiten – das müsste es schon länger –, dass man mit dem Geflüchteten-Problem selber konstruktiv umgeht. Wir haben 500 Millionen Einwohner in Europa und sind nicht in der Lage, eine Million Geflüchtete in Europa unterzubringen – da kann man natürlich einem Land wie die Türkei gegenüber nicht mehr entsprechend selbstbewusst auftreten.
    "Hochgradig skeptisch", ob der Einsatz in Incirlik "Sinn macht"
    Lindner: Die Türkei ist ja NATO-Partner. In der kommenden Woche steht auf der Tagesordnung des Bundestages noch die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz in Incirlik an. Jan van Aken von der Linkspartei beziehungsweise von der Linksfraktion hat jetzt gesagt, dass es keine Verlängerung geben dürfe. Wie stehen Sie denn dazu? Wie werden Sie sich verhalten?
    Hofreiter: Das Ganze ist alles hochproblematisch, weil nämlich das Verhalten der Türkei das nicht einfacher macht. Aber man muss sich, wie gesagt, entsprechend die Einsätze genau anschauen. Aber ich bin bei diesem Einsatz hochgradig skeptisch, ob der in der Form irgendeinen Sinn macht.
    Lindner: Wie wird Ihre Fraktion sich dann verhalten?
    Hofreiter: Das entscheidet unsere Fraktion immer kollektiv. Ich sehe eine große Skepsis in der Fraktion, diesem Einsatz gegenüber.
    Lindner: Die Linke ist ja da ein bisschen konkreter. Sevim Dağdelen hat schon gefordert, dass die Bundeswehr abgezogen werden soll, dass auch Waffenlieferungen eingestellt werden sollen. Wie bewerten Sie diese Vorstöße aus der anderen Oppositionsfraktion?
    Hofreiter: Waffenlieferungen an die Türkei sind in der Form abzulehnen. Wir können nicht sicherstellen, dass die Türkei die Waffen nicht am Ende gegen die Kurden einsetzt. Die Tatsache, dass die Bundeswehr in Incirlik ist, ist auch nicht einfach. Ich halte es für insbesondere problematisch, dass der Stützpunkt jetzt weiter ausgebaut wird, nämlich das erhöht auch am Ende auch die Erpressbarkeit.
    "Die Türkei ist unter Erdoğan immer weniger ein Partner"
    Lindner: EU-Beitrittskandidat, NATO-Partner - ist denn die Türkei überhaupt noch ein Partner für Deutschland, für Europa? Ja oder Nein?
    Hofreiter: Die Türkei ist, so wie sich im Moment entwickelt unter Erdoğan, immer weniger ein Partner. Man müsste jetzt versuchen, entsprechend die oppositionellen und demokratischen Kräfte, die es in der Türkei gibt, zu stärken. Leider hat man über Jahre, auch getrieben durch den Deal mit den Geflüchteten, entsprechend das Gegenteil gemacht.
    Lindner: Anton Hofreiter war das, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Vielen Dank.
    Hofreiter: Ich sage Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.