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Elektronenmasse
Winzling auf der Waage

Teilchenphysik. - Das Elektron zählt zu den prominentesten Vertretern des Teilchenzoos in der Physik. Es baut die Atomhülle auf und ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil unserer Materie. Deshalb sind die Physiker höchst interessiert, es so präzise wie es nur geht zu vermessen. Einen neuen Präzisionsrekord haben nun Forscher aus Heidelberg zustande gebracht: Sie haben die Masse des Winzlings so genau wie nie zuvor bestimmt. Vorgestellt haben sie ihr Resultat auf der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die in dieser Woche in Berlin stattfindet.

Von Frank Grotelüschen | 20.03.2014
    Wie wägt man das Elektron – also ein Teilchen, das für die Maßstäbe des Alltags unvorstellbar leicht ist, und zwar:
    "Das Milliardstel eines Milliardstel eines Milliardstel Gramms."
    Mit einer herkömmliche Waage geht das natürlich nicht, sagt Klaus Blaum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Stattdessen braucht es eine hochempfindliche Spezialapparatur – eine regelrechte Falle für Atome und für subatomare Teilchen, wie es das Elektron ist. Penningfalle, so heißt die Apparatur im Fachjargon – ein handliches Gestell, im Zentrum ein zigarrengroßes Röhrchen aus vergoldetem Kupfer, in dem elektromagnetische Felder die eingefangenen Teilchen in der Schwebe halten. Damit diese Teilchen nicht mit Luftmolekülen zusammenstoßen, ist das Röhrchen evakuiert, also luftleer gepumpt.
    "Und zwar besser als man’s heute im Weltall erreichen kann. Und damit gelingt es uns, bis zu Monaten oder Jahren die Teilchen zu speichern."
    Das Entscheidende: Die eingesperrten Teilchen stehen nicht still, sondern tigern in ihrem Käfig hin und her und ziehen mit aberwitzigem Tempo winzige Kreise. Wie viele Runden sie dabei pro Sekunde drehen, lässt sich mit Spezialsensoren präzise feststellen. Um nun herauszufinden, wie schwer das Elektron ist, kann man seine Umlaufzahl abgleichen mit der eines geladenen Kohlenstoffatoms. Das nämlich dient in der Physik als eine Art Standardgewicht. Im Prinzip also ein Massenvergleich ähnlich wie dem auf einem Marktplatz, wenn der Obstverkäufer seine Apfelsinen per Balkenwaage abwiegt. Bei einem Winzling wie dem Elektron aber taugt diese Methode nur bedingt, sagt Klaus Blaum.
    "Das ist dadurch begrenzt, dass das Elektron so leicht ist. Wenn man den Vergleich bringt: Man hat eine Balkenwaage, auf der auf der einen Seite ein Elefant sitzt, und man möchte damit einen Hasen auf der anderen Seite wiegen. Dann merkt man sofort: Das kann nicht gut funktionieren."
    Denn das Kohlenstoffatom – der Elefant – ist rund 20.000 Mal schwerer als das Elektron – also der Hase. Deshalb ließen sich Blaum und seine Kollegen eine neue, raffiniertere Variante einfallen. Und zwar brachten sie Elektron und Kohlenstoffatom nicht nacheinander in die Falle ein, sondern gleichzeitig – wobei das Elektron an den Kohlenstoffkern gebunden war und ihn umschwirrte wie die Motte das Licht. Dabei geriet das Elektron ein klein wenig ins Taumeln. Dieses Taumeln konnten die Heidelberger Physiker sehr genau messen. Und indem sie die Messwerte von Taumelbewegung und Kreiselbewegung kombinierten, konnten die Physiker mit den Formeln der Quantenmechanik extrem präzise ausrechnen, wie viel das Elektron wiegt. Nun kennen sie seine Masse bis auf die elfte Nachkommastelle genau.
    "Auf der makroskopischen Skala bedeutet das, dass wir den Unterschied messen können, ob ein Airbus 380 startet, oder ob er startet mit einer zusätzlichen Mücke an Bord."
    Die Masse des Elektrons liegt natürlich immer noch im Bereich von unvorstellbaren 10 hoch -30 Kilogramm. Aber nun weiß man sie 13 Mal genauer als zuvor, sagt Klaus Blaum.
    "Das ist sicherlich ein Durchbruch auf dem Gebiet der Präzisionsexperimente."
    Und wofür ist der neue Rekordwert gut? Nun, das Elektron ist eines der wichtigsten Elementarteilchen überhaupt, ein zentraler Baustein des Werkzeugkastens der Natur.
    "Das Elektron bestimmt quasi alle Prozesse, die in unserer Umgebung ablaufen: Chemische Prozesse, biologische Prozesse, physikalische Prozesse basieren auf dem Elektron. Darin gehen die Eigenschaften des Elektrons ein. Und die Masse ist nun mal eine charakteristische Eigenschaft."
    Wenn Physiker also künftig Berechnungen anstellen, für die sie den genauen Wert der Elektronenmasse brauchen, werden sie fortan deutlich präzisere Resultate erhalten – der zigarrengroßen Röhrchenfalle aus Heidelberg sei Dank.