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Elektronische Literatur
"E-Books sind literarische Parallelwelt"

E-Books und haptische Bücher sollte man wie Kinofilme und Fernsehefilme betrachen: Beide Medien haben eine gemeinsame Wurzel und durch die technischen Möglichkeiten haben sich dazu Parallelwelten entwickelt, sagte Elke Heinemann, Kolumnistin und E-Book-Expertin, im DLF. Aus ihrer Sicht sind E-Books ein temporäres Phänomen.

Elke Heinemann im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 14.10.2015
    Elke Heinemann ist mit dem E-Book "Nichts ist, wie es ist" für den Deutschen E-Book-Award 2015 nominiert.
    Elke Heinemann ist mit dem E-Book "Nichts ist, wie es ist" für den Deutschen E-Book-Award 2015 nominiert. (imago/Horst Rudel)
    Maja Ellmenreich: Zu Beginn dieser Sendung wollen wir über E-Books sprechen, die sich weiterhin wachsender Beliebtheit unter deutschen Lesern erfreuen, wenn auch die Wachstumsdynamik, wie es so schön heißt, stagniert. Wir wollen nicht über Zahlen sprechen, sondern über Inhalte. Die Zeiten nämlich, da ein E-Book einfach nur ein gedrucktes Buch in Digitalform war, die sind vorbei. Oder, um es mit den Worten meiner Gesprächspartnerin Elke Heinemann zu sagen, die ich ganz herzlich bei mir hier auf der Bühne begrüßen möchte: Ein Buch ist ein Buch und ein E-Book ist kein Buch. Elke Heinemann ist Schriftstellerin und Publizistin. Sie berichtet monatlich im "FAZ"-Feuilleton von ihren E-Lektüren. Das sind Kolumnen aus der E-Book-Welt. Und auch selbst ist sie digital-schriftstellerisch aktiv. Elke Heinemanns sogenanntes Kriminalrondo "Nichts ist, wie es ist" wurde in der Kategorie Fiction für den deutschen E-Book Award 2015 nominiert, der morgen Abend hier auf der Buchmesse verliehen wird.
    Frau Heinemann, was heißt das, ein E-Book ist kein Buch? Ist das mehr als ein Buch, ist das weniger als ein Buch, oder ist das einfach was komplett anderes?
    Elke Heinemann: Ich würde sagen, es ist etwas komplett anderes. Natürlich kann ein E-Book, wie Sie selber schon angedeutet haben, die Digitalversion eines gedruckten Buches sein, aber durch die technischen Möglichkeiten gibt es ganz andere Texte auch unter Umständen. Mein E-Book ist da sicher ein Beispiel. Aber es gibt auch viele andere Sachen, die ich beispielsweise auch schon in der "FAZ" vorgestellt habe. Ich habe gesprochen über literarische Blogger, ich habe gesprochen über Experimente, Autoren, die haben beispielsweise einen eigenen Logarithmus erfunden, um zu sehen, dass sie Texte neu generieren, anders zusammensetzen. Das heißt, es gibt Möglichkeiten, die es im gedruckten Bereich entweder gar nicht gegeben hat, oder, wenn es sie gegeben hat - man denke an Projekte von Raymond Kenot beispielsweise -, dann sind die doch wesentlich schwerer umzusetzen gewesen als Buch.
    Ellmenreich: Das heißt, es gibt so eine Art literarische Parallelwelt, die auf bedrucktem Papier vielleicht niemals erscheinen wird, ein eigener Kosmos, der mir verwehrt bleibt, wenn ich nicht einen E-Book-Reader mir zulege beziehungsweise auf das Medium E-Book umsteige?
    E-Book ist temporäres Phänomen
    Heinemann: Einiges davon werden Sie vielleicht nur digital rezipieren können. Das ist durchaus denkbar. Aber Sie brauchen dafür nicht unbedingt einen E-Reader, sondern Sie können ja auch mit dem Computer lesen. Es ist sowieso so, dass die Experten der Szene glauben, die E-Books sind ein temporäres Phänomen. Irgendwann lesen wir alle digital, beziehungsweise wir lesen digitale Texte direkt im Internet. Das ist ja die Entwicklung, die beispielsweise auch durch Sascha Lobos "Sobooks" vorgegeben wird.
    Ellmenreich: Sprechen wir trotzdem weiterhin von den E-Books, auch wenn vielleicht die Reader eines Tages nicht mehr unter uns sein werden. Ist das E-Book auch vielleicht so was wie ein Testmedium nach dem Motto, wenn der Text von den digitalen Lesern ganz gut angenommen wird, dann wird er vielleicht auch den bibliophilen Papierlesern eines Tages zusagen?
    Heinemann: Ja, das gibt es. Es gibt merkwürdige und berühmte Beispiele. "Fifty Shades of Grey" ist mit Sicherheit so eines. Aber es gibt auch andere Texte, die zunächst als E-Books gut angenommen worden sind und dann gedruckt wurden. Welche Entwicklung das nimmt, kann man nicht sagen. Ich würde sagen, es ist im Moment zumindest eine Parallelwelt. Es ist so zu sehen wie meinetwegen Filme, Kinofilme gibt es, daneben gibt es Fernsehfilme. Es gibt Brettspiele, Würfelspiele, daneben gibt es Videospiele. Das heißt, es hat eine gemeinsame Wurzel und durch die technischen Möglichkeiten hat sich eine Parallelwelt dazu entwickelt.
    Ellmenreich: Die hat sich jetzt ja über ein paar Jahre entwickelt. Der Direktor der Buchmesse, Jürgen Boos, der hat vor ein paar Tagen gesagt, das Thema Digitalisierung sei für Verlage und Buchhändler durch. E-Books seien in deutschen Verlagen und Buchhandlungen Realität. Können Sie das nach Ihrer Beobachtung bestätigen? Hat sich dieses Phänomen E-Book etabliert und kämpft keiner mehr dagegen an?
    Heinemann: Das glaube ich nicht. Sie haben ja vorhin gesagt, die Zahlen sprechen eigentlich nicht dafür. Ich denke, dass es ein zunehmendes Interesse am E-Book gibt oder an digitalen Texten. Ich würde eigentlich lieber von digitalen Texten sprechen als von E-Books. Aber zahlenmäßig macht sich das nicht bemerkbar, zumindest nicht, wenn es um die Literatur geht, über die ich spreche und über die ich schreibe, mit der ich mich beschäftige.
    Beim Handsbook kann der Leser die Reihenfolge bestimmen
    Ellmenreich: Sie sind - das habe ich vorhin schon erwähnt - mit Ihrem E-Book "Nichts ist, wie es ist" nominiert für den deutschen E-Book Award. Was für Textformen, was haben Sie anders gemacht für Ihr E-Book, als wenn Sie nur das haptisch so angenehme Papier bedruckt hätten?
    Heinemann: Es ist ein Künstlerbuch. Die Texte sind viel früher entstanden und der Zufall hat mich und diesen Verlag zusammengebracht, Cividale Verlag, der Interesse daran hatte, ein multimediales E-Book zu machen. Das ist es. Man nennt es auch ein "Hands E-Book" und deshalb ist es nominiert worden in dem Bereich. Es gibt es auch gedruckt als Künstlerbuch, weil es unter anderem Fotogramme der Berliner Fotografin Manuela Höfer enthält. Aber als Künstlerbuch ist es deshalb interessant, weil der Leser beispielsweise die Möglichkeit hat, selber die Reihenfolge zu bestimmen, dort einzusteigen, wo er selber lesen möchte oder auch hören möchte. Es hat auch eine Audioschiene. Das gab es, als die Texte entstanden sind, alles noch nicht. Man hätte damals nur eine Art Objekt bauen können, in einem Kunstbuchverlag vielleicht, aber da sind natürlich auch die Absatzmöglichkeiten sehr schlecht.
    Ellmenreich: Nun haben Sie Ihr E-Book geschrieben schon im Hinterkopf mit den vielen verschiedenen Möglichkeiten. Sie rezipieren aber auch E-Books. Nun stelle ich mir und damit Ihnen die Frage: Ist man nicht regelmäßig bei den E-Books auch viel zu abgelenkt, weil man noch dies anklicken kann, das sich noch ansehen kann? Ist das nicht ein ganz anderes Lesen, wenn man sich nicht auf den Fließtext nur konzentriert?
    Heinemann: Das ist mit Sicherheit ein Aspekt. Es kommt darauf an, wie Sie lesen wollen. Vergleichen wir das mal mit der Lektüre eines wissenschaftlichen Textes, der ja auch von Fußnoten durchsetzt ist. Was es aber auch im Literarischen gibt, wenn Sie beispielsweise an Umberto Eco "Der Name der Rose" denken. Da sind manchmal große Teile der Textseiten mit Fußnoten gefüllt. Es gibt auch im Druck experimentelle Sachen. Bruns hat mal so was gemacht. Verschiedene Autoren, die einen Paralleltext geführt haben, habe ich im Übrigen auch im Druck gemacht, und es ist jetzt sehr, sehr schwierig, das digitalisieren zu lassen. So etwas hat es immer gegeben und die Frage ist, auf was möchten Sie sich als Leser einlassen.
    Ellmenreich: Eine Frage, die man jedem Leser selbst ans Herz legen muss. - Elke Heinemann, Schriftstellerin, Publizistin und E-Book-Expertin, auch E-Book-Autorin. Haben Sie ganz vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.