Freitag, 29. März 2024

Archiv

Elektronische Musik
Der Drop im Pop

Eigentlich steht in Popsongs der Refrain oder Chorus im Mittelpunkt. Doch seit elektronische Musik wie Deep House, Tropical House oder Future Pop die Charts erobert, hat sich in der Struktur der Songs ein neuer Höhepunkt etabliert: der Drop.

Von Ina Plodroch | 01.12.2016
    Diskothekenbesucher feiern im Münchner Club "Rafael".
    Diskothekenbesucher feiern im Münchner Club "Rafael". (dpa / picture alliance / Felix Hörhager)
    "In der klassischen Form eines Popsongs hat man einen Vers und einen Chorus", erklärt der Musiker Gregor Schwellenbach. Er unterrichtet Pop-Arrangement an der Folkwang Universität der Künste in Essen. "Es gibt die Stelle, wo die Melodie markanter und bewegter wird. Und die Harmonien werden schöner, da geht die Sonne auf, dafür gibt es weniger Text, sondern so einen klaren Slogan."
    Aber neben diesen eingängigen Refrains, die sich im Ohr festsetzen, hat sich in den Charts ein zweiter Pop-Höhepunkt breitgemacht, sagt Schwellenbach: "Es gibt seit ein paar Jahren eine neue Struktur, mit der man Hits machen kann."
    Intro, Vers, Zwischenpart oder auch Build-up genannt und dann: der Drop!
    "Es ist der Höhepunkt von dem Stück, das kann man festhalten. Am treffendsten würde man sagen, dass es ein Drop ist."
    Der Drop ist wie der Refrain der elektronischen Musik. Wenn die Tänzer es sich etwas zu lange in der hypnotisierenden Monotonie der Beats gemütlich gemacht haben, weckt der DJ sie mit dem Drop wieder auf. Schwellenbach:
    "Man kann Frequenzen wegdrehen, dadurch baut sich eine Spannung auf und dann dreht man die Frequenzen wieder rein und dann freut man sich, dass sie wieder da sind. Wenn ich beim Reden so plötzlich meine Stimme weg mache und dann bin ich wieder da, schöner emotionaler Moment und das macht man als DJ und kann man als Produzent auch machen, man Instrumente wegnehmen und wegnehmen und dann kommen sie alle wieder und dann hat man Spannung aufgebaut und wieder aufgelöst."
    Club-Strukturen erobern die Charts
    Im Techno der 90er-Jahre oder im Berliner Berghain baut sich diese Spannung gerne mal stundenlang auf, sodass es vielleicht ein bis drei Mal pro Nacht droppt.
    "In den letzten Jahren, wo es Clubmusik gibt, die nicht für den Underground gemacht ist, sondern die ganz große Reichweite sucht, da ist diese Kunst des Spannungsaufbaus durch Sachen wegnehmen und auflösen, indem alles wieder zurück kommt, das ist sehr ausgefeilt worden."
    David Guetta, Calvin Harris, Robin Schulz lieben den Drop und lassen ihre Pophits gerne zwei-, dreimal spannend werden.
    "Man feilt daran, es so oft zu benutzen, wie es geht, ohne dabei billig zu wirken. Das ist ganz schwierig, aber EDM-Künstler kriegen das total hin, wie man das ausschlachten kann, ohne dass es übertrieben wirkt."
    Und weil Tropical House, Future Pop, Deep House so populär sind wie nie zuvor, scheint sich der Drop 2016 als ein neues Pop-Rezept etabliert zu haben.
    Aber Pop setzt weiterhin darauf, dass die Radiohörer mögen, was sie kennen. Und deshalb flirren in fast jedem Drop Stimmfetzen herum, so als könnten sich die Produzenten noch nicht ganz vom Mitsingpotenzial verabschieden.
    "Man nimmt sich ein Wort aus der Vocalspur vom Chorus und sampelt das benutzt es als Instrument. Es ist nicht nur so, dass die Hälfte der Hits in den Charts einen Drop haben, sondern die Hälfte von diesen Drop-Songs machen den Drop mit einem Stimmfetzen."
    Drops komponieren ist anspruchsvoll
    Ein typischer Popsong mit Chorus á la "She loves you yeah yeah yeah" ist musikalisch etwas anspruchsvoller als der Drop. Dass er es trotzdem oder gerade deshalb von der Tanzfläche in die Charts geschafft hat, ist für Gregor Schwellenbach ein Symptom der Demokratisierung der Musikproduktion.
    "Denn um einen Song zu komponieren, der den Höhepunkt durch veränderte Harmonien hat, braucht man eine Ausbildung, das ist sehr schwer, sich das selber beizubringen. Musik zu produzieren und dann Spannung auf- und abzubauen, einfach indem man Spuren ein- und ausschaltet, ist eher, was man tun kann, indem man sich eine Software runter lädt und Jahre lang übt. Das geht ohne Lehrer. Das ist eine Form von Demokratisierung der Musikproduktion, in der ist dann plötzlich nicht mehr die gelernte harmonische Komposition das ausschlaggebende Mittel, sondern die Skills im An- und Ausschalten von Spuren."
    Die verfügbaren Technik bestimmt den Pop. Aus Vers-Chorus-Pop wird Vers-Chorus-Drop-Pop. Hoffentlich bald ohne die schlumpfigen Stimm-Samples. Robin Schulz und David Guetta haben auch schon Streicher-Samples als Ersatz entdeckt.