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Elektronisches Klassenbuch
Erinnerungs-SMS für Schulschwänzer

In kaum einem Bundesland schwänzen so viele Jugendliche die Schule wie in Berlin. Ein elektronisches Klassenbuch mit Datensammlungen über die Schüler soll dort bald helfen, für volle Kassenzimmer zu sorgen. Wer nicht zum Unterricht erscheint, bekommt eine SMS.

Von Susanne Arlt | 28.03.2014
    Ronald Rahmig tippt ein Passwort in seinen Laptop, die erste Hürde hat er genommen. Ein Bild mit dem Logo der Schule erscheint, dann aber fragt ihn der Computer nach noch einem Passwort. Ronald Rahmig bleibt geduldig.
    "Der muss sich erst mal mit dem Netz verbinden, das hat jetzt mit dem Zugangsverfahren zu tun, dass wir hier einen Radioserver haben, der nicht nur mein Passwort checkt, sondern dass auch noch mit der Gerätenummer abgleicht und dafür sorgt, dass sich hier nicht Hinz und Kunz einwählen können."
    Schließlich geht es um sensible Daten. All die Informationen, die normalerweise in einem Papierklassenbuch stehen, kann man jetzt im Internet nachlesen: Welcher Schüler hat in welchem Schulraum Unterricht, was für Hausaufgaben hat er zu erledigen, welche Einträge hat er im Klassenbuch und vor allem – ist er überhaupt anwesend. Über die Reports, die von dieser Datenbank erstellt werden und die in wenigen Sekunden abrufbar sind, könne man sich sehr schnell einen Überblick über das Verhalten eines Schülers verschaffen, sagt Schulleiter Ronald Rahmig:
    "Also die Idee ist, dass das elektronische Klassenbuch eine Kommunikationsplattform darstellt im Gegensatz zum Papierklassenbuch, in dem Lehrer über Schüler kommunizieren können, über deren Anwesenheit und damit auch über den Zusammenhang mit Bildungserfolg."
    Auch wenn die Zahl der Schulschwänzer an den allgemeinbildenden Schulen in Berlin zurückgegangen ist, die Fehlquote an den Berufsschulen liegt noch relativ hoch. Im Schnitt fehlen 28 Prozent aller Schülerinnen und Schüler an mehr als zehn Tagen unentschuldigt. Sie verschlafen, haben keine Lust aufs Lernen oder jobben lieber nebenbei, sagt Ronald Rahmig. Um sie doch noch in den Unterricht zu locken, haben sich der Schulleiter und seine IT-Kollegen etwas Besonderes einfallen lassen: Stellt ein Lehrer nach einer dreiviertel Stunde fest, dass ein Schüler unentschuldigt fehlt, klickt er im elektronischen Klassebuch unter der Rubrik Abwesenheit auf ein Handysymbol und schickt somit per Mausklick eine SMS an den Jugendlichen los.
    "Diese SMS ist in allererster Linie der Wunsch, mit Schülern über ihren Bildungserfolg ins Gespräch zu kommen. Natürlich kann ich mich nachmittags hinsetzen und meine Liste abtelefonieren, aber dann ist der Tag vorbei. Und hier habe ich die Möglichkeit zu einem Zeitpunkt den Schüler zu kontaktieren, wo er noch eine vernünftige Chance hat, sein Verhalten zu ändern. Wenn ich ihn im ersten Block ansimse, dann besteht die gute Chance und da haben sich die ersten Einzelfälle schon gezeigt, die dann zum zweiten Block tatsächlich noch auflaufen."
    Bisher nur in der Testphase
    Die SMS hat einen Standardtext. Nur so könne man sie automatisiert verschicken, erklärt Rahmig. Ist der Schüler noch nicht volljährig, werden auch die Eltern informiert. In der Nachricht steht der Name des Schülers, dass er den Unterricht heute versäumt und sich doch bitte mit seiner Schule in Verbindung setzen soll. In Rahmigs Worten bedeutet das:
    "Lieber Schüler, liebe Schülerin, erstens wir haben gemerkt, dass du nicht da bist, zweitens wir fänden es schön, wenn du da wärst und drittens, mach dich auf die Socken."
    Ob das elektronische Klassenbuch ein erfolgreiches Mittel im Kampf gegen die Schuldistanz ist, vermag Ronald Rahmig noch nicht zu sagen. Der Testbetrieb läuft seit sechs Wochen, nur sechs der insgesamt 40 Klassen der Berufsschule nehmen daran teil. Verschickt wurden bislang etwa drei Dutzend SMS. Noch hat Anja Winter keine Nachricht auf ihrem Handy gehabt. Die alleinerziehende Mutter kommt aber oft eine habe Stunde zu spät zum Unterricht.
    "Das ist halt das Ding, dass die Schule ziemlich früh anfängt und auch gerade wenn man alleinerziehend ist, ist es schon ziemlich schwer, auch wenn man eine Stunde entfernt lebt, pünktlich zu kommen."
    Eine notorische Schulschwänzerin sei sie aber nicht, sagt die 23-Jährige, die am Oberstufenzentrum ihren erweiterten Hauptschulabschluss machen will. Die Idee mit der SMS finde sie gut, sagt sie. Allerdings glaube sie nicht, dass man mit dieser Aufforderung wirklich alle Schüler zu einem Umdenken bewegen könne. Ganz ähnlich sieht das ihre Mitschülerin Michele Wagner.
    "Na bei manchen wird es was bewirken, aber halt nicht bei jedem. Es gibt halt wirklich diese typischen Schulschwänzer, die sich nur angemeldet haben, um keinen Job annehmen zu müssen, weil Mutti piekt. Aber Einige, die wirklich Lust haben, brauchen manchmal Arschtritte und da hilft es ganz gut.
    Noch wird das Elektronische Klassenbuch getestet. Ob es eines Tages an allen Berliner Schulen eingeführt wird, kann man heute nicht sagen. Und so lange setzt die Berliner Senatsverwaltung für Bildung auf Altbewährtes im Kampf gegen die Schuldistanz: auf Jugendsozialarbeiter und Lerngruppen mit mehr Praxisbezug.