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Elisabeth Plessen
"Bauten des Bundes 1949-1989"

Die USA haben ihr Weißes Haus, Großbritannien Big Ben - nur die Bundesrepublik hatte bis 1989 in Sachen Staatsarchitektur wenig zu bieten. Das brachte ihr viel Häme ein. Ein Buch schaut nun genauer hin und beleuchtet neben Mittelmaß auch zukunftweisende Ansätze, die in Vergessenheit geraten sind.

Von Michael Kuhlmann | 09.12.2019
Dunkle Wolken hängen über dem Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel.
Das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel (DOM Publisher / dpa / M.C. Hurek)
Die Kritiker des neuen Bauwerks hatten schon lange die Messer gewetzt. Jetzt, bei der Einweihung, fielen sie vollends her über Ludwig Erhards transparenten Kanzlerbungalow im Garten des Palais Schaumburg. Doch folgt man Elisabeth Plessen, dann gerieten viele Bauvorhaben des Bundes zur Zielscheibe solcher Kritik. Denn:
"Der nie abgeschlossene Selbstfindungsprozess der Bundesrepublik fand regelmäßig seine Anknüpfungspunkte an und Kritikpunkte in Bauwerken, welche oft als Zwischensachstandsberichte zur eigenen politischen Identität gesehen oder auch angefeindet wurden. Dazu gehören der Bonner Kanzlerbungalow, das Bonner Kanzleramt, aber auch die Kanzlei der deutschen Botschaft in Washington."
Über 150 Bauwerke, die unter Federführung des Bundes von 1949 bis 1989 in Auftrag gegeben wurden, hat die Autorin in den Blick genommen. Den Langen Eugen und die Ministerien in Bonn, die höchsten Gerichte in Karlsruhe, etliche Bauten in den Ländern und schließlich über 40 Botschaftsgebäude in aller Welt.
Demokratie als Bauherr
Das Buch ist allerdings kein Architekturführer. Es befasst sich vielmehr damit, wie die Bauten diskutiert wurden. Irgendetwas ausdrücken sollten die Häuser - natürlich. Nur was?
"Es handelte sich um die Suche nach dem jeweils angemessenen Ausdruck für ein Land, das – beladen mit juristischer und moralischer Schuld, erfolgreich als Wirtschaftsmacht, mit wachsendem internationalem politischem Einfluss, sich, ängstlich jede als extremistisch zu verstehende Tendenz vermeidend, als Nation zu definieren suchte."
Hinzu kam das Problem, dass jeder, der in Bonn den großen Wurf gewagt hätte, noch bis in die 80er Jahre hinein des Verrats an der Einheit Deutschlands geziehen worden wäre. Architektonisch Flagge zeigte die Bundesrepublik anderswo. Zum Beispiel 1964 in Egon Eiermanns Kanzleibau für die Botschaft in Washington: einem groß angelegten, aber eben doch transparenten und unaufdringlichen Objekt. Elisabeth Plessen fasst die Grundtendenzen damaligen Bauens zusammen, wie sie nicht nur hier gelten:
"Eine mal spielerische, mal formalistische horizontale Anordnung der Baukörper unter Vermeidung jeden Anscheins einer starren Axialität. Damit einher gingen der Verzicht auf hermetisch geschlossen wirkende große Flächen und auf jegliche Bauteile, die den Eindruck von Monumentalität hervorrufen könnten, sowie die ‚Auflösung‘ der Fassaden in gliedernde Elemente und Strukturen.
Gerade die Botschaftsbauten im Katalogteil des Buches entpuppen sich als Überraschung: etwa Hans Scharouns Architektur in Brasilia. Inmitten der kühl-axialen Retorten-Hauptstadt Oscar Niemeyers entstand hier ein Gegenmodell: ein zwangloses Ensemble verbundener Einzelbauten, alles geprägt von warmen Farbtönen.
Demokratie im Spiegel der Architektur
Demokratie verkörpern mochten darüber hinaus etwa Werkbund-Zitate: angefangen mit dem ersten Beitrag zu einer Weltausstellung in der Nachkriegszeit, in Brüssel 1958. Das Konzept der großzügig angeordneten Pavillons wurde von Paul Baumgarten zehn Jahre später beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wieder aufgegriffen: Baumgarten trennte etwa Richtergebäude und Sitzungsgebäude - und scheint damit die alte Forderung Charles de Montesquieus zu betonen, dass die richterliche Gewalt so unabhängig wie nur möglich sein müsse.
In Bonn selbst kamen wirklich zukunftsweisende Projekte zu spät in Gang: 1989 gewann das Hannoveraner Büro Storch-Ehlers den Wettbewerb zum Erweiterungsbau des Bundesrates - mit einem elegant geschwungenen Gebäudebogen, der das alte Bundeshaus nördlich umrahmt hätte, ohne es zu überragen: die Länder als Stützen der Gesamt-Republik. Verwirklicht wurde immerhin das langgestreckte neue Abgeordnetenhaus, der sogenannte Schürmann-Bau, heute Sitz der Deutschen Welle. Ob Schürmann-Bau, Bundeskunsthalle oder neuer Bundestags-Plenarsaal - die Autorin misst solchen Bauten - wenn auch nur in einem Absatz - Bedeutung bei:
"Sie alle machten deutlich, dass es - wenngleich zu spät - zu einem bewussten und eben nicht zu einem beiläufigen Paradigmenwechsel gekommen war. Gerade das als Schürmann-Bau bekannte Projekt kündete davon, dass es tatsächlich einen Aufbruch in eine neue Zeit der demokratischen Selbstdarstellung gegeben hatte."
Erstickter Neuansatz
Allerdings scheint der Aufbruch steckengeblieben zu sein - jedenfalls wenn man den lichten Schürmann-Bau vergleicht mit dem martialischen Klotz des Paul-Löbe-Hauses am Berliner Spreeufer und dem Jakob-Kaiser-Haus, dessen Treppenarchitektur stellenweise der einer Justizvollzugsanstalt ähnelt. Elisabeth Plessen scheut vor Wertungen dieser Art zurück. Ihr Buch ist ein dickes Architektur-Kaleidoskop und ein beeindruckend materialreicher Querschnitt durch die zeitgenössischen Debatten. Es zeigt freilich, dass Architektur meist zur Zielscheibe allgemeiner politischer oder gesellschaftlicher Kritik geriet.
Einen begrenzten Eindruck der besprochenen Bauten kann sich der Leser auch verschaffen, dank der vielen Hundert Fotos und Skizzen. Sie zeigen eine Architektur, die oft genug im Mittelmaß nichtssagender Zweckbauten steckenblieb, die daneben aber auch eigenwillige und zuletzt vielversprechende Akzente setzte. Heute scheint man das nicht mal mehr in Bonn selbst wahrzunehmen. Doch den Anblick der Architektur, die nun dem Bonner Bundeshaus gegenübersteht - eines 17-stöckigen dunkelgrauen Hotelmonstrums - ihn hat Elisabeth Plessen dem Leser bei ihrer Bildauswahl dankenswerterweise erspart.
Elisabeth Plessen: "Bauten des Bundes 1949-1989. Zwischen Architekturkritik und zeitgenössischer Wahrnehmung",
DOM Verlag, 676 Seiten, 98 Euro.