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Elizabeth Shepherd
Reise zu einem anderen Ort

Man muss kein Jazz-Kenner sein, um sich in die Musik der Kanadierin Elizabeth Shepherd zu verlieben. Ihre neue Platte "The Signal" ist mit seinen warmen, schillernden Kompositionen und Sounds eines der spannendsten Songwriter-Alben in diesem Herbst.

Von Eric Leimann | 27.09.2014
    Eine Discokugel, aufgenommen am 04.12.2012 in München (Bayern)
    Elizabeth Shepherd lässt sich von elektronischer Musik inspirieren. (dpa picture alliance / Tobias Hase)
    "In der elektronischen Musik geht es oft darum, eine Welt zu erschaffen. Eine Welt, in die man hineingezogen wird: Das Techno-Set oder Electronic Music Set, bei dem man vier Stunden tanzt und nicht merkt, wie die Zeit vergeht. Weil in der Musik kein Sinn fürs Zeitvergehen vorgegeben ist."
    Elizabeth Shepherd lebt mit ihrem Mann und zweijähriger Tochter in Montreal. 2006 kam ihr Debütalbum "Start To Move" heraus, das vom britischen Jazz-Kritikerpapst Gilles Peterson zu einem der drei besten des Jahres erklärt wurde. Fünf Alben später ist die wandlungsfreudige Kanadierin in einer sehr modernen, fließenden Variante von Songwriter-Jazz angekommen. Es geht um betörende Grooves, die niemals enden wollen, um Songs, die ineinanderfließen und um eine Kopfhörer-Erfahrung, die einen schweben lässt.
    "Ich wollte ein Album ohne sichtbare Nähte aufnehmen. Es gibt den Anfang und das Ende, alles dazwischen ist eine Reise, ein Song fließt in den anderen. Das war ein Element, das mir wichtig war. Das andere war die Räumlichkeit der Instrumente. Sie wandern umher, der Hörer soll sich nicht sicher sein, wo diese Instrumente und Sounds herkommen. Selbst wenn man über so etwas nicht nachdenkt oder es hört, gibt es auf dem Album dieses Gefühl des bodenlosen Schwebens. Meine Idee ist es, dass Musik uns an einen anderen Ort führt."
    Groovy und meditativ
    Elizabeth Shepherds Jazz-Ansatz ist durchaus ungewöhnlich. Für Puristen des Genres ist er zu groovy, der Gesang zu meditativ. Die Lieder und Spoken Word-Passagen auf "The Signal" erzählen von politischen Demonstrationen oder einer futuristischen Liebesgeschichte, die sie aus Podcast-Lyrik eines kanadischen Radiosenders zusammengeschnipselt hat, so wie im Titelstück "The Signal."
    Das Spirituelle, das Elizabeth Shepherd ausmacht, ist keine Attitüde. Mit ihrem fünf Jahre älteren Bruder ist sie in der Heilsarmee aufgewachsen. Beide Eltern dienten dort, gemeinsam zog man zunächst durch Kanada, ab Elizabeth' zehnten Lebensjahr dann durch Frankreich. Der Vater spielte Klavier und Posaune, die Mutter schrieb Lyrik. Musik und Religion - in diesem Energiefeld ist Shepherd groß geworden.
    "Ja und diese beiden Welten existierten nicht getrennt voneinander, sie waren eins. Musik war der Ausdruck von Hingabe und Würdigung, von einer besonderen Beziehung zu Gott. Ich habe das hinter mir gelassen und die Heilsarmee verlassen. Sie hat mir als Ausdruck nicht entsprochen - aber sie war meine Einführung in Musik als spirituelle Ausdrucksform. Das ist sie für mich bis heute geblieben."
    Geprägt von der Heilsarmee
    Elizabeth Shepherd brach mit der Heilsarmee und studierte zunächst klassisches Piano, später Jazz. Seit 2006 hat sie fünf Alben aufgenommen, alle klingen sehr unterschiedlich. "The Signal" sticht heraus, weil es ein komplexes fließendes Meisterwerk aus Groove und Stimmen ist, wie man es vielleicht seit D'Angelos Album "Voodoo" aus dem Jahr 2000 nicht mehr gehört hat. Bleibt zu hoffen, dass das Talent Shepherds nicht auf ähnliche Weise in einem schwarzen Loch verschwindet wie das des Soul-Jazz-Genies D'Angelo, von dem man seit besagtem Jahr 2000 kaum noch etwas hörte.
    "Ich weiß immer noch nicht, ob ich Jazzmusikerin bin. Ich weiß nicht, ob ich in zehn Jahren noch Jazz spiele. Ich glaube nicht, das ich jemand bin, der an einer Sache hängt. Was mich am Jazz begeisterte war die Freiheit. Da wäre es ziemlich ironisch, wenn ich mich darauf festlege."
    Und dann erzählt Elizabeth Shepherd noch, dass sie davon träumt, ein nachhaltiges Leben auf dem Land zu führen und vielleicht eines Tages als Massage-Therapeutin zu arbeiten. Der Wunsch zu heilen, so sagt sie, ist der vielleicht größte Antrieb in ihrem Leben. Noch erfüllt sie diesen Auftrag in der Musik.