Freitag, 19. April 2024

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Embryonenschutz contra Wissenschaft

Der Reproduktionsbiologe Henning Beier hat sich für die Abschaffung der Stichtagsregelung im Stammzellgesetz ausgesprochen. Die derzeitige Begrenzung der Forschung auf vor 2002 im Ausland entstandene embryonale Stammzellen verhindere Erfolge deutscher Wissenschaftler, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe indes beharrt auf dem bestehenden Embryonenschutz.

Moderation: Klaus Remme | 09.05.2007
    Klaus Remme: Ein Kompromiss zwischen Forschungsfreiheit und Menschenwürde. So hieß es vor fünf Jahren, als nach langer und kontroverser Debatte das Stammzellgesetz in Kraft trat. Das ethische Dilemma ist offenbar: Durch die Gewinnung embryonaler Stammzellen wird der Embryo zerstört, getötet. Die Zellen aber sind Hoffnungsträger für eine zukünftige Behandlung von Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes. Fünf Jahre lang wurde die Forschung in Deutschland in sehr engen Grenzen gehalten. Wissenschaftler dürfen durch die Stichtagsregelung nur Zellen verwenden, die vor 2002 im Ausland entstanden sind. Zudem gibt es eine Strafandrohung gegen Wissenschaftler, die sich im Ausland an Projekten beteiligen, die im Inland verboten sind.

    Die Rufe nach einer Lockerung des Gesetzes werden immer lauter. Im Bundestag wie gesagt findet dazu heute eine Anhörung von Forschern, Medizinern, Juristen und Ethikern statt. Am Telefon sind nun Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter, Berichterstatter für Bioethik der Unionsarbeitsgruppe Gesundheit, und Henning Beier, einer der Vorsitzenden der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung am Robert-Koch-Institut. Guten Morgen an Sie beide!

    Hubert Hüppe: Schönen guten Morgen!

    Henning Beier: Guten Morgen!

    Remme: Wollen wir zunächst vielleicht einmal zurückschauen, bevor wir auf Reformbemühungen kommen. Herr Beier, hat sich die Regelung in den vergangenen fünf Jahren in Ihren Augen bewährt?

    Beier: Ich glaube schon, dass sich diese Regelung bewährt hat, denn dieses Gesetz, was wir in der Bundesrepublik seit 2002 haben, hat ja etwas ganz Anderes, Neues geschaffen gegenüber der Situation vorher, wo die Situation in der Grundlagenforschung und in der Forschung mit embryonalen Zellen durch das Embryonenschutz-Gesetz aus dem Jahre 1990 geregelt wurde. Dieses Stammzellgesetz hat eine gewisse kleine Öffnung gebracht, die sicherlich für die Forscher wichtig war.

    Remme: Herr Hüppe, stimmen Sie im Rückblick auf die vergangenen Jahre zu?

    Hüppe: Nein, eigentlich nicht. Ich sehe, dass eigentlich die Forschung sehr ernüchternd ist. All das, was uns mal versprochen worden ist, eben klang es ja auch noch mal an, Therapien zu Parkinson, Diabetes, all das ist nicht eingetreten, eher das Gegenteil. Inzwischen geben das auch die Forscher selber zu. Wir haben kaum Ansätze überhaupt, dass irgendwann mal die Hoffnung erfüllt werden könnte, dass humane embryonale Stammzellen am Menschen angewendet werden können. Weltweit, selbst da, wo es gar keine Gesetze gibt, gibt es nicht irgendwo einen Antrag auf klinische Forschung am Menschen. Jetzt passiert eigentlich das, was ich damals vorausgesagt habe: Wenn man einmal die Tür öffnet, kommen natürlich die nächsten und wollen sie ganz aufstoßen und am liebsten den ganzen Embryonenschutz umwerfen.

    Remme: Herr Beier, im Mittelpunkt des Streits steht die so genannte Stichtagsregelung, die ich eben skizziert habe. Warum ist der Kompromiss, der seinerzeit tragbar erschien, heute reformbedürftig?

    Beier: Das ist leicht zu beantworten, vor allen Dingen wenn wir uns darauf konzentrieren, Ihre Frage so zu beantworten, wie Sie sie gestellt haben. Herr Hüppe hat ja nicht Ihre Frage beantwortet, sondern er hat eine völlig berechtigte Meinung vorgetragen, die sich um die Versprechungen und um die Hoffnungen drehte. Ich habe von der Forschung an sich gesprochen, und ich spreche auch bei der Diskussion um die Stichtagsregel ganz klar um die Frage, können und dürfen wir in einem ganz klaren geregelten Rahmen forschen. Forschen heißt an sich erst einmal arbeiten und wirklich wissenschaftliche Untersuchungen durchführen. Forschen auf diesem Gebiet heißt nicht Versprechungen machen und in der Öffentlichkeit große Sprüche klopfen. Das ist genau das Falsche, und da bin ich absolut dagegen. Denn ich bin als Grundlagenforscher angetreten, Phänomene der Natur, die wir einmal eines Tages auch für die medizinische Therapie nutzen können, zu erarbeiten und zu erkennen. Wenn wir das erkannt haben, dann können wir über die anderen Dinge reden.

    Remme: Jetzt haben Sie aber auf meine Frage nicht geantwortet. Sie konnten doch bisher auch schon forschen, wenn auch in engen Grenzen. Warum muss das jetzt geändert werden oder sollte es?

    Beier: Das ist ganz einfach sachlich zu beantworten. Ich kann Ihnen aus der Arbeit der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung berichten, dass wir bis heute 22 Anträge in fünf Jahren bearbeitet haben. Bei diesen Anträgen gab es in den ersten Jahren von 2002 bis 2004 eine deutliche klare wissenschaftliche Ausrichtung zur Erkenntnis in der Grundlagenforschung mit Zellen, die eben vor dem 1.1.2002 geschaffen wurden und die verfügbar wurden durch Import vorwiegend aus den USA vom NRH. In dieser NRH-Liste im Register waren damals 52 Linien verfügbar, ursprünglich 73, dann ging es runter auf 52. Heute sind es nur noch 20 bis 21 Linien, von denen mehr als die Hälfte praktisch genetische und epigenetische Veränderungen haben, also Merkmale, die nicht mehr geeignet sind, normale Ergebnisse zu produzieren. Deshalb muss man sich fragen, soll man einem Grundlagenforscher zumuten, mit Material seriöse Arbeiten durchzuführen, deren Ergebnisse schon von Anfang an fraglich sind? Das ist keine normale Vorgehensweise.

    Remme: Herr Hüppe, Sie finden das zumutbar?

    Hüppe: Natürlich finde ich das zumutbar. Ich bin schon froh, dass Herr Henning Beier sagt, dass Therapieziele eigentlich jetzt nicht zu erkennen sind, dass es nur um Grundlagenforschung geht. Und wenn es nur um Grundlagenforschung geht, selbst wenn er sagt, es gibt nur noch zehn Linien, die zu gebrauchen sind, gibt es halt zehn Linien und das ist nicht Anlass, jetzt einen Stichtag zu verändern und dann einen Konsens aufzulösen, der ja dazu führt, dass die Nachfrage nach neuen Stammzell-Linien weltweit wieder erhöht wird. Was ich dann auch immer so vermisse ist, dass man auch von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht mehr erwähnt, dass es inzwischen ja eine ganze Menge Alternativen gibt, dass man zum Beispiel aus Nabelschnurblut Stammzellen gewinnen kann, dass man aus Fruchtwasser Stammzellen gewinnen kann und dass die neue Arbeit, die wird Herr Beier sicherlich noch besser kennen als ich, von Yamanaka (Japanischer Forscher, Anm. der Red.) auch Zellen aus adulten Zellen gewinnen kann, die die gleichen Eigenschaften haben wie embryonale Stammzellen. Es geht ja immer noch um den Grundkonflikt, ob man menschliches Leben töten darf für Forschungszwecke, und das ist natürlich auch der Grund, warum so viele Politiker, warum so viele Ethiker auch ein Problem haben. Es gibt aus meiner Sicht jetzt überhaupt keinen Anlass, das zu verändern. Vor allen Dingen ist es ja auch interessant, wenn Herr Beier gerade sagt, die Linien seien nicht zu gebrauchen, warum noch in diesem Jahr ein Antrag genehmigt worden ist auf Import. Man müsste dann ja sagen, dass die Forschung, die jetzt stattfindet, völliger Unsinn wäre, und das werden die Forscher wahrscheinlich nicht behaupten.

    Remme: Herr Beier.

    Beier: Wir haben im Jahr 2006 einen einzigen Antrag gehabt.

    Hüppe: Sie haben 2007 noch einen Antrag gehabt!

    Beier: Im Jahre 2007 ist kein neuer Antrag vorgelegt worden, Herr Hüppe.

    Hüppe: Aber genehmigt worden. Ein Import hat jetzt im März stattgefunden.

    Beier: Ja, natürlich!

    Hüppe: Da können Sie selbst in den Unterlagen nachgucken, aber das ist auch nicht den Streit wert. Sie können ja bei Herrn Schöler nachschauen. Der arbeitet ja immer noch an den Zellen. Der kriegt ja auch jedes Jahr noch mal vier Millionen Euro für diese Zellen. Sie können doch nicht sagen, dass er dies für eine Arbeit bekommt, die keinen Wert hat.

    Beier: Es ist eine ganz forschungs- und systemimmanente Angelegenheit, dass Forschung ein hohes Maß an Motivation von jungen, besonders Nachwuchsforschern fordert. Diese Motivation kann einfach nicht aufkommen, wenn man in einem Raum der Grundlagenforschung tätig ist, in dem man das Material nicht hat, mit dem international führende Gruppen arbeiten. Zweitens, und das ist der Punkt, über den wir auch reden sollten, der heute zur Diskussion in der Bundestagsanhörung steht: die Entkriminalisierung der deutschen Forscher, die mit embryonalen Stammzellen im europäischen Verbund arbeiten. Zwei Drittel unserer Anträge, die wir in den letzten fünf Jahren bearbeitet haben, sind in EU-Projekte eingebunden. Diese Wissenschaftler sind alle in der unsicheren Situation, dass sie schlicht und einfach nicht wissen, ob sie weiter mitmachen dürfen, oder ob sie, wie es ja immer wieder heißt, mit einem Bein im Gefängnis stehen.

    Remme: Herr Hüppe, können Sie sich vorstellen, dass diese Strafandrohung im Rahmen einer Reform gestrichen wird?

    Hüppe: Es gibt ja die Frage, ob jemand sich strafbar macht, wenn er an einem Kongress teilnimmt, wo Ergebnisse verglichen werden. Da bin ich auch der Meinung, wenn das wirklich klargestellt werden muss, dass es nicht strafbar sein soll, dann können wir das machen.

    Beier: Herr Hüppe, es geht nicht ums Zuhören, es geht ums Arbeiten.

    Hüppe: Ich bin allerdings nicht dafür, wenn wir sagen, dass diese Forschung der Menschenwürde widerspricht, das ist ja der Grund, warum wir es verbieten hier in Deutschland, dass wir sagen, wenn das aber im Ausland stattfindet, ist das alles in Ordnung. Natürlich wollen wir auch, dass solche Forschung nicht im Ausland stattfindet. Wir wollen nicht, dass im Ausland Embryonen getötet werden, ob das nun deutsche Embryonen sind oder ob es ausländische Embryonen sind. Wenn ich noch eines sagen darf, Herr Beier: Wenn Sie sagen, man muss das vergleichen können mit den Studien, die es jetzt gibt, dann müssen Sie natürlich sagen, dann darf es überhaupt keinen Stichtag mehr geben. Dann müssen Sie alles erlauben, was irgendwo möglich ist, denn es wird immer neue Stammzell-Linien geben. Es wird vielleicht sogar Stammzell-Linien geben, die aus Embryonen stammen, die für die Forschung extra hergestellt werden.

    Beier: Herr Hüppe, Sie haben völlig Recht. Ich wäre persönlich aus logischen, wirklich vernünftigen, aus meiner Sicht vernünftigen Gründen, dafür, diese Stichtagsregel ganz abzuschaffen. Wir sollten uns mal umschauen, was unsere Nachbarn in Europa tun. Zum Beispiel Frankreich hat sich in den 90er Jahren entschieden in einem Bioethik-Gesetz, wo es um ganz grundsätzliche, genauso wie die deutschen grundsätzlichen Erwägungen und Abwägungen um den Status des Embryos ging, in das Gesetz hineinzuschreiben, nach fünf Jahren muss das Parlament, die verantwortlichen Parlamentarier nach dem Stand der Wissenschaft entscheiden, ob dieses Gesetz so bleibt oder nicht. Das wäre eine gute Stichtagslösung, indem man sagt, die Parlamentarier sind so offen und sind auch so beweglich, sich einen Stichtag selbst zu setzen, ihre Regeln zu überdenken nach fünf oder von mir aus nach acht oder zehn Jahren.

    Remme: Herr Beier, Sie wollen ihn also selbst streichen. Ich will Herrn Hüppe noch schnell, denn wir kommen zum Ende, die letzte Frage stellen. Selbst der EKD-Ratsvorsitzende Huber plädiert ja für eine Reform und hat eine einmalige Verschiebung des Stichtages vorgeschlagen. Für Sie diskussionswürdig, Herr Hüppe?

    Hüppe: Nein. Das würde ja bedeuten, dass wir in zwei oder drei Jahren dieselbe Diskussion bekommen, und Herr Henning Beier hat ja hier auch mit großer Offenheit gesagt, darum geht es dann ja auch. Wenn man einmal jetzt öffnet, dann will man wieder öffnen, und es erstaunt mich schon, dass ein evangelischer Bischof unbedingt dann auch ausgerechnet noch der Stichwortgeber für die ist, die den Embryonenschutz in Deutschland lockern wollen. Ich halte davon nichts. Es gibt keine neuen Erkenntnisse und schon gar keine neuen ethischen Erkenntnisse.

    Remme: Vielen Dank an Sie beide. - Das war Hubert Hüppe, Bundestagsabgeordneter von der CDU, und Henning Beier, einer der Vorsitzenden der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung am Robert-Koch-Institut.