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"Embryonenschutzgesetz bestehen lassen"

Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, hält das bestehende Gesetz zur Embryonen-Diagnostik für die moralisch und verfassungsrechtlich gebotene Lösung im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie fordert ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik.

Peter Hintze im Gespräch mit Gerwald Herter | 18.10.2010
    Gerwald Herter: Peter Hintze zum Beispiel, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Chef der CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen im Bundestag. Mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Hintze.

    Peter Hintze: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Herr Hintze, Sie widersprechen der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Tut man denn das?

    Hintze: Ich habe mich zu der Frage ja schon geäußert, bevor die Bundeskanzlerin sich dazu geäußert hat. Meine Auffassung ist, dass das Urteil des Bundesgerichtshofes ein sehr weises Urteil ist. Der Bundesgerichtshof hat ja gesagt, dass sowohl das Embryonenschutzgesetz wie unsere verfassungsmäßige Ordnung die Präimplantationsdiagnostik in eng bestimmten Grenzen für zulässig erklärt, und ich sage dazu, diese Möglichkeit eröffnet Eltern die Freiheit, ja zum Kind zu sagen, und ist auf alle Fälle eine Möglichkeit, die wir in Schutz nehmen sollten. Und mein Vorschlag ist, dass wir jetzt diese Regelung so gelten lassen, dass wir gar kein neues Gesetz machen, sondern dass wir das Embryonenschutzgesetz und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes so als Rechtslage bestehen lassen.

    Herter: Reicht denn das, ohne ein neues Gesetz in dieser Frage, in dieser sehr, sehr heiklen Frage zu verfahren?

    Hintze: Das finde ich die klügste Lösung. Denn schauen Sie, wenn der Gesetzgeber sich daran gibt, jetzt zu versuchen, jeden Einzelfall zu normieren, dann ist die Gefahr des Scheiterns groß. Aber wenn wir die Rechtslage so nehmen, wie der Bundesgerichtshof sie festgestellt hat – wir haben ja ein sehr restriktives Embryonenschutzgesetz, wir haben eine klare Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wir haben einen relativ kleinen Personenkreis, der davon betroffen ist, aber zum Teil doch sehr unter diesen Konflikten leidet -, dann ist es doch das Klügste, wenn der Gesetzgeber sagt, die Rechtslage, wie sie jetzt durch den Bundesgerichtshof festgestellt ist, die anerkennen wir und dann haben wir, glaube ich, eine kluge Entscheidung getroffen und das Richtige getan. Dafür setze ich mich jedenfalls ein. Also nicht schon wieder neue Gesetze.

    Herter: Der Vorstoß der Bundeskanzlerin, hat Sie der überrascht? Das war am Samstag beim Deutschlandtag der Jungen Union.

    Hintze: Ich habe das im Fernsehen gesehen, das ist klar. Nun ist es so: Wir haben ja in unserem Grundsatzprogramm ein PID-Verbot als unsere politische Position generell, und dass die Vorsitzende das Grundsatzprogramm vertritt, ist ja nun nicht so überraschend. Trotzdem: Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, finde ich, muss man neu darüber sprechen und neu nachdenken. Auch wenn man mit sehr vielen Betroffenen spricht, dann weiß man, dass das doch eine sehr menschenfreundliche Lösung ist, für die sich der Bundesgerichtshof eingesetzt hat, und für die setze ich mich auch ein, und ich glaube, dass das im ruhigen Gespräch erörtert werden kann. Es liegt ja in der Natur bioethischer Fragen, dass man dazu unterschiedliche Auffassungen haben kann.

    Herter: Die Bundeskanzlerin sagt, es lasse sich zwischen gravierenden Erbkrankheiten und weniger gravierenden Krankheiten nicht unterscheiden. Da ist doch was dran!

    Hintze: Selbst das Embryonenschutzgesetz, wenn Sie einmal die einzelnen Vorschriften sich anschauen, kennt solche sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffe, dass man sagt, Krankheiten von vergleichbarer Schwere. Und warum ist das im Gesetz so? Warum ist das in unserer Rechtsordnung so? Warum ist das in vielen Gesetzen so? – Das ist deswegen so, damit der Gesetzgeber nicht alle viertel Jahr, wenn eine neue medizinische Erkenntnis kommt, eine neue naturwissenschaftliche Erkenntnis, immer wieder das neu regelt, und es kommt auch aus der Erkenntnis heraus, dass man in bestimmten Grenzbereichen zwischen Naturwissenschaft und Moral als Gesetzgeber scheitern muss, wenn man das ganz genau bestimmen will. Deswegen hat auch der Bundesgerichtshof gesagt, bei schwerwiegenden genetischen Vorbelastungen ist das zulässig. Und der Versuch, die ganz millimetergenau zu bestimmen, der muss natürlich scheitern. Aber ich glaube, dass wir damit deswegen gut klarkommen, weil doch die aller-aller-allermeisten Eltern sehr, sehr verantwortlich mit diesen Fragen umgehen. Und die, die durch schwere genetische Vorbelastungen in einer inneren großen Not sind, denen muss man helfen. Denken Sie, es gibt genetische Vorbelastungen, die führen beispielsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Totgeburt. Das ist für eine Frau ein schreckliches, schwer seelisch und körperlich belastendes Ergebnis, und wenn man das vorher weiß und man weiß, man darf die Zelle in der Petrischale untersuchen und kann damit diesen Leidensweg ersparen, dann ist das doch allemal humaner, als wenn man sagt, nein, du musst die Moral hier ausbaden, zumal wir es mit einem Wertungswiderspruch in Deutschland zu tun haben. Die Untersuchung des Kindes im Mutterleib, die ist jederzeit möglich, zum Teil auch mit dramatischen Folgen, aber die Untersuchung einer Zelle in der Petrischale, die soll verboten werden, das finde ich einen Wertungswiderspruch, den ich so nicht teile und den ich zugunsten der verantwortlichen Eltern auflösen möchte.
    Vielleicht noch ein Letztes: Der Begriff des Embryos wird immer verwendet. In der Medizin wird er ganz anders verwendet als in der Politik. In der Medizin wird von Embryo gesprochen, wenn sich die befruchtete Eizelle im Körper der Mutter eingenistet hat und sich zum Kind entwickelt. In der Politik wird oft schon davon gesprochen, wenn es um eine befruchtete Eizelle in einer Petrischale geht.

    Herter: Hier sollten wir also besser unterscheiden?

    Hintze: Für mich ist das ein dramatischer Unterschied.

    Herter: Sie sprechen von dramatischen Folgen gerade in Ihrer Stellungnahme; Sie meinen damit Abtreibungen?

    Hintze: Das wäre doch eine bittere Folge, und wenn man die vermeiden kann, und zwar dadurch, dass man eine Eizelle einpflanzt, wo man weiß, da ist diese genetische Vorbelastung nicht drauf, dann hilft man doch allen Beteiligten. Man hilft den Eltern doch sehr stark, man hilft insbesondere der Frau, aber auch allen, die später damit zu tun haben.

    Herter: Herr Hintze, wir müssen aber auch über die Grenze reden. Die Grenze bei der Auswahl verschiedener befruchteter Eizellen, wo soll denn die sein?

    Hintze: Die hat, wie ich finde, der Bundesgerichtshof sehr weise und klar beschrieben und hat gesagt, bei einer schweren genetischen Belastung. So steht es übrigens für einen Sonderfall auch im Embryonenschutzgesetz drin, auch wenn diese Vorschrift meistens überlesen wird. Und der Versuch, das nun im Einzelnen auszubuchstabieren, der ist ja nur dann erforderlich, wenn der Gesetzgeber sagt, wir müssen ein neues Gesetz machen. Der Bundesgerichtshof hat gesagt, ihr braucht gar kein neues Gesetz machen, die Rechtsordnung ist klar, das Embryonenschutzgesetz ist klar, die Praxis ist klar. Also ich glaube, wir sind ganz klug, wenn wir uns gar nicht an diesen Versuch ranmachen, das auszubuchstabieren. Also ich plädiere klar dafür, die Rechtslage, wie sie der Bundesgerichtshof festgestellt hat, zu akzeptieren, weil sie schafft, Rechtsfrieden, sie schafft Rechtsklarheit und sie ist, glaube ich, die moralisch und verfassungsrechtlich gebotene Lösung.

    Herter: Der CDU-Politiker und Staatssekretär Peter Hintze widerspricht der Bundeskanzlerin und plädiert dafür, kein neues Gesetz zu erlassen. Herr Hintze, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Hintze: Bitte schön.