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Embryonenschutzgesetz
Noch auf der Höhe der Zeit?

30 Jahre alt ist das deutsche Embryonenschutzgesetz bereits. Es erlaubt zwar Samenspenden, Eizellenspenden aber nicht. Der Hauptgrund: Ein Kind soll keine zwei Mütter haben. Einige Fortpflanzungsmediziner halten das für nicht mehr zeitgemäß. Ihr Argument: Die Praxis der Fortpflanzung sei der Gesetzeslage einen Schritt voraus. Ethiker haben aber weiter Bedenken.

Von Doris Arp | 01.06.2017
    Das Monitorfoto zeigt das Einbringen einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette unter dem Mikroskop.
    Die künstliche Befruchtung unterliegt in Deutschland momentan strengen Regeln. (Hubert Link, dpa)
    Ein schlichter, fensterloser Raum. Graue Fässer mit flüssigem Stickstoff stehen auf dem Fliesenboden. Bei 196 Grad unter null lagern hier, verpackt in winzige Röhrchen, tausende befruchtete Eizellen, eingefroren und damit gestoppt im Prozess ihrer Entwicklung. Es sind übriggebliebene Embryonen und befruchtete Eizellen im Vorkernstadium - von Paaren, die ihre Kinderwunschbehandlung abgeschlossen haben.
    "Für die Paare sind diese kryokonservierten Zellen kleine Menschen."
    Sagt der Psychologe Hans Peter Eiden:
    "Sie werden auch liebevoll als 'Schneeflöckchen', 'Eisbärchen' und so weiter bezeichnet. Sie werden also personifiziert."
    Befruchtete Eizellen werden häufig kryokonserviert
    Die "Schneeflöckchen" entstehen in den Laboren der Fortpflanzungsmedizin im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, also einer künstlichen Befruchtung. Nach einer Hormonbehandlung werden der Frau reife Eizellen entnommen und in der Petrischale mit den Spermien des Mannes befruchtet. Höchstens drei davon darf der Arzt in die Gebärmutter einsetzen. Der Rest wird auf Wunsch der Eltern häufig kryokonserviert – also eingefroren für weitere Befruchtungsversuche. Wenn es dazu nicht mehr kommt, stellt sich die Frage: Was geschieht mit diesen befruchteten Eizellen?
    "Es ist eine Spende, genau wie eine Organspende, ist es hier eine Spende."
    Für den Augsburger Psychologen sind die gefrorenen Zellen Kinder im Wartezustand. Zusammen mit bayerischen Reproduktionsmedizinern hat Eiden deshalb einen ungewöhnlichen Verein gegründet: Das 'Netzwerk Embryonenspende'. Es vermittelt ungewollt kinderlosen Paaren die überzähligen Embryonen aus abgeschlossenen Kinderwunschbehandlungen, wenn die biologischen Eltern damit einverstanden sind und sie ihre Embryonen gewissermaßen zur Adoption freigeben.
    Netzwerk organisiert Embryonenweitergabe
    Das bayerische Netzwerk organisiert die Embryonenweitergabe auf rechtlich dünnem Eis. Der deutsche Ethikrat hat deshalb schon vor einem Jahr in einer Stellungnahme die Bundesregierung aufgefordert, hier gesetzlich Klarheit zu schaffen. Jetzt hat die Augsburger Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen Vorstandsmitglieder des Netzwerks Embryonenspende erlassen. Der Tatvorwurf: Beihilfe zur missbräuchlichen Anwednung von Fortpflanzungstechniken. Der Medizinjurist Prof. Jochen Taupitz:
    "Das 'Netzwerk Embryonenspende' unterstützt Spenden einmal solcher schon vorhandener Embryonen, das ist völlig legal. Aber eben auch Paare, die ein Vorkernstadium haben einfrieren lassen und die dieses auftauen lassen und dann den entstandenen Embryo auf eine andere Frau zu übertragen. Das ist nach Auffassung der meisten Juristen strafbar."
    Das Gesetz unterscheidet zwischen Embryo und Vorkernstadium. Von einem Embryo ist die Rede, wenn die Zellkerne von Frau und Mann miteinander verschmolzen sind. Ist das noch nicht der Fall, handelt es sich also nur um die befruchtete Eizelle, spricht man vom Vorkernstadium und das ist vom Embryonenschutzgesetz nicht erfasst. Eine rechtliche Lücke: Vorkernstadien können beliebig erzeugt, eingefroren und verworfen werden. Die Natur kennt diese Grenze allerdings nicht, erklärt die Biologin und Philosophin vom Deutschen Ethikrat, Sigrid Graumann:
    "Das heißt, ab einem bestimmten Punkt in dem Befruchtungsvorgang sprechen wir legal von Embryonen. Also die Befruchtung ist ein Prozess, das ist natürlich ein Stück weit willkürlich."
    "Überzählige Embryonen ohne Lebenschance sollte man zu Forschungszwecken verwenden dürfen"
    Die befruchteten Eizellen, die zu Zehntausenden in deutschen Reproduktionszentren tiefgefroren lagern, entwickeln sich - einmal aufgetaut - automatisch zu Embryonen. Zusätzlich liegen etwa 5.000 schon entwickelte Embryonen dort auf Eis. Und für sie interessiert sich auch die Forschung, erklärt der Jurist Jochen Taupitz. Zusammen mit einem zehnköpfigen Expertenteam der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat er im März ein entsprechendes Papier veröffentlicht, um die politische Diskussion anzuregen. Er sagt:
    "Hier stellt sich nun die Frage, was man mit diesen Embryonen macht? Man darf sie nach geltendem Recht zerstören, man darf sie also töten. Erstaunlicherweise ist das vom Embryonenschutzgesetz gedeckt. Man darf sie auf ewig kryokonservieren. Aber, ob das ein Schicksal ist, das man einer solchen Zellmasse wünschen soll, aus der ja ein Kind entstehen kann, ist die große Frage. Und wir als Wissenschaftler haben uns dafür ausgesprochen, dass wir diese überzähligen Embryonen, die keinerlei Lebenschance haben, doch für Forschungszwecke verwenden können sollen, so wie das in vielen zivilisierten Staaten der Welt der Fall ist."
    Forschung an Embryonen ist bislang verboten
    Deutsche Wissenschaftler möchten mit ihnen Anschluss an die internationale Forschung im Bereich des sogenannten "genome editing" bekommen. Eine Technik, die irgendwann gezielte therapeutische Eingriffe in einzelne Gene ermöglichen soll. Doch die Forschung an Embryonen verbietet das Embryonenschutzgesetz von 1990 strikt. In kaum einem anderen Land sind Embryonen so gut geschützt vor sogenannten fremdnützigen Zwecken wie in Deutschland.
    Ein etwas älterer, grauhaariger Mann mit Halbglatze und randloser Brille sitzt auf einem Stuhl. Hinter ihm eine blaue Wand. Er gestikuliert mit seinen Händen, offensichtlich während einer Pressekonferenz.
    Fordert eine Überarbeitung des Embryonenschutzgesetzes: Jochen Taupitz, Jurist und Mitglied im Deutschen Ethikrat. (imago stock&people)
    Das Gesetz duldet zwar die Adoption der überzähligen Embryonen, weil sie damit eine Chance bekommen, zu Kindern heranzuwachsen, es verbietet aber ihre Verwendung zu Forschungszwecken. Ein Anachronismus, beklagt der Jurist, durch den deutsche Wissenschaftler den Anschluss an die internationale Forschung verpassen würden:
    "Das Embryonenschutzgesetz ist mittlerweile fast 30 Jahre alt. Und es regelt einen Bereich der Fortpflanzungsmedizin, der ganz erheblichen technischen, medizinischen, biologischen Entwicklungen unterliegt. Und hier plädieren wir für eine vorsichtige Reform des Embryonenschutzgesetzes, das man jedenfalls solche Embryonen für hochrangige Forschungszwecke soll verwenden können.
    Es geht letztlich darum, die Verhinderung oder Heilung von schweren Erbkrankheiten zu erforschen. Und das, was man im Tierversuch macht, das ist nicht alles eins zu eins auf den Menschen zu übertragen. Also irgendwann muss man auch mal bei Therapien für Menschen mit menschlichen Subjekten Forschung betreiben. Und wir halten es für ethisch und rechtlich, auch verfassungsrechtlich für vertretbar, dass man diese überzähligen Embryonen hierfür in Anspruch nimmt."
    "Der Gesetzgeber wollte überzählige Embryonen verhindern. Das ist nicht gelungen"
    Das bayerische 'Netzwerk Embryonenspende' und die Unterzeichner des Diskussionspapiers der Leopoldina bieten Lösungen für Embryonen an, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, kritisiert Sigrid Graumann, Philosophin und Biologin an der evangelischen Fachhochschule Bochum und Mitglied im Deutschen Ethikrat:
    "Was der Gesetzgeber wollte, ist: Er wollte das Entstehen von überzähligen Embryonen verhindern. Das ist nicht vollständig gelungen, es gibt überzählige Embryonen. Und dann haben wir aber die vielen Vorkernstadien, die eingefroren sind. Und da muss man einfach sagen, das ist im Grunde ein Umgehen der Intention des Gesetzgebers. Es ist strikt rechtlich zulässig, weil es sind noch keine Embryonen, die zählen nicht als Embryonen, bevor die Kerne verschmolzen sind, die lassen sich gut kryokonservieren. Und das wurde von den fortpflanzungsmedizinischen Zentren ausgenutzt, aber damit wird eigentlich die Dreierregelung umgangen."
    Reproduktionsmediziner hoffen auf Klarstellung
    Die Dreierregelung besagt, dass nur so viele Eizellen einer Frau im Labor befruchtet werden dürfen, wie ihr innerhalb eines Zyklus eingepflanzt werden können. Höchstens aber drei, um die Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft zu reduzieren. Diese Regelung wird seit Jahren von der Medizin ausgedehnt, unter dem Begriff "Deutscher Mittelweg". Der Jurist Jochen Taupitz hat an dieser erweiterten Rechtsauslegung mitgewirkt:
    "Und zwar sagen wir, der Fortpflanzungsmediziner darf selbstverständlich nicht mehr Eizellen befruchten, als er innerhalb des Zyklus übertragen will. Aber wenn er nun aufgrund der Konstitution des Paares absehen kann, dass sehr viele Befruchtungsversuche schlichtweg vergeblich sein werden, dass er weiß, bei zwei oder dreien wird das gar nicht klappen, die Befruchtung wird gar nicht weitergehen, dann darf er eben diese fünf bis sechs Versuche unternehmen. In der sicheren Erwartung, dass er letztlich nicht mehr als die drei Embryonen hat, die er dann auch übertragen darf."
    Die übrigen befruchteten Eizellen, die weniger aussichtsreich erscheinen, werden eingefroren. Eine strafrechtlich für die Ärzte ungeklärte Situation, sagt Ulrich Hilland, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands. Der Verband wünscht sich deshalb eine gesetzliche Klarstellung, auch weil diese Praxis den Wettbewerb unter den Reproduktionsmedizinern verzerre.
    "Es ist eine unglückliche Lösung, dass die sicherlich größte Zahl der Reproduktionsmediziner diesen Mittelweg verfolgt und andere eben aus Sorge darum, dass sie sich möglicherweise strafbar machen könnten, dass sie deshalb die herkömmliche Interpretation liefern."
    Das Embryonenschutzgesetz reagierte damals auf eine komplett ungeregelte Praxis der Fortpflanzungsmedizin
    Seit etwa 40 Jahren wird an der menschlichen Reproduktion geforscht. Und von Anfang an ist das Wissen immer wieder schnell in den medizinischen Alltag geflossen. Das Embryonenschutzgesetz reagierte vor knapp 30 Jahren auf eine vollkommen ungeregelte, fast zwanzigjährige Praxis der Fortpflanzungsmedizin, erklärt Sigrid Graumann vom Deutschen Ethikrat. Die heftige öffentliche Diskussion verlief damals entlang der Pole totale Fortpflanzungsfreiheit und radikaler Lebensschutz des Embryos.
    "Diese Debatte wurde befriedet damit, dass man gesagt hat, okay, wir wollen hier keine Designerkinder, wir wollen keine völlige Kommodifizierung von menschlichen Embryonen haben, wir wollen keine Instrumentalisierung von Embryonen, sondern wir wollen lediglich den Paaren, die nur mit IVF Eltern werden können, die Möglichkeit geben. Und das ist gegen die Schutzwürdigkeit der Embryonen abgewogen worden."
    Eizellspende ist mit erheblichen medizinischen Risiken verbunden
    So wurde in Deutschland per Gesetz zwar die Samenspende erlaubt, aber die Eizellspende verboten. Ein Kind sollte keine zwei Mütter haben. Zwei Väter erschienen damals vergleichsweise unproblematisch, denn die Samenspenden gab es schon sehr lange. Sie ist die einfachste medizinische Maßnahme bei männlicher Unfruchtbarkeit. Die Eizellspende hingegen ist mit erheblichen medizinischen Risiken und Belastungen für die Spenderinnen verbunden. Die Diskussion um Grenzziehungen sei damals breit zivilgesellschaftlich geführt worden, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Erika Feyerabend:
    "Es ging eher darum, welche sozialen Drucksituationen entstehen für ungewollt kinderlose Frauen, diese Techniken in Anspruch zu nehmen. Welche Erwartungen, es ist ja eine unglaubliche Belastung, ein langer Weg zum Kind. Welche sozialen Erwartungen werden da produziert und auf die Kinder gelegt? Was passiert eigentlich mit Familienkonstellationen, was passiert bei den gespaltenen Mutterschaften, diesen Samen- und Eizell-Puzzles, die da zusammengebaut werden? Was passiert da an sozialen Veränderungen und sind die eigentlich wünschenswert?"
    "Ich bin sehr froh, jetzt bin ich zukünftige Mutter und jetzt bin ich vollständig."
    Zu sehen ist vorne ein rechteckiges, hochkant aufgestelltes Begrüßungsschild mit weißem Hintergrund. Darauf steht geschrieben: "Herzlich Willkommen! Kinderwunsch-Tage". Das ist der Titel der Messe, auf der das Foto geschossen worden ist. Im abgedunkelten Hintergrund sind zahlreiche Messe-Besucher zu erkennen.
    Regelmäßig gibt es, wie hier in Berlin im Februar 2017, Messen zum Thema Kinderwunsch. Kritiker bemerken, dass dort auch den illegalen Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung eine Plattform geboten wird. (imago stock&people)
    Die 42-jährige Sofie aus Estland lebt mit ihrem Mann in Baden-Württemberg. Das Paar ist seit 15 Jahren verheiratet und so lange versuchen sie auch schon Eltern zu werden.
    "Wir haben jetzt sieben IVF-Versuche hinter uns, andere Dinge haben wir schon ausprobiert. Und dieser Versuch hat jetzt funktioniert."
    Alternative für kinderlose Paare: Embryonenspenden in Privatkliniken in Osteuropa
    Deutsche Reproduktionsmediziner konnten nichts mehr für sie tun. So fuhr das Paar schließlich für eine Embryonenspende nach Tschechien in eine Privatklinik. Die Methode ist hierzulande verboten, da es sich um eine Eizellspende handelt. Anders als beim bayerischen Netzwerk, das eingefrorene überzählige Embryonen vermittelt, wurde in Karlsbad der Embryo eigens für das Paar durch zwei Spender gezeugt. Die Farbe der Augen und Haare sollte passen. Und Sofie und Wolfgang legten Wert auf Bildung:
    "Üblicherweise sind das junge Studentinnen, die einfach sich durch diese Spende auch ihr Studium finanzieren. Tatsächlich wurde eine Frau stimuliert, um mehrere Eizellen zu bilden, die Eizellen wurden mit dem Sperma befruchtet und dann wurden jeweils zwei Eizellen in den Körper meiner Frau eingeführt."
    Beim 2. Mal hat es geklappt. Vor gut einem Monat hat Sofie ihre Tochter geboren. Eigentlich hat das Kind zwei Väter und zwei Mütter: die Samen- und Eizellspender, die dafür von den sozialen Eltern Sofie und Wolfgang bezahlt wurden.
    Auch auf die Perspektive des Kindes achten
    "Auf der einen Seite kann ich als Frau Mitte 30 gut verstehen, dass man sich sehnlichst ein Kind wünscht. Und dass es natürlich auch mit großem Leid verbunden sein kann, großem Schmerz, wenn sich dieser Wunsch nicht auf natürlichem Wege erfüllt. Gleichzeitig sehe ich auch die Perspektive des Kindes. Es entstehen Menschen, die sich später damit auseinandersetzen müssen, auf welche Art und Weise sie entstanden sind."
    Sagt die Psychologin Anne Meier-Credner. Sie ist Sprecherin des Vereins Spenderkinder, einem Zusammenschluss von Erwachsenen, die durch Zellspende gezeugt wurden. Der Verein setzt sich für die Rechte der Kinder innerhalb der Fortpflanzungsmedizin ein. Weltweit gibt es inzwischen mehr als fünf Millionen künstlich gezeugter Kinder. Für Deutschland zählt das IVF-Register zwischen 1997 und 2014 234.000 Babys. In jeder Schulklasse sitzt rein rechnerisch heute mindestens ein Kind, das nicht im Bett, sondern in der Petrischale gezeugt wurde. Und ihre Zahl steigt.
    Ende Februar fand in Berlin eine ungewöhnliche Messe mit dem Titel "Kinderwunschtage" statt. Fruchtbarkeitskliniken und Genlabore aus ganz Europa zeigten dort zwei Tage lang ihre Produkte für die Kinderwunschbehandlung, die man in Deutschland zwar nicht einkaufen kann, die aber offenbar beworben werden dürfen. Der Reproduktionsmediziner Ulrich Hilland würde den Paaren gerne hierzulande weiterhelfen:
    Eizellspende im Ausland
    "Es geht letztlich auch darum, dass Paare einen Anspruch haben auf eine bestmögliche Behandlung. Und wir haben im Augenblick eben nicht in allen Fällen die Möglichkeit der bestmöglichen Behandlung. Also die Eizellspende beispielsweise wäre in Deutschland nicht erlaubt. Dazu müssen Paare ins Ausland fahren, um diese Leistung in Anspruch zu nehmen der Reproduktionsmedizin. Wir halten das auch in unserem Verband für einen Anachronismus."
    Die Eizellspende im Ausland verschafft aus der Perspektive der Reproduktionsmedizin relativ alten Eltern junge Eizellen. Die Eizellen der jungen Spenderinnen erhöhen die Schwangerschaftschancen. So gut wie gar nicht in den Blick geraten dabei die erzeugten Kinder, beklagt Anne Meier-Credner, Sprecherin Vereins Spenderkinder:
    "Bei der Reproduktionsmedizin ist es auf der einen Seite so, dass das Kind sehr im Mittelpunkt steht. Als etwas, was gewünscht wird und dadurch fast schon so etwas wie einen Objektstatus erhält. Und auf der anderen Seite steht es irgendwie gar nicht im Mittelpunkt, nämlich wenn es darum geht, wie die daraus entstandenen Menschen ihre Entstehungsweise erleben."
    Dazu gibt es nur wenige und keine repräsentativen Studien. Aber eines ist sicher, ganz leicht ist eine im Labor zusammengesetzte Herkunft nicht, weiß die Psychologin:
    "Viele von uns freuen sich auf der Welt zu sein, sehen ihre Entstehungsweise aber doch auch kritisch, weil damit einige Herausforderungen auch im psychologischen Bereich verbunden sind."
    Viele europäische Länder garantieren Spendern Anonymität
    Problematisch sei vor allem, dass die Kinder oft nichts über ihre Herkunft erfahren. Eine schwedische Metastudie von 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass zwar die Hälfte der Eltern ihre Kinder aufklären wollen, dass es aber nur neun Prozent tatsächlich auch tun. Auch Wolfgang und Sofie wollen auf jeden Fall erst einmal damit warten. So kommt es ihnen und sicher auch anderen Paaren entgegen, dass in Tschechien, Spanien, Rumänien und anderen europäischen Kinderwunschzentren strikte Anonymität für die Spender gilt. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1989 verfügt, dass jeder Mensch einen Anspruch auf Kenntnis seiner Herkunft hat:
    "Zur Entfaltung der Individualität gehört die Kenntnis der eigenen Abstammung. Sie (…) nimmt auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein."
    Samenspenderregister beschlossen
    2015 wurde das Auskunftsrecht noch einmal höchstrichterlich bestätigt. Und letzte Woche hat der Bundestag die Einrichtung eines Samenspenderregisters beschlossen. Künftig sollen die Daten der Samenspender und –empfängerinnen für die Dauer von 110 Jahren zentral gespeichert werden und jeder ab 16 Jahren kann nachfragen, auch wenn es sich nur um eine Vermutung handelt.
    "So berichten viele Spenderkinder, es auch als eine Erleichterung, wenn sie es erfahren. Ein Spenderkind hat es so formuliert, dass sie sagte, ich war so erleichtert, ich konnte meinen eigenen Gefühlen plötzlich wieder trauen."
    Zu sehen sind die Hände eines Wissenschaftlers, gehüllt in weiße Gummihandschuhe. Er oder sie legt in einem Fortpflanzungslabor eine dünne Glasschale mit weiblichen Eizellen in einen Wärmeschrank.
    Eine Petrischale mit Eizellen wird in einen Wärmeschrank gelegt. Wie sieht die Zukunft der Reproduktionsmedizin aus? (imago stock&people)
    Sollte die Eizellspende irgendwann auch in Deutschland erlaubt sein, dann ohne Anonymität für die Spenderin. Das wirkt sich vermutlich negativ auf die Spendebereitschaft aus, wie man aus Erfahrungen beispielsweise in Schweden, England und Frankreich weiß. Den Fortpflanzungstourismus hat es dort jedenfalls nicht gebremst.
    "Das wissen wir von der Eizellspende und von der Samenspende. Die Vorstellung, dass sich irgendwann mal in der Zukunft ein Kind an mich wenden könnte und sagen könnte, du bist meine biologische Mutter, ich will mit Dir was zu tun haben, oder ihr seid meine biologischen Eltern, ich will euch zumindest kennen lernen, ist vielen Leuten doch ziemlich unangenehm."
    Die Praxis ist dem Gesetz einen Schritt voraus
    Soll die Eizellspende künftig auch in Deutschland erlaubt sein? Dürfen überzählige Embryonen zu Forschungszwecken dienen? Welchen Status haben befruchtete Eizellen im Vorkernstadium? Fragen, mit denen sich der Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode befassen muss. Denn wieder einmal ist die Praxis schon einen Schritt voraus. Sigrid Graumann vom Deutschen Ethikrat wünscht sich dafür eine breite öffentliche Debatte und keinen reinen Fachdiskurs.
    "Dieses Drängeln, das Embryonenschutzgesetz zu ändern, hängt vor allem damit zusammen, dass es hier um manifeste Interessen geht. Es geht um Interessen der Anbieter von Fortpflanzungsmedizin, die gerne all das machen wollen, was im Ausland unter Umstände auch möglich ist. Und es sind auch die Interessen der Kinderwunschpaare. Aber es sind keine Interessen, die jetzt jegliche ethische Bedenken einfach ausstechen könnten. Sondern wenn wir das Embryonenschutzgesetz so nicht mehr haben wollen, brauchen wir eine öffentliche Debatte."