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Emden im Schatten der Abgas-Affäre
Bangen um Jobs und die Zukunft

In Emden hängt so ziemlich alles von Volkswagen ab. Der Autokonzern ist der größte Arbeitgeber in der 50.000 Einwohner zählenden Stadt und auch der größte Gewerbesteuerzahler. Die Krise bei VW wird deshalb dort genau beobachtet. "Wenn VW nur einen Schnupfen hat, hat Emden eine Lungenentzündung", heißt es im Ort.

Von Godehard Weyerer | 10.03.2016
    Ein Schild am VW-Werk in Emden .
    Ein Schild am VW-Werk in Emden (imago / JOKER)
    "Das ist der Unterschied, Helmut. Du bist mit dem Auto und ich fahr mit dem Radel. – "Jaaa." - Mach deinen Laden auf."
    Von den 50.000 Einwohnern, die in der Stadt Emden leben, seien 18.000 Mitglieder in Sportvereinen, sagt Hans-Georg Wehmhörner. Er ist Vorsitzender des Sportbundes, dem 55 Vereine angehören. Auch der Rollschuhclub Emden. Zusammen mit dessen Vorsitzendem Helmut Gerdes geht Wehmhörner ins Vereinsheim. Er kommt auf den Kunstrasen für den Fußballverein nebenan zu sprechen. 570.000 Euro würde er kosten. Die Stadt habe die Kosten eigentlich übernehmen wollen, doch dann brach die Abgas-Affäre über Emden ein.
    "Das Problem war ja, dass wir wussten, wenn bei VW irgendwas ist, dann hat Emden eine Lungenentzündung, und wenn VW nur einen Schnupfen hat, hat Emden eine Lungenentzündung, das ist so. Da haben wir gesagt, bevor uns da irgendwas an die Substanz der Vereine rangegangen wird, das irgendwas gekürzt wird im Jugendbereich, im investiven Bereich, lass uns lieber den Kunstrasen nach hinten hin schieben. Aber lasst die Vereine zumindest in '16 zufrieden. Das hat man uns versprochen, davon gehe ich auch aus, dass wir keine Kürzungen in 2016 erleben, ob die dann 2017 kommen, und was denn kommt, das wissen wir noch nicht."
    Die VW-Krise trifft Emden hart. Der Passat läuft hier vom Band und wird in alle Welt verschifft. Der Autobauer war und bleibt der größte Steuerzahler der Stadt, von VW kommt ein Drittel der 70 Millionen Euro, die jährlich an Gewerbesteuern in den Stadthaushalt fließen.
    Die Stadtverwaltung hat schon eine Streichliste vorgelegt
    "Volkswagen hat in den letzten Monaten noch einen Zuschuss zu seiner Betriebskindertagesstätte in Millionenhöhe von der Stadt bekommen." Jürgen Dietrich ist in Emden Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes. "Für mich ist die grundsätzliche Frage als Bürger oder auch als Vertreter eines Wohlfahrtsverbandes, wie es sein kann, dass ein großer Arbeitgeber wie der Volkswagen-Konzern straffällig wird, strafbare Handlungen begeht, und letztendlich das Gemeinwesen, dessen Strukturen er benutzt, dafür zahlen muss."
    Fakt ist: In den kommenden Jahren zahlt der VW-Konzern deutlich weniger Steuern. Ende Januar legte die Stadtverwaltung eine erste Streichliste vor – sie fiel noch recht optimistisch aus.
    "Für mich war schon in gewisser Weise überraschend, ich hätte also mit weitaus höheren Defiziten und geringeren Gewerbesteuereinnahmen gerechnet, als dass die Zahlen jetzt hergeben, die die Verwaltung uns vorgelegt hat." Bernd Renken vertritt die Grünen im Rat der Stadt Emden. Als Mitglied des Finanzausschusses wundert er sich, dass die Stadtverwaltung selbst 2016 nach wie vor von 50 Millionen Euro Gewerbesteuern ausgeht.
    "Die Erfahrungen der Vergangenheit haben ja gezeigt, dass es schon manche konjunkturelle Delle gab, zuletzt 2009 aufgrund der großen Finanzkrise. Drei Jahre später hatten wir dann die höchsten Gewerbesteuereinnahmen in unserer Geschichte gehabt. Es wäre schön, wenn es wieder so kommen würde, aber diesmal haben wir es nicht mit einer konjunkturellen Krise zu tun oder mit einer Finanzkrise, sondern wir haben es mit einer Unternehmenskrise über ein ganz groß angelegtes Betrugsmanöver zu tun. Das ist eine andere Situation, und das muss man bei allem, was wir jetzt haben, auch bedenken."
    Der Verlauf der VW-Abgas-Krise und der schwierigen Aufarbeitung wird hier in Emden sehr genau registriert. Beispielsweise im Taxi-Unternehmen Elmenhorst. Junior-Chef Simon Schlötel kommt von einer Kundenfahrt zurück auf den Betriebshof. Taxifahrer kennen die Stimmung in der Stadt. "Ja, sie hat sich schon gewandelt. Einerseits bei den Beschäftigten hier in Emden, wo teils eine bunte Mischung aus Frust, Enttäuschung und vielen anderen Dingen vorherrscht, und natürlich auch bei den Bürgern, die nicht bei Volkswagen tätig sind, da ist schon überwiegend Frust, weil ja jetzt Kürzungen und Streichungen in anderen Bereichen anstehen, die der kleine Mann nicht zu vertreten hat, aber jetzt ausbaden muss. So ist die Meinung auf der Straße, muss man sagen. Ich will nicht sagen, ob das richtig oder falsch ist, aber so ist die Meinung draußen." "Aber wir hatten es ja schon mal vor paar Jahren gehabt, als es mal hieß, dass VW nach Amerika geht."
    Unsicherheit, wie es weiter geht
    Zurück zu den Sportanlagen am Ems-Jade-Kanal. Helmut Gerdes, der Vorsitzende des Rollschuhclubs, sperrt das Vereinsheim zu. "Das ist schon ewig her, da war aber hier in Emden auch unheimliche Unruhe, Demonstration auf der Straße und so."
    Der Flachbau stammt aus den 70er Jahren, ist renovierungsbedürftig.
    "Da muss man eben ein bisschen zurückstecken. Das ist ja genauso wie zuhause, wenn man das Geld nicht zusammen hat, dann wird es eben nicht gemacht, dann spart man zwei, drei Jahre und macht es dann, oder versucht, sich selbst zu helfen. Ist natürlich, wenn eine Stadt von einem Arbeitgeber abhängig, ist immer ein Risiko. Wir hatten sonst hier die Nordsee-Werke, fast 4.000 Beschäftigte. Die gibt es seit zwei, drei Jahren auch nicht mehr, konnte sich auch nie jemand vorstellen, dass es eines Tages die Nordsee-Werke nicht mehr gab."
    9.000 Menschen arbeiten heute in den Emder VW-Werken, 2.000 sind es in den Zulieferer-Betrieben. Niemand kann sagen, wie sich der VW-Skandal langfristig auswirken wird auf den Absatz, auf die Mitarbeiter, auf die Menschen, die Emden leben. "Das war ja, hauptsächlich kam das ja aus Amerika. Wenn man das so sieht in Amerika, wenn man sich da die Zunge verbrennt bei McDonalds, dann hat McDonalds gleich einen Prozess am Hals. Kann man sich vorstellen, wie die Amerikaner sich da hinter hängen."