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Émile Zola
Kein Tag ohne eine Zeile

Émile Zola besaß eine ungeheure Disziplin. Er verfasste mehrere Zyklen mit zum Teil 20 Bänden, füllte Bücherregale mit Romanen und meldete sich nebenbei noch mit Zeitungsartikeln zu Wort. "Kein Tag ohne eine Zeile" ließ er sich als Motto über seinen Kamin malen, auf Lateinisch, versteht sich. Heute vor 175 Jahren wurde er geboren.

Von Maike Albath | 02.04.2015
    Der französische Schriftsteller Emile Zola
    Der französische Schriftsteller Emile Zola (picture alliance /dpa)
    Aus dem Hörspiel Thérèse Raquin:
    - He, Camille, Camille, verschlaf doch nicht den ganzen Tag!
    - Ach so, ja.
    - Es ist bald Abend, wir wollen doch noch etwas unternehmen.
    - Laufen mag ich aber nicht mehr.
    - Rudern. Wir nehmen uns ein Boot!
    - Ein Boot?
    - Nein, nein, das geht nicht. Für Camille ist es ja viel zu kalt auf dem Wasser.
    - Zu kalt wär‘s schon nicht.
    - Doch, hinterher musst du immer im Bett liegen …
    Es ist ein teuflischer Plan, den Thérèse Raquin gemeinsam mit ihrem Liebhaber schmiedet. Unglücklich verheiratet und von ihrer Schwiegermutter geknechtet, will sie den schwächlichen Ehemann Camille loswerden.
    "Bleib doch sitzen, Laurent. Laurent, setz Dich doch hin! Jetzt lass doch das Schaukeln. Laurent, Laurent! Wir schlagen ja um!"
    Sein erster große Erfolg
    Die berechnende Thérèse Raquin, die zur Mörderin wird, gab Émile Zolas drittem Roman seinen Titel. 1867 erschienen, landete der Schriftsteller mit dem atemberaubenden Kriminalfall, der zugleich eine prägnante Milieustudie des Pariser Kleinbürgertums bot, seinen ersten großen Erfolg. Sein Vorwort zur zweiten Auflage wurde zum Gründungsmanifest des Naturalismus:
    "Ich habe in diesen Tieren Schritt für Schritt das dumpfe Wirken der Leidenschaften, das Drängen des Naturtriebes und die infolge einer Nervenkrisis eingetretenen Verwirrungen des Gehirns zu verfolgen versucht. Ich habe einfach an zwei lebenden Körpern die zergliedernde Arbeit vorgenommen, welche Chirurgen an Leichen vornehmen."
    Nur mit Hilfe der Empirie könne man den gesellschaftlichen Verhältnissen auf die Spur kommen, davon war der große Romancier überzeugt. Émile Zola wurde am 2. April 1840 als Sohn eines dalmatinischen Ingenieurs in Paris geboren, wuchs in Aix-en-Provence auf und ging 1858 mit seiner Mutter nach Paris zurück, wo er gleich zwei Mal durchs Abitur fiel. Eine Anstellung in der Werbeabteilung des Verlagshauses Hachette verhalf ihm zu Grundkenntnissen im Buchgeschäft. Zola hatte nur ein Ziel: Schriftsteller zu werden, und zwar ein erfolgreicher!
    1864 veröffentlichte er erste Erzählungen, schon zwei Jahre später konnte er von seinen Einkünften leben und mit seiner Freundin Alexandrine einen Haushalt gründen. Als einer der ersten wandte Zola dokumentarische Verfahren an, besuchte mit dem Notizbuch in der Hand die Absteigen der armen Pariser, frequentierte die Halbwelt und die Hochfinanz und legte Roman um Roman vor. 20 Bände umfasst sein Zyklus Die Rougon-Macquart, der eine packende Sozialreportage quer durch alle Schichten bietet. Für den Roman Germinal von 1885 recherchierte er in nordfranzösischen Kohlegruben und informierte sich über die blutigen Arbeitskämpfe:
    Zola ergriff Partei für Hauptmann Dreyfus
    "Sechzig Mann mit ihren geladenen Gewehren nahmen wieder an der Wand Aufstellung und fällten das Bajonett. Zuerst wich die Menge zurück und Stillschweigen trat ein. Die Streikenden waren eine Weile verblüfft über diesen Akt der Gewalt. Dann erhob sich ein Geschrei."
    Auf dem Höhepunkt seines Ruhms ergriff Zola 1898 für den jüdischen Hauptmann Dreyfus Partei, der drei Jahre zuvor der Spionage für das Deutsche Reich bezichtigt worden war und unschuldig in Haft saß. Der offene Brief an den Präsidenten erschien am 13. Januar auf der Titelseite der Tageszeitung L’Aurore. J’accuse, Ich klage an, lautete die Überschrift:
    "Ich klage den Oberstleutnant du Paty de Clam an, der teuflische Urheber eines Justizverbrechens zu sein und seit drei Jahren sein unheilvolles Werk mit den geschmacklosesten und verwerflichsten Machenschaften zu verteidigen. (…) Ich klage das Kriegsministerium an, in der Presse einen abscheulichen Feldzug geführt zu haben, um die öffentliche Meinung irrezuleiten."
    Mit größter Präzision deckte Zola den Antisemitismus und die Verdunkelung der Geschehnisse auf. Ein politischer Skandal war die Folge, der Frankreich spaltete. Gegen den Schriftsteller erging ein Haftbefehl. Zola flüchtete nach London, wo er bis zur Amnestie 1899 blieb. Am 29. September 1902 zog sich Émile Zola wegen eines schlecht belüfteten Ofens eine Rauchvergiftung zu und starb. Drei Jahre später wurde die Trennung von Kirche und Staat beschlossen. Zolas offener Brief gab den Anstoß für die Entstehung eines laizistischen Frankreichs.