Dienstag, 16. April 2024

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Emissionsfreie Autos
Automobilexperte warnt vor Verlust von bis zu 200.000 Arbeitsplätzen

Keine Benzin- und Dieselautos mehr nach 2030? Für Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse ein unrealistisches Szenario: Technisch wäre das wegen Lademöglichkeiten für Elektroautos nur in den Innenstädten möglich, sagte er im DLF. Zudem warnt der Automobilexperte vor gravierenden Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt.

Helmut Becker im Gespräch mit Dirk Müller | 12.10.2016
    Ein Stromkabel ist am 10.05.2016 in Berlin (Berlin) an der Steckdose eines Elektroautos angeschlossen und am Auto ist der Schriftzug "NULL CO2" zu sehen.
    "In den Innenstädten elektrisch fahren, auf Land Verbrennung, das wäre ein Königsweg." (dpa / picture alliance / Tobias Hase)
    Die Ablösung des Verbrennungsmotors hätte "gewaltige wirtschaftliche Folgen", unterstrich Becker im Deutschlandfunk. Ein Drittel der Wertschöpfung ginge damit verloren, in ähnlichem Anteil zwischen 150.000 und 200.000 Arbeitsplätzen. "Die Politik wird sich das nicht antun wollen", erwartet der Volkswirt.
    Mit Blick auf die Motoren sei es wohl möglich, auf die elektronische Lösung zu setzen. "Technisch werden wir das bis 2030 hinkriegen." Ein Problem sei es allerdings wohl, flächendeckend Lademöglichkeiten zu schaffen. Deshalb sehe er im Augenblick den Weg, auf eine Hybridlösung zu setzen: "In den Innenstädten elektrisch fahren, auf Land Verbrennung, das wäre ein Königsweg."
    Eine andere Möglichkeit wäre es Becker zufolge, auf sogenannte synthetische Kraftstoffe zu setzen. So blieben Deutschland "die gewaltigen strukturellen Veränderungen erspart". Synthetische Kraftstoffe sollen Erdöl als Rohstoffquelle ersetzen und umweltfreundlicher sein.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: 2030, das ist in 14 Jahren. In 14 Jahren sollen in Deutschland nur noch Autos an den Start gehen, die keine Emissionen mehr rauspusten, saubere Motoren, die vielleicht dann nichts Schädliches mehr verbrennen, neue synthetische Brennstoffe zum Beispiel oder vielleicht gar keine Verbrennungsmotoren mehr, Elektroautos könnten das leisten. Warum reden wir jetzt darüber? Weil der Bundesrat einen solchen Schritt empfiehlt, weil er ihn für sinnvoll hält. "Emissionsfrei ab 2030" heißt die Devise für alle Neuwagen. Ohne Bundestag, ohne Bundesregierung geht das allerdings gar nicht. CDU und CSU sind strikt gegen eine solche Regelung, gegen eine solche Festlegung. Auch die Autoindustrie sieht das so. Sie spricht von Daumenschrauben, von Zwangsverordnungen und so weiter und sagt auch, das, was der Bundesrat jetzt in einer Stellungnahme beschlossen hat, spielt gar keine Rolle. Die Umweltministerin wiederum unterstützt das Vorhaben, Barbara Hendricks (SPD). Ungereimtheiten in der Großen Koalition. Am Telefon ist nun Automobilexperte Helmut Becker vom Institut für Kommunikation und Wirtschaftsanalyse, viele Jahre lang Chefvolkswirt von BMW. Guten Morgen!
    Helmut Becker: Guten Morgen!
    Müller: Sollten sich die Konzerne jetzt so richtig anstrengen?
    "Da geht ungefähr ein Drittel der Wertschöpfung am Automobil verloren"
    Becker: Ja. Anstrengen müssen sie sich in jedem Fall, denn wir wissen, dass die Emissionsgesetze verschärft werden, und wir wissen auch, dass der Verbrennungsmotor auf die Dauer und im Durchschnitt natürlich abgelöst werden soll von Elektromobilität. Insofern: Die Perspektive ist von vornherein klar. Nur dieses Datum, das jetzt gesetzt worden ist, das ist natürlich ein bisschen schwieriger, das einzuhalten.
    Müller: Als wir gestern telefoniert haben, Herr Becker, und ich habe Sie gefragt, können Sie morgen Früh für den Deutschlandfunk zum Interview bereitstehen, und ich sage, welches Thema, 2030, da haben Sie gelacht, da haben Sie ganz laut gelacht. Warum?
    Becker: Nun gut. Wir müssen einfach sehen, die Ablösung des Verbrennungsmotors hat natürlich gewaltige wirtschaftliche Folgen für den Standort Deutschland, für die gesamte deutsche Industrie und natürlich auch für den Arbeitsmarkt. Denn ungefähr, wenn wir alle Autos jetzt nur elektrisch fahren würden, bedeutet das, dass ungefähr ein Drittel der Wertschöpfung am Automobil verloren geht. Ein Drittel, 30 Prozent bedeuten ungefähr 150 bis 200.000 Arbeitsplätze. Das ist ein gewaltiger Strukturbruch. Und die Politik wird sich das nicht antun wollen.
    Müller: Das heißt, technisch wäre es schon möglich, aber man kann das arbeitsplatztechnisch nicht machen?
    Becker: Technisch wäre es - - 2030 ist noch weit hin, in 14 Jahren. Bis dahin werden wir das sicherlich technisch auf die Reihe bringen können, mit Ladestationen und so weiter und so weiter. Und auch die notwendige Energie könnte man bereitstellen, um die Flotte dann elektrisch zu betreiben. Nur noch mal: Die wirtschaftlichen Folgen, dass ein Drittel weniger Wertschöpfung und ein Drittel weniger Beschäftigung dabei entsteht, bei der Produktion von Elektroautos, diese Folgen wird sich die Politik nicht antun wollen.
    Müller: Das heißt, die alten, luftverschmutzenden Motoren herzustellen, das ist immer noch das Beste für Arbeit?
    "Luftverschmutzenden Motoren sauber zu machen, das wäre das Beste für Arbeit"
    Becker: Die alten, luftverschmutzenden Motoren sauber zu machen, das wäre das Beste für Arbeit. Ja, da haben Sie recht. Also mit anderen Worten: Wenn es uns gelingt, die Verbrennungsmotoren so sauber zu machen, dass sie ähnliche Werte hätten wie Elektromotoren, dann wäre das der ideale Weg.
    Müller: Wir haben Matthias Wissmann am Montagmorgen im Deutschlandfunk hier zu diesem Thema gehabt, Chef des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Hören wir mal, was er gesagt hat:
    O-Ton Matthias Wissmann: "Wenn synthetische Kraftstoffe wirklich marktreif sind, dann könnte es sein, dass der Verbrennungsmotor eine völlig neue Qualität auch unter Klimagesichtspunkten bekommt. Das heißt, Verbotsstrategien, die waren noch nie in der Welt eine kluge innovative Entscheidung für ein Industrieland."
    Müller: Synthetischer Kraftstoff, das geistert seit ein paar Tagen jetzt in der normalen Presse. In der Fachpresse ist das natürlich schon seit Jahren auch in der Diskussion. Könnte das eine mögliche Lösung sein aus dem Dilemma?
    "Diese Technologie ist relativ einfach herzustellen"
    Becker: Das wäre natürlich eine Lösung und vor allen Dingen wäre es eine Lösung, die uns die strukturellen Veränderungen, die gewaltigen strukturellen Umbrüche ersparen würde. Was eine zweite Lösung wäre: die Kombination von Verbrennungsmotor mit Elektromotor, die Hybridisierung. Das ist auch ein Weg, wo ich glauben würde, den wir beschreiten könnten, indem wir wie gesagt beides kombinieren, in den Innenstädten elektrisch fahren, um dort die Emissionsbelastung zu reduzieren, und auf dem freien Feld draußen ganz normal mit einem Verbrennungsmotor. Das heißt, wir haben an Bord zwei Motoren, was natürlich sogar die Wertschöpfung erhöhen würde. Das wäre sozusagen ein Königsweg.
    Müller: Wir haben heute Morgen in unserer Sendung bereits über Samsung und Akku-Probleme berichtet. Wir beide haben vor zehn Jahren, habe ich nachgeschaut, schon einmal über Elektromotoren und Elektroautos gesprochen. Da haben Sie gesagt, es wird immer das ganz große Problem bleiben, die Batterien und die Akkus und so weiter. Ist ja auch heute noch ein großes Verkaufsargument oder eben ein Nicht-Verkaufsargument. Das hört sich jetzt ein bisschen so an, als sei das in 14 Jahren, wenn wir hier wieder über Elektro reden, kein Problem mehr, dann kriegen wir das schon hin. Aber inzwischen brennen schon Handys!
    Becker: Ja, nun gut. Die Technik ist nicht stehen geblieben, muss man dazu sagen. Die Batterie-Technik hat sich erheblich verbessert. Aber es gibt physikalische Grenzen und bei den Handys kann man sehen, wenn man die Dinge immer nur dünner macht und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit erhöht, wird das Risiko einfach größer. Das würde im Zweifelsfall genauso für Autobatterien gelten, wenn man die ganzen Autos elektrisch betreiben würde. Je weiter man sich in technologisches Grenzgebiet hinein bewegt, desto größer ist das Risiko. Aber das möchte ich jetzt mal ausschalten. Dieses, glaube ich, wäre nicht die Hemmschwelle, sondern die Hemmschwelle ist im Grunde, dass diese Technologie relativ einfach herzustellen ist, unabhängig jetzt mal von dem Risiko der Batterie, und entsprechende Folgen hat für die gesamte Automobilindustrie. Wenn 20 Prozent oder 30 Prozent der Wertschöpfung verloren gehen, ist das ein gewaltiger Strukturbruch.
    Müller: Sie kommen immer wieder auf den Punkt. Ich bin dahingehend ein bisschen überrascht. Sie sagen, wenn wir wollten, dann könnten wir das machen, aber wir können uns eben nicht "leisten", die ganzen Arbeitsplätze dabei zu verlieren. Das heißt, wir könnten in 2030 plötzlich oder ab 2030 ganz, ganz, ganz sauber im Straßenverkehr werden?
    "Für mich wäre die Hybridisierung der ideale Weg"
    Becker: Zumindest in den Innenstädten wird das sicherlich der Fall sein können. Noch mal: Das geht aber nur über Hybridisierung, denn nicht überall ist die Infrastruktur so, dass jeder sein Elektroauto, das er dann besitzen würde, auftanken kann. Sie brauchen ja auch eine Lade-Infrastruktur und die ist nicht für alle gegeben. Leute mit einem eigenen Haus oder mit einer eigenen Zufahrt und so weiter, die können das ohne weiteres machen. Aber wenn Sie im 6. Stock in einem Hochhaus wohnen, dann haben Sie Schwierigkeiten mit Ihrem Automobil, dieses aufzuladen. Das wären Probleme, die man lösen müsste, und im Moment sehe ich dafür keine Möglichkeiten. Deshalb wäre für mich die Hybridisierung der ideale Weg, um die Emissionswerte zu verbessern, die Luftreinhaltung und so weiter durchzuführen, und gleichzeitig die Beschäftigungswirkungen dieser neuen Technologie doch in Grenzen zu halten, also die negativen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Automobilexperte Helmut Becker vom Institut für Kommunikation und Wirtschaftsanalyse. Er hat viele Jahre als Chefvolkswirt bei BMW gearbeitet. Danke, dass Sie wieder für uns Zeit gefunden haben.
    Becker: Bitte schön!
    Müller: Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.