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Emmanuel Macron
Die zweite französische Revolution

Kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen hat Emmanuel Macron sein Buch "Revolution" veröffentlicht. Darin beschreibt er seinen Werdegang vom Banker zum Politiker und seine Vision von einem neuen, sozialliberalen Frankreich. Dabei bleibt allerdings manches widersprüchlich und konkrete Lösungsvorschläge fehlen.

Von Burkhard Birke | 08.05.2017
    Der zukünftige französische Präsident Macron in Paris.
    Der zukünftige französische Präsident Macron in Paris. (imago stock&people / Gesa Wicke)
    Bescheidenheit klingt anders: Eine Revolution auszurufen, für Frankreich kämpfen zu wollen, das klingt hochtrabend und arrogant. Den Titel für sein als Bewerbungsschreiben für den Élysée Palast konzipiertes Buch hat Emmanuel Macron jedoch ganz bewusst gewählt: Er versteht ihn als Weckruf an die Nation und sich als Revolutionär. Er ist ein bürgerlicher Revoluzzer und als solcher steht er in der Kontinuität der Geschichte Frankreichs. Die Revolution von 1789 ging vom Bürgertum aus. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Werte wurden zu Schlagworten und das Schicksal der Nation nahm seinen Lauf. Letzthin nicht zum Besten, weshalb es laut Macron, Zeit für einen neuen Umsturz, für grundlegende Reformen ist.
    "Wir tragen die Lösung in uns. Sie hängt nicht von einer Liste mit Vorschlägen ab, die nie umgesetzt werden. Sie kann nicht aus faulen Kompromissen bestehen. Sie kommt durch verschiedene Elemente zustande, die eine tiefgreifende demokratische Revolution voraussetzen. Sie wird ihre Zeit brauchen. Sie hängt von unserer Einheit, unserem Mut, unserem gemeinsamen Willen ab. Ich glaube an die demokratische Revolution."
    Macron will grundlegende Reformen
    Oder an Pragmatismus und Vernunft! Während sich ganz links mit Jean-Luc Mélenchon und vor allem Rechtsaußen mit Marine Le Pen die Populisten tummeln und einem vermeintlich defätistischen, depressiven Volk den Nationalismus als Lösung aller Probleme anpreisen, will der 39-jährige Shooting Star reformieren – und zwar über Parteigrenzen hinweg. Das traditionelle Links-Rechts-Schema zu brechen: Das mag aus deutscher, von Großen Koalitionen geprägter Sicht banal klingen, für Frankreich hat es etwas Revolutionäres.
    "Das ist etwas radikal Neues: Vor einem Jahr existierte meine Partei 'En marche' nicht und vor etwas über drei Jahren war ich noch nicht in der Politik. Das macht einen großen Unterschied. Ich habe mich nicht aus der Ineffizienz des Systems genährt. Ich habe mich für die Politik entschieden, um sie schnell und grundlegend zu ändern."
    Die Betonung liegt auf grundlegend! Und deshalb, so schreibt Macron prophylaktisch, glaube er nicht, dass es sinnvoll sei, im Rahmen eines Präsidentschaftswahlkampfes ein paar Vorschläge zu machen. Es ist wohl seinem Erfolg geschuldet, dass er am Ende doch schon einige konkrete Maßnahmen, eine Art Rumpfwahlprogramm ausarbeiten ließ.
    Mit einer Vision allein lässt sich nun doch nicht das Herz der französischen Wähler erobern. Genau das freilich ist Macrons Buch im Kern: Die Beschreibung einer Vision für ein weltoffenes, starkes, selbstbewussteres Frankreich, eingebettet in einem vereinten Europa, das für ihn die Lösung der Probleme und nicht die Ursache allen Übels ist.
    Das Links-Rechts-Schema aufbrechen
    Macron fordert einen Haushalt und einen Finanzminister für die Eurozone, will Konvente in den Mitgliedsstaaten abhalten lassen, um die EU bürgernäher zu gestalten. Der Ex-Banker prangert die Auswüchse des Turbokapitalismus und wachsende Einkommensungleichheit an, verspricht den sozial Schwachen mehr Kaufkraft, den Unternehmen mehr Freiheit und Steuerentlastungen, will die ausufernde Bürokratie eindämmen. Sparen, aber nicht zu viel. Steuergeschenke, Sozialabgaben runter, aber in bezahlbaren Maßen. Macron ist durch und durch liberal: In Wirtschaftsfragen ebenso wie in gesellschaftspolitischen und damit bricht er aus dem klassischen Links-Rechts- Schema aus. So argumentiert er etwa, der Staat müsse angesichts der Bedrohung durch Terror seine Bürger schützen, aber:
    "Es ist seine wichtigste Aufgabe, die Freiheit des Einzelnen in einer Situation der Angst zu bewahren. Zu den gefährlichsten Illusionen unserer Zeit gehört der Glaube, man könnte dieses Übel durch das Errichten von Zäunen, Ausgrenzung, Registrierung und Lager, also durch das Vergessen oder die Missachtung der Menschenrechte lösen, welche die Erklärung von 1789 der Welt präsentiert hat."
    Macrons Vision enthält ein wenig für alle und jeden und eine Menge Systemkritik. Ein Widerspruch? Macron hat die Elite Uni ENA abgeschlossen, war Inspecteur des Finances bei der Rothschildbank, Berater und bis vor einem drei Viertel Jahr Wirtschaftsminister unter Präsident Hollande.
    "Wenn ich das Produkt eines Systems bin, dann des republikanischen Systems. Ich habe einige Zulassungstests der Republik in den Sand gesetzt, bei anderen war ich erfolgreich. Ich habe mich hochgearbeitet, Erfolg in der Privatwirtschaft gehabt, bin zurück in den öffentlichen Dienst, um meinem Land zu dienen. Zwei Mal habe ich nein gesagt, bin von Posten zurückgetreten. Deshalb kann ich heutzutage den Franzosen in die Augen schauen und ihnen sagen: Ich bin nicht das Ergebnis dieses ineffizienten Systems."
    Eine Vision ohne Lösungsvorschläge
    Das er umkrempeln will. An Zielstrebigkeit und Klarheit mangelt es ihm sicher nicht: Als Schüler verliebte er sich in seine Literaturlehrerin und hielt an der Beziehung fest: Seine heutige Frau Brigitte, Mutter von drei erwachsenen Kindern, ist 24 Jahre älter als er. Was er ist, woran er glaubt, wer ihn geprägt hat: Auch darüber schreibt und spricht Emmanuel Macron offen:
    "Glück, Zufälle, Treffen mit bestimmten Menschen haben mich geprägt. Meine Großmutter hat mir die Augen für bestimmte Bücher geöffnet, der Philosoph Paul Ricoeur war fundamental. Wahrheit und Mut sind die beiden Säulen meines Engagements. Ich bin Risiken eingegangen als ich mich gegen das System und gegen die politischen Parteien gestellt habe. Die Wahrheit liegt mir am Herzen: ich habe den Franzosen stets gesagt, was ich machen kann und was nicht, indem ich ihnen meine Vision dargelegt habe."
    Er will, dass die Menschen ihn verstehen, nicht in Schubladen stecken und ihm vor allem glauben. Macron gelingt mit dem Buch ein Problemaufriss mit persönlichem Touch, ohne dass er ins technokratische Vokabular abrutscht oder in philosophische Exkurse abgleitet. "Revolution" ist ein sehr persönliches Bewerbungsschreiben für das höchste Staatsamt, in dem Macron Überzeugungen äußert, sich aber mit allzu konkreten Lösungsvorschlägen zurückhält.
    Den wohlklingenden Worten über Freiheit, Gleichheit im Sinne von Chancengleichheit bei Bildung und Arbeit, von Brüderlichkeit im Sinne eines Ausgleichs zwischen den sozialen Schichten und Regionen Frankreichs müssen jetzt Taten folgen. Nur dann kann seine Revolution gelingen.
    Emmanuel Macron: "Revolution. Wir kämpfen für Frankreich"
    Übersetzerin: Christiane Landgrebe, Morstadt Verlag, 234 Seiten, 22,90 Euro.